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Aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks Isar II steigt seit Mitte April kein Wasserdampf mehr auf.

© Armin Weigel/dpa

Neun Monate nach Atomausstieg: Deutschland muss sich plötzlich Strom zukaufen

Erstmals seit 2002 importiert Deutschland wieder mehr Strom als es exportiert. Das hängt auch mit dem Atomausstieg zusammen, kritisieren Opposition und Experten.

Robert Habeck gab sich zufrieden: „Wir haben einen Aufwärtstrend erreicht und setzen diesen fort. Das ist gut für die Wirtschaft und gut fürs Klima“, teilte der Bundeswirtschaftsminister am Mittwoch mit, nachdem bekannt geworden war, dass in 2023 in Deutschland erstmals mehr als die Hälfte der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien stammt.

Doch die Zahlen zur Stromerzeugung im vergangenen Jahr, die am Mittwoch von der Bundesnetzagentur veröffentlicht wurden, können auch ganz anders gelesen werden. Nicht nur, dass Deutschland 2023 insgesamt fast zehn Prozent weniger Strom produzierte, erstmals seit 2002 war die Bundesrepublik auch wieder Nettostromimporteur und musste Energie aus den Nachbarländern zukaufen.

Um 63 Prozent stieg der Import von Strom im Vergleich zum Vorjahr während die Stromexporte um 24,7 Prozent einbrachen. Selbst innerhalb der Ampel alarmiert das Energiepolitiker. „Der starke Anstieg von Stromimporten nach Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke ist unübersehbar. Zu Zeiten, in denen Erneuerbare nicht verlässlich liefern, ist Deutschland sehr abhängig vom Ausland geworden“, sagte der energiepolitische Sprecher der FDP, Michael Kruse, dem Tagesspiegel.

Michael Kruse ist energiepolitischer Sprecher der FDP im Bundestag.
Michael Kruse ist energiepolitischer Sprecher der FDP im Bundestag.

© Foto: Imago/serienlicht

Tatsächlich lässt sich in den Berechnungen des Branchenverbandes BDEW aus dem Dezember ablesen, dass seit Ende April fast immer mehr Strom zuge- als verkauft hat. „Letztlich sind auch die Stilllegung der letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland und die im Vergleich zum Vorjahr höhere Verfügbarkeit der Kernenergie in Frankreich Gründe für den Importüberschuss“, heißt es dort.

Der Strom wäre auf jeden Fall etwas billiger, wenn wir unsere Atomkraftwerke noch am Netz hätten.

Christian Rehtanz, Professor für Energiewirtschaft an der Technischen Universität Dortmund, hält den Atomausstieg für einen Fehler.

Der deutsche Atomstrom wurde unter anderem mit französischem Atomstrom ersetzt. Um 233 Prozentpunkte stieg bis Dezember der Stromexport aus Frankreich im Vergleich zu 2022, als viele französische AKW nicht zur Verfügung standen. Insgesamt stammt rund ein Viertel des importierten Stroms aus Atomkraftwerken, etwa 50 Prozent aus Erneuerbaren.

Das Problem mit dem teuren deutschen Strom

Für Christian Rehtanz, Professor für Energiewirtschaft an der Technischen Universität Dortmund, hängt die niedrige Stromproduktion und die hohe Importquote vor allem mit den hohen Kosten der deutschen Stromproduktion zusammen. Denn der Preis wird durch das teuer gekaufte LNG-Gas, das dann verstromt wird, erhöht. „Solange wir unsere Kraftwerke mit LNG-Gas aus den USA betreiben, kann unser Strom nicht günstiger sein als in den Vereinigten Staaten“, sagt Rehtanz.

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Der Wirtschaftsstandort Deutschland würde darunter leiden, zudem sei das LNG aus den USA meist Fracking-Gas und damit besonders klimaschädlich. Rehtanz sieht die deutsche Energiepolitik kritisch: „Der Strom wäre auf jeden Fall etwas billiger, wenn wir unsere Atomkraftwerke noch am Netz hätten“, sagte er dem Tagesspiegel. Dass man nun auf Exporte setze, sei nicht verwerflich, aber:Andere Länder sind in ihren Strategien für Krisenfälle viel unabhängiger aufgestellt als Deutschland“

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Auch die Opposition sieht die neusten Daten der Bundesnetzagentur mit großer Sorge. „Deutschland wird zum Strom-Not-Land. Die Ampel verschärft mit ihrer ideologischen Politik das Stromproblem, Unternehmen und Bürger zahlen dafür mit viel zu hohen Strompreisen“, sagte CDU-Fraktionsvize Jens Spahn. Es sei schlicht verantwortungslos gewesen von der Ampel, die drei verbliebenen Atomkraftwerke abzuschalten.

Die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Ingrid Nestle, sieht das dagegen ganz anders. „Die Versorgungssicherheit bleibt weiterhin auf einem hohen Niveau“, sagte sie und freute sich über den Ausbau der Erneuerbaren. „Der Wegfall der verbleibenden drei Atomkraftwerke konnte problemlos ausgeglichen werden“, sagte sie.

Tatsächlich deckten die drei deutschen AKW 2022 nur noch sechs Prozent des deutschen Strombedarfs, die Erneuerbaren produzierten aber 2023 7,5 Prozent mehr Strom. In absoluten Terrawattstunden bleibt jedoch ein Defizit. Die Zahlen der Bundesnetzagentur können so und so gelesen werden.

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