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Grünen-Chefin Ricarda Lang will die Kommunen mit mehr Geld und mehr Abschiebungen entlasten.

© imago/Metodi Popow/IMAGO/M. Popow

Ein Vorschlag mit Kalkül: Grüne fordern Tempo bei Abschiebungen

Grünen-Chefin Ricarda Lang fordert FDP und SPD auf, an Rückführungsabkommen zu arbeiten, um mehr Abschiebungen zu ermöglichen. Die Idee gefällt nicht allen in der Partei.

Ricarda Lang spricht schon seit fast zehn Minuten auf ihrer wöchentlichen Pressekonferenz, ehe die Grünen-Vorsitzende zu ihrer entscheidenden Forderung im Skript kommt. „Um zu verhindern, dass immer mehr Menschen ankommen und um die Kommunen tatsächlich langfristig zu entlasten, brauchen wir jetzt die im Koalitionsvertrag verankerten Migrations- und Rückführungsabkommen“, sagte sie.

Um die Sache noch deutlicher zu machen, adressiert Lang ihre Forderung klar an ihre Koalitionspartner in Person der SPD-Innenministerin und dem FDP-Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen. „Wir erwarten, dass es hier von Nancy Faeser und Joachim Stamp endlich Fortschritte gibt, was das Thema Rückführungsankommen angeht.“

Rückführungen – das ist im politischen Jargon ein schöneres Wort für Abschiebungen. Doch ansonsten hätten diese Aussagen wohl auch aus dem Mund von CDU-Chef Friedrich Merz kommen können. Dass sie am Montag ausgerechnet von der linken Grünen-Vorsitzenden, die in der Vergangenheit für mehr Aufnahmen protestierte, vorgetragen werden, zeigt den Druck, der inzwischen auf der Partei lastet.

7861 
Menschen wurden im ersten Halbjahr 2023 aus Deutschland abgeschoben, 27 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.

Wenige Wochen vor den wichtigen Landtagswahlen in Bayern und Hessen rückt die Migrations- und Asylpolitik zunehmend ins Zentrum der politischen Debatte. Immer mehr Kommunen melden überfüllte Unterkünfte, fehlende Kita- und Schulplätze und fordern mehr Geld vom Bund. Doch dort wird vor allem über Maßnahmen für Abschiebungen diskutiert.

Zwar stieg die Zahl der Rückführungen im ersten Halbjahr 2023 um 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, doch mit 7861 abgeschobenen Menschen bei gleichzeitig 162.271 neuen Asylanträgen nimmt Deutschland weiter viel mehr Menschen auf. Hinzu kommt, dass zwei von drei Abschiebungen scheitern. Zuletzt machten deshalb CDU, SPD und FDP zahlreiche Vorschläge – und nun auch die Grünen.

Das gefällt nicht allen in der Partei: „Mehr Abschiebungen und zweifelhafte Abkommen mit teilweise autokratischen Staaten können nicht die Antwort darauf sein, dass mehr Menschen bei uns Schutz suchen“, sagte Timon Dzienus, Sprecher der Grünen Jugend, dem Tagesspiegel. Es brauche stattdessen eine Offensive mit weiteren Milliarden des Bundes, um Kommunen bei der Aufnahme von Geflüchteten zu unterstützen.

„Mir bereitet die gesellschaftliche Debatte der letzten Tage große Sorge“, sagte Dzienus, er beobachte, dass die FDP einen Rechtsruck in Deutschland und die italienische Regierung einen solchen in Europa durchsetzen wolle. „Ich erwarte von der Grünen Partei einen klaren Gegenstandpunkt zum gerade stattfindenden Rechtsruck“, sagte Dzienus.

FDP drängt auf Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten

Doch mit dieser Forderung steht er weitgehend allein. Für einen größeren Aufschrei sorgen die Äußerungen Langs in der Partei, die vor Kurzem noch heftig über ihre Position bei der Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) gestritten hatte, nicht. Zumal die Forderung nach für sogenannte Rückübernahmeabkommen sogar im Wahlprogramm der Grünen auftauchte.

Ich erwarte von der Grünen Partei einen klaren Gegenstandpunkt zum gerade stattfindenden Rechtsruck.

Timon Dzienus, Sprecher der Grünen-Jugend

Doch bislang gelingt es Deutschland nicht, mit Staaten Abkommen zu schließen, in denen diese sich verpflichten, ihre geflohenen Staatsbürger mit einer Sicherheits-Garantie zurückzunehmen und dafür im Gegenzug etwa Visaerleichterungen erhalten. Mit ihrem Vorstoß versucht Lang offenbar, dem Eindruck entgegenzuwirken, asylpolitische Maßnahmen würden nur an ihrer Partei scheitern.

Doch genau dieses Bild zeichnet die FDP: „Die Grünen stehen schon seit Jahren für eine realitätsferne Migrationspolitik“, sagte Christoph Meyer, Vize-Fraktionschef der Liberalen im Bundestag. Der Vorschlag Langs sei eine Nebelkerze. „Wir können direkt nächste Woche im Bundestag Georgien und Moldau als sichere Herkunftsländer einstufen und gleich auch über die Maghreb-Staaten beraten“, sagte er dem Tagesspiegel. „Sollen die Grünen sich hier endlich zur härteren, realistischen Migrationspolitik bekennen.“

Ähnlich äußert sich Michael Theurer, Landesvorsitzender der FDP in Baden-Württemberg: „Wenn Frau Lang nun Nancy Faeser und Joachim Stamp unter Druck zu setzen versucht, hat man den Eindruck: Die Grünen verstehen sich nicht als Teil der Bundesregierung“, sagte er dem Tagesspiegel. Eine beschleunigte Rückführung sei das Anliegen der gesamten Bundesregierung. „Die Grünen sollten dieser Leitlinie folgen und mehr Abschiebungen ermöglichen, indem sie den Weg frei machen bei der Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsstaaten, etwa von Marokko, Tunesien und Algerien.“  

Ein Vorstoß, der wiederum von Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge zurückgewiesen wird: „Wir haben eine Menschenrechtssituation in den Maghreb-Staaten, die aus unsere Sicht nicht dafür spricht, die sicheren Herkunftsländer auszuweiten.“ Bei den EU-Beitrittskandidaten Moldau und Georgien werde man einer Einstufung aber zustimmen. Den großen Zwist beim Thema Abschiebungen hat die Ampel damit aber wohl nicht gelöst.

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