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Rauch steigt in der nordsyrischen Stadt Ras al-Ain während eines Angriffs der türkischen Armee auf.

© Mustafa Kaya/XinHua/dpa

Update

Erdogans Syrienkrieg: Was macht der Westen – außer zu reden?

Die Türkei baut an einem Neu-Osmanischen Reich. Die alten Partner der Türkei tun sich schwer mit einer Antwort. Sie muss schnell kommen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Alle nehmen sie den Mund ganz schön voll, Donald Trump sowieso, aber auch Angela Merkel, Annegret Kramp-Karrenbauer, Heiko Maas. Denn das Thema – die Türkei greift in Syrien die Kurden an – ist groß, die Lage kann einen Flächenbrand auslösen, sogar einen Weltenbrand. So viele Akteure sind beteiligt. Da will vieles bedacht sein, auch grundsätzlich.
Die Türkei soll sich zurücknehmen, sich zurückziehen in Nordsyrien, ist die Botschaft. Die richtet sich vor allem an den, der von der Türkei aus ein Neu-Osmanisches Reich zu errichten versucht: Recep Tayyip Erdogan. So einer lässt sich nicht so einfach beherrschen. Der Präsident, der mehr einem Sultan ähnelt, macht, was er will. Was machen dann die, die mit ihm verbündet sind, außer zu reden? Außer, wie jetzt die Kanzlerin, einen sofortigen Stopp der Offensive gegen die Kurden zu fordern? Das ist die Preisfrage.
Tatsache ist, dass alles Handeln seinen Preis hat. In jeder Hinsicht. Die Türkei ist Nato-Partner, noch dazu an der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident. Allein schon das ist eine sicherheitspolitisch herausragende Position. Wie sich ja gerade zeigt. Würde die Türkei jetzt hart angefasst, ihr wegen des in der Nato unabgestimmten Verhaltens der Rauswurf angedroht, verlöre sie viel, unter anderem die Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des Nordatlantikpakts. Aber der Westen verlöre auch – und zwar die Türkei an Russland und China. Die stehen, ähnlich autoritär geführt, als Partner bereit. Und sind auch in Syrien.
Außerdem ist die Türkei unter Erdogan immer noch Bewerber um eine EU-Mitgliedschaft. Kommen Sanktionen von EU-Staaten, könnte die Regierung in Ankara beschließen, noch stärker und härter als bisher regionale Vormacht werden zu wollen. Dann würde nicht deeskaliert, sondern das Gegenteil: Erdogan nähme womöglich gar keine Rücksicht mehr.

Erdogan will mehr als ihm zusteht

Zumal er den Kampf gegen die Kurden damit erklärt, dass sie militärisch mit der PKK verbunden seien. Diese Organisation wird nicht nur von der Türkei, sondern auch von der EU, den USA und Deutschland als Terrororganisation eingestuft. Hinzu kommt, dass Erdogan vom Westen nicht das Recht bestritten wird, die Grenzen der Türkei zu sichern. Allerdings will er mehr, er will hinter der Grenze einen Sicherheitspuffer schaffen. Syriens Machthaber Baschar al Assad antwortet darauf, militärisch. Was die gefährliche Lage zusätzlich verkompliziert. Apropos Grenzen: Der EU-Flüchtlingspakt sichert Ankara auch wegen der Wirtschaftslage dringend benötigte Milliarden Euro – aber den Europäern, voran den Deutschen, dass keine Millionen Zufluchtsuchende kommen.

Was bleibt? Den Mund nicht zu voll zu nehmen – und trotzdem schnell das zu tun, was machbar ist. Vorerst keine Waffen an die zweitgrößte Armee in der Nato zu liefern, das geht. Diejenigen – Politiker und andere – in der Türkei auszuwählen, die von Sanktionen persönlich getroffen würden, das geht auch. Wirtschaftssanktionen? Wo möglich. Aber gehandelt werden muss. Zu oft erweckt Politik den Eindruck, sie könne nicht rasch reagieren. Multilaterale besonders, weil die der Absprache bedarf. Deren Tempo ist allerdings dringend der Lage anzupassen. Alles Weitere gehört zur Preisfrage: Wie wichtig ist es dem Westen, Nato und EU, die Türkei dabeizuhaben? Die Antwort ist grundsätzlich. Und muss ehrlich sein. Denn sie kann, so oder so, alles verändern.

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