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US-Präsident Joe Biden bei seiner Rede am Abend des 4. Juli vor dem Weißen Haus.

© Evelyn Hockstein/REUTERS

Joe Bidens Unabhängigkeitsfest: Der Mutmacher im Weißen Haus

Am Nationalfeiertag wollte Biden die Unabhängigkeit vom Coronavirus feiern. Auch wenn das Ziel noch nicht erreicht ist: Der US-Präsident setzt auf Optimismus.

An diesem Abend geht es wirklich vor allem um sie. Um die Krankenschwestern, Feuerwehrleute, Angehörige des Militärs. Rund 1000 von ihnen hat US-Präsident Joe Biden am Sonntag ins Weiße Haus eingeladen, um mit ihnen den 4. Juli zu begehen, den Unabhängigkeitstag und damit den Geburtstag der Vereinigten Staaten von Amerika. Nach fast anderthalb Jahren Pandemie, angesichts sinkender Fallzahlen und eines ordentlichen Erfolgs der Impfkampagne will Biden nun die „Unabhängigkeit von dem tödlichen Virus“ feiern.

Die „first responder“ sind zum Barbecue mit anschließender Rede des Präsidenten und dem traditionellen Feuerwerk auf der South Lawn, dem Rasen vor dem Weißen Haus, geladen. In der Schlange vor dem Einlass steht auch Andrea Hall aus Georgia, jene schwarze Feuerwehrfrau, die bei Bidens Amtseinführung am 20. Januar den „Pledge of Allegiance“, das Treue-Gelöbnis gegenüber der Nation und der Flagge der Vereinigten Staaten, gesprochen hat.

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„Es ist aufregend, heute Abend hier zu sein, und wir haben uns so darüber gefreut, endlich wieder auszugehen und gemeinsam mit anderen den Geburtstag unserer Landes feiern zu können“, sagt Hall. Die meisten Feiern in letzter Zeit hätten ja nur virtuell stattgefunden. „Wir Amerikaner sahen uns so einigen Herausforderungen ausgesetzt in den vergangenen Monaten, und dass wir nun zusammenkommen, um miteinander zu feiern, ist etwas ganz Besonderes.“

Biden will den Zusammenhalt Amerikas feiern

„America is back together“ lautet das Motto dieses Abends, und damit ist nicht nur das Wiederzusammensein nach der Pandemie gemeint, sondern auch Bidens Versprechen, das gespaltene Land wieder zusammenzubringen. Allerdings sind die Feierlichkeiten nicht ganz ungetrübt.

Denn sein anderes großes Versprechen, dass bis zum 4. Juli 70 Prozent der Erwachsenen mindestens einmal geimpft sein sollten, hat der Präsident nicht erreicht. Es sind nur 67 Prozent, was ganz unterschiedliche Gründe hat - unter anderem den, dass die Impfskepsis unter jungen Amerikanern, aber besonders auch in den konservativen, ländlich geprägten Bundesstaaten sehr hoch ist. Seit Wochen touren Biden, seine Frau, Vizepräsidentin Kamala Harris und ihr Mann daher durchs Land, um möglichst viele Menschen zu motivieren, sich doch eine Spritze setzen zu lassen.

[Mehr über die Probleme bei der Impfkampagne in den USA können Abonnenten von T+ hier lesen: Wie Impfskeptiker die Erfolge der USA gefährden]

Bei seiner kurzen Rede am Sonntagabend wirbt der Präsident erneut eindringlich für das gemeinsame Ziel. Sich impfen zu lassen, sei das „Patriotischste“, was die Amerikaner jetzt tun könnten, sagt er fast flehentlich. „Also bitte: Falls Sie noch nicht geimpft sind, tun Sie es. Tun Sie es jetzt - für sich selbst, für Ihre Lieben, für Ihre Gemeinde, für Ihr Land.“

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Das Virus sei noch nicht besiegt, mehr als 605.000 Amerikaner seien bereits daran gestorben, und außerdem gebe es nun neue gefährliche Mutationen wie die Delta Variante. Die beste Verteidigung gegen diese Varianten sei es, sich impfen zu lassen. Dank der Impfungen kontrolliere das Virus das Leben der Menschen nicht mehr, „es lähmt unser Land nicht mehr, und es liegt in unserer Macht, dafür zu sorgen, dass es nie wieder so kommt“, sagt Biden.

Covid-Stationen schließen, da die Patienten ausbleiben

Für Melissa Wesby sind solche Worte ihres Präsidenten enorm wichtig. Auch die Krankenschwester an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore ist eine der 1000 glücklichen Amerikaner, die diesen 4. Juli zusammen mit ihrer Familie im Garten des Weißen Hauses verbringen dürfen. Die hochgewachsene Afroamerikanerin im weißen ärmellosen Leinenkleid hat die Schuhe ausgezogen, in der Hand hält sie einen Fächer in den Farben der amerikanischen Flagge - Patriotismus gehört an Tagen wie diesen in Amerika einfach dazu.

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„Was für ein Abend“, ruft die 42-Jährige begeistert, nachdem Biden seine Rede beendet hat. „Wir haben gemeinsam so viel überwunden in den vergangenen Monaten, darum bedeutet mir dieser Abend gerade alles.“

Zeit für Selfies: First Lady Jill Biden.
Zeit für Selfies: First Lady Jill Biden.

© Juliane Schäuble

Ihre Covid-Station sei gerade geschlossen worden, erzählt sie, weil die Zahl der Patienten zuletzt so stark zurückgegangen sei. „Das ist ein riesiger Schritt. Ich habe wieder Hoffnung, vor allem auch, weil nun dieser Präsident regiert“, sagt sie. Dass sie als Schwarze auf dem Rasen des Weißen Hauses, das ihre Vorfahren erbaut hätten, barfuß feiern könne, sei einfach nur großartig.

Was an diesem Abend besonders auffällt, ist die Abwesenheit bombastischer Elemente, wie sie Bidens Vorgänger Donald Trump so häufig eingesetzt hatte. So glich der 4. Juli vor zwei Jahren, die der Republikaner auch noch vor das Lincoln Memorial verlegte, mehr einer Militärschau als den traditionell bodenständigen Feierlichkeiten, die in Amerikas Hauptstadt zelebriert wurden.

Trump war stolz darauf, Panzer vor der Gedenkstätte positionieren und Kampfflugzeuge über die Zuschauer donnern zu lassen, Inszenierung und Rede ähnelten seinen üblichen Wahlkampf-Rallys.

Ein Selfie nach dem anderen

Ganz anders das erste große Fest von Joe Biden seit seinem Einzug ins Weiße Haus. Die Nr. 46 im Weißen Haus redet nur wenige Minuten, vieles davon hat Biden schon mehrfach gesagt. Ein beeindruckender Redner wie etwa Barack Obama, dem er acht Jahre lang als Vizepräsident zur Seite stand, ist er bekanntermaßen nicht.

Dafür lässt er es sich am Sonntag aber nicht nehmen, anschließend mehr als eine Stunde lang die Reihe seiner Gäste abzulaufen und Selfies zu machen. Diese persönlichen Begegnungen, so kurz sie auch sind, sind das, was Biden liebt, da ist er in seinem Element - und sind etwas, was er aufgrund der Pandemie so lange nicht machen durfte.

Er nimmt Kinder an der Hand, tätschelt Schultern von Männern und Frauen, manchmal lehnt er auch die Stirn an die seines Gegenübers, wenn dessen Worte besonders emotional sind. Zu Rollstuhlfahrern beugt er sich hinab oder geht in die Knie. Seine Sicherheitsleute schauen zwar skeptisch, wirken aber nicht übermäßig angespannt - sie kennen ihren Präsidenten offensichtlich.

Der Tröster der Nation

Zu sehen ist Joe Biden in seiner vielleicht bedeutendsten Rolle: der des Trösters der Nation. Die wirkt bei ihm allein deshalb glaubwürdig, weil er selbst schon so viel Leid in seinem Leben erfahren hat. So musste er seine erste Frau, eine Tochter und vor wenigen Jahren seinen ältesten Sohn begraben.

Das traditionelle Feuerwerk über der Mall in Washington.
Das traditionelle Feuerwerk über der Mall in Washington.

© imago images/UPI Photo

Die heutige Frau an seiner Seite, Jill Biden, wird von den meisten Amerikanern ebenfalls wegen ihrer großen Empathie-Fähigkeit geschätzt. Als „Dr. Biden“ im weißen Spitzenkleid die South Lawn betritt, brandet Jubel auf. Wie ihr Mann schreitet sie mit viel Geduld die Reihen ab und hat für jeden und jede ein freundliches Wort und ein bisschen Aufmerksamkeit übrig. Sogar für die anwesenden Journalisten, mit denen sie ein Erinnerungsfoto macht.

Am Sonntag präsentiert sich ein eingespieltes Präsidentenpaar, das weniger auf Show und Glamour als auf Nahbarkeit und Menschlichkeit setzt. 16 Monate nach Beginn der Pandemie, bei der Abstandhalten das oberste Gebot war, ist allein das für viele ein mutmachender Anblick.

Als das Feuerwerk über der Mall den Washingtoner Himmel erleuchtet, haben sich die Bidens auf den Balkon des Weißen Hauses zurückgezogen, an ihrer Seite haben sich die Familienmitglieder versammelt. Jill Biden tanzt ein bisschen zur Musik, der Präsident steht mal Arm in Arm neben ihr, aber auch mal alleine an der Brüstung. Dann schaut er regungslos hinunter zu seinem Volk.

In Miami stirbt an diesem Abend die Hoffnung - Biden war gerade da

Was ihm in diesem Moment durch den Kopf geht, weiß nur er selber. Sicher ist indes: Seit knapp sechs Monaten sind sämtliche Krisen, die dieses Land durchmacht, seine Krisen. Und die sind manchmal gewaltig. Zum Beispiel die Tragödie von Miami, wo nach dem Einsturz eines mehrstöckigen Gebäudes seit Tagen fieberhaft und zunehmend vergeblich nach Überlebenden gesucht wird. Biden war am Donnerstag vor Ort und hat mit den Angehörigen gesprochen - so lange, wie diese das wollten, wird berichtet.

Kurz, nachdem das offizielle Feuerwerk am Sonntag vorbei ist, ploppt die Eilmeldung auf den Smartphones auf, dass das zerstörte Gebäude nun abgerissen werde. Hoffnung auf weitere Überlebende gibt es damit endgültig keine mehr.

Biden wird das schon vor seiner Rede gewusst haben. Bei aller Erfahrung, die der 78-Jährige in seinen Jahrzehnten in der Politik gesammelt hat: Leicht wiegt seine Verantwortung ganz bestimmt nicht. Auch nicht an einem Abend wie diesem.

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