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Kanzler Olaf Scholz

© REUTERS/NADJA WOHLLEBEN

„Verhindern, dass es zur Eskalation kommt“: Scholz lehnt Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium ab

Soll die Ukraine mit westlichen Waffen russische Gebiete angreifen dürfen? Grünen-Politiker Anton Hofreiter spricht sich dafür aus. Kanzler Scholz erteilt der Forderung eine klare Absage.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht derzeit keinen Anlass für die Ausweitung des Einsatzgebiets westlicher Waffen im Ukrainekrieg. Bei einem „Bürgerdialog“ am Sonntag in Berlin wies der Kanzler Forderungen nach einem Einsatz der gelieferten Waffen auf russischem Staatsgebiet zurück. Für die deutschen Waffenlieferungen gebe es „klare Regeln, die mit der Ukraine vereinbart sind, und die funktionieren“, sagte Scholz. „Das ist jedenfalls meine These“, fügte er hinzu.

Das Ziel seiner Ukraine-Politik sei die „Verhinderung, dass da ein ganz großer Krieg draus wird“, ergänzte Scholz. Die Lieferung deutscher Waffen für die Selbstverteidigung der Ukraine diene auch dazu zu „verhindern, dass es zu einer Eskalation des Krieges, zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato kommt“.

Deutschland knüpft seine Waffenlieferungen an die Ukraine bislang an die Bedingung, dass diese nicht jenseits der Grenze auf russischem Territorium eingesetzt werden. Angesichts der schwieriger werdenden militärischen Lage hatte der Grünen-Außenpolitiker Anton Hofreiter am Wochenende gefordert, der Ukraine zu erlauben, mit westlichen Waffen doch auch russisches Territorium anzugreifen.

Hofreiter will Kiew den Einsatz westlicher Waffen in Russland erlauben

„Es geht hier um den Schutz der ukrainischen Bevölkerung“, sagte Hofreiter den Funke-Zeitungen. „Daher sollten wir die Ukraine nicht daran hindern, mit den gelieferten Waffen russische Kampfjets auch im russischen Luftraum abzuwehren.“ Das Völkerrecht erlaube es einem angegriffenen Staat, militärische Ziele im Land des Aggressors zu attackieren. Das sei Teil der Selbstverteidigung.

Russland passe die eigene Kriegsführung ständig an und nutze ukrainische Schwächen konsequent aus, betonte Hofreiter. Die russische Armee beschieße etwa Tag und Nacht vom eigenen Staatsgebiet aus die Stadt Charkiw im Nordosten der Ukraine.

„Seit kurzem nutzen die russischen Streitkräfte dafür vor allem Gleitbomben, mit denen gezielt Wohngebäude angegriffen werden“, sagte Hofreiter. Diese würden von Kampfjets über russischem Territorium abgeschossen und bräuchten nur 40 Sekunden, bis sie einschlügen. Dies könne durch kein Flugabwehrsystem verhindert werden, da der Luftalarm erst nach dem Einschlag ertöne. Es sei eine ernsthafte Debatte darüber notwendig, wie die Ukraine ihre Bevölkerung an der Grenze zu Russland besser schützen könne, sagte Hofreiter.

Kieswetter für westliche Luftabwehr über Ukraine

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter ging noch weiter und sprach sich dafür aus, dass westliche Staaten die Luftabwehr über dem Westen der Ukraine übernehmen. „Eine Koalition der Willigen könnte ihre eigene Luftabwehr in einem Korridor von 70 bis 100 Kilometern auf das westliche Territorium der Ukraine ausdehnen“, sagte Kiesewetter der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Auch der Einsatz westlicher Truppen, zum Beispiel für Logistik, Instandsetzung, Sanitätsdienste und Minenräumung in der Ukraine wäre mit dem Völkerrecht vereinbar.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte sich vor einer Woche im Exklusivinterview mit der Nachrichtenagentur AFP kritisch zu der Einschränkung geäußert, westliche Waffen nicht für Angriffe auf russisches Territorium nutzen zu dürfen. Russland könne von seinem Gebiet aus sämtliche Waffen auf die Ukraine abfeuern, der Ukraine sei dies umgekehrt nicht möglich. „Das ist der größte Vorteil, den Russland hat“, sagte er.

Verbote könnten gelockert werden

Großbritannien und die USA hatten zuletzt angedeutet, dass diese Verbote gelockert werden könnten. US-Außenminister Antony Blinken hatte bei einem Besuch in Kiew betont, die Ukraine müsse letztlich selbst entscheiden, wie sie den Krieg führe.

Scholz sagte am Sonntag, er werde an seinen bisherigen Kriterien für die Lieferung von Waffen an die Ukraine festhalten - nämlich, eine Ausweitung des Kriegs zu verhindern. Deutschland habe bereits Waffen im Wert von 28 Milliarden Euro zugesagt oder geliefert. „Deutschland ist, wie alle wissen, der größte Unterstützer der Ukraine in Europa“, sagte der Kanzler.

Zugleich bemühe sich Deutschland um diplomatische Wege zur Beilegung es Kriegs, sagte Scholz. „Es geht jetzt noch nicht um die ganz großen Fragen“, sagte er. Aber es gehe etwa um den Schutz des Atomkraftwerks Saporischschja, um Getreideexporte und den Austausch von Gefangenen. „Das ist ein kleines Pflänzchen, von dem ich hoffe, dass daraus mehr wächst“, sagte Scholz. „Und deshalb pflegen wir das auch und versuchen, möglichst viele Länder dabei zu haben.“

Grünen-Politiker Hofreiter rief vor dem Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Deutschland die Regierungen in Berlin und Paris dazu auf, ihre Unterstützung für die Ukraine auszuweiten. Zwar gehörten Deutschland und Frankreich zu den größten Unterstützern der Ukraine. „Leider ist das aber immer noch nicht genug“, sagte er den Funke-Zeitungen.

Hofreiter forderte zudem einen 500 Milliarden Euro schweren europäischen Verteidigungsfonds. „Damit sollten Rüstungsprojekte, an denen mindestens drei Mitgliedsstaaten beteiligt sind, bis zu 30 Prozent finanziert werden - vorausgesetzt, das investierte Geld geht zu 80 Prozent an europäische Unternehmen.“ Die Mittel sollten auch dazu genutzt werden, die europäische Infrastruktur zu härten, sagte Hofreiter.

Zur Finanzierung schlug der Grünen-Politiker vor, den Verteidigungsfonds ähnlich wie den Corona-Wiederaufbaufonds zu gestalten. „Dafür würde die EU-Kommission an den Kapitalmärkten Kredite aufnehmen.“

Hofreiter forderte zudem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, mit Frankreich in einen Dialog über die Rolle der französischen Atomwaffen bei der gemeinsamen europäischen Verteidigung zu treten. „Macron hat das bereits mehrfach angeboten. Bisher wurden seine Vorstöße leider nicht angenommen“, kritisierte Hofreiter. (AFP)

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