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Warum in die Ferne schweifen? In Coronazeiten erfreuen sich die deutschen Küsten neuer Beliebtheit.

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„Oster-Arrest bei womöglich schönstem Frühlingswetter“?: Merkels Osterdilemma – und die Angst vor der dritten Welle

Kann Osterurlaub möglich sein? Viele Bürger suchen schon Unterkünfte im Inland. Die Beherbergungsbranche ist in Existenzsagst - droht notfalls eine Klagewelle?

Karl Lauterbach wird von vielen Seiten angefeindet, erhält Morddrohungen, weil er der Überbringer unbequemer Botschaften ist. So auch jetzt bei der Debatte, ob Osterreisen möglich sein sollen.

„Das Problem, was auf uns zukommen kann: Die Fallzahlen sinken bis Mitte März, steigen dann automatisch wieder, weil die B117- und B135-Varianten mehr als Hälfte der Neuinfektionen ausmachen“, betont der SPD-Gesundheitsexperte. Wer da zu viel lockere und wenn dazu Osterreisen im großen Stil stattfänden, dann drohe eine „massive 3. Welle.“

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Das ist das grundlegende Dilemma der Politik, das sich nun Woche für Woche verschärfen wird, das gespaltene Bild, wie es Kanzlerin Angela Merkel (CDU) umschreibt. Noch wartet Merkel ab. Im Nachhinein war es goldrichtig, den Weihnachtsreiseverkehr mit Auflagen und Appellen stark einzudämmen, sie dürfte wenig Interesse an großem Osterreiseverkehr haben.

Viele Bürger wollen aber ein Hoffnungssignal, die Beherbergungs- und Gastwirtschaft fürchtet eine Insolvenzwelle. Die Zahlen gehen runter, zugleich sind da aktuell Bilder von kilometerlangen Staus an den Grenzen zu Tschechien und Tirol, Kontrollen, tausende Zurückweisungen, weil sich dort Mutationen munter ausgebreitet haben. Die für Europa schwierigen Bilder, der Ärger mit den Nachbarn zeigt, wie fragil die Lage ist.

Wenn bei der nächsten Bund/Länder-Schalte am 3. März über die weiteren Lockerungsschritte beraten wird, ist es noch etwas über vier Wochen bis zum Osterfest. Sinken die Zahlen weiter, sind reihenweise juristische Klagen aus betroffenen Branchen für weitere Öffnungen zu erwarten, wird intern betont. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat für Berlin eine Inzidenz von 20 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in sieben Tagen ins Spiel gebracht, um Touristen Übernachtungen wieder zu erlauben.

Wenn es um Lockerungen geht, kommt vorerst vor allem der Urlaub in Ferienwohnungen im Inland ins Spiel. Das zeigen neue Zahlen der größten Internetsuchmaschine für Ferienhäuser, HomeToGo, die dem Tagesspiegel vorliegen. 70 Prozent der Suche nach Unterkünften für die Osterferien entfallen auf Deutschland, das sind gut 40 Prozent mehr als im Vorjahr. „Wir sehen aktuell für die Osterferien bereits viele Buchungen“, sagt Unternehmenssprecher Jonas Upmann.

Ob sich das bis Ostern ändert? Bundespolizisten kontrollieren Reisende in Richtung Deutschland. Die verschärften deutschen Einreiseregeln an der Grenze zum österreichischen Bundesland Tirol zum Schutz vor gefährlichen Varianten des Coronavirus sind in der Nacht zu Sonntag in Kraft getreten.
Ob sich das bis Ostern ändert? Bundespolizisten kontrollieren Reisende in Richtung Deutschland. Die verschärften deutschen Einreiseregeln an der Grenze zum österreichischen Bundesland Tirol zum Schutz vor gefährlichen Varianten des Coronavirus sind in der Nacht zu Sonntag in Kraft getreten.

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Last-Minute-Welle erwartet

Allerdings dürften die meisten Urlauber sehr kurzfristig buchen, nämlich dann, wenn sich abzeichnet, ob Osterurlaub möglich ist oder nicht. Derzeit sind etwa für Rügen noch 67 Prozent der Ferienwohnungen und -häuser zu Ostern frei.

Sie sind beliebt, weil man dort Coronakonform für sich sein kann - anders als im Hotel gibt es keinen direkten Kontakt zu anderen Gästen.

Doch anders als bei einer Pauschalreise laufen Reisende hier Gefahr, auf den Kosten sitzen zu bleiben, wenn Corona die Ferien vereitelt. Falls die Behörden - wie derzeit - ein pauschales Beherbergungsverbot für Touristen verhängen, muss man nicht zahlen. Wer das Geld schon überwiesen hat, bekommt es zurück, sagt der Berliner Reiserechtsanwalt Roosbeh Karimi.

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Anders ist die Lage, wenn nur Menschen aus Gebieten mit hohen Infektionszahlen nicht anreisen dürfen, so wie es etwa Berliner und Berlinerinnen im vergangenen Oktober getroffen hatte. Die Rechtslage ist in diesem Fall unklar.

Daher ist es kein Wunder, dass immer mehr Menschen gezielt nach Objekten suchen, die man auch kurzfristig kostenfrei stornieren kann. „Wenn es flexible Stornierungsbedingungen gibt, dann erleichtert es die Buchungsentscheidung“, sagt Manuela Schütze von der Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein.

Das haben auch die großen Reiseveranstalter erkannt. Tui, FTI und DER Touristik bieten gegen Aufpreis Tarife an, die man kostenfrei stornieren oder umbuchen kann. „Weit über zwei Drittel aller Neubuchungen sind aktuell Flexbuchungen“, so Tui-Deutschland-Chef Marek Andryszak.

Besonders beliebt seien für den Sommer aktuell Griechenland und Spanien, aber auch Bayern und die Ostseeküste.

Der Ostseestrand von Brasilien im Kreis Plön: die Copacabana der Nordlichter?
Der Ostseestrand von Brasilien im Kreis Plön: die Copacabana der Nordlichter?

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Noch ein Problem, das zumindest für den Auslandsurlaub einen gewissen Buchungsdruck entfaltet: Viele Airlines und Reiseveranstalter haben ihre Kunden im vergangenen Jahr mit Gutscheinen für ausgefallene Reisen entschädigt. Einige werden jetzt nach einem Jahr fällig, sonst droht ein Verlust der Ausgaben. Doch Auslandsreisen sind derzeit kaum möglich, ohne anschließend in Quarantäne zu müssen. Anwalt Karimi rät Betroffenen, mit den Unternehmen über einen Gutscheintausch zu sprechen. „Fordern Sie, dass der neue Gutschein insolvenzgeschützt ist und Sie das Recht haben, sich das Geld auszahlen zu lassen, falls eine Reise in diesem Jahr nicht möglich ist.“

Für wen greift Merkels 35-er-Versprechen?

Ausgelöst hat die Oster-Debatte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der sagte: „Osterurlaub in Deutschland kann es dieses Jahr leider nicht geben“. Zu große Mobilität bereits im April sei Gift, das würde die Lockdown-Erfolge zerstören. In Sachsen sollen über Ostern Hotels und Restaurants zu bleiben.

Ihm pflichtet auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) bei: „Wir haben keine Fakten, wie die Pandemie in vier Wochen aussieht.“ Daher sei jetzt nicht die Zeit für falsche Versprechen.

Seit November gilt, dass Übernachtungsangebote im Inland „nur noch für notwendige und ausdrücklich nicht touristische Zwecke zur Verfügung gestellt werden.“

Hält Osterreisen wegen der Pandemie für zu riskant: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).
Hält Osterreisen wegen der Pandemie für zu riskant: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).

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Merkel hat nach der Öffnung des Handels - ab 7. März, wenn die Infektionszahlen mehrere Tage unter 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in sieben Tagen liegen – den nächsten Öffnungsschritt zwei Wochen später in Aussicht gestellt, wenn die 35-Inzidenz gehalten wird. Aber offengelassen, was dann geöffnet werden könnte.

Noch ist unklar, ob für den Tourismussektor ein eigener Wert festgelegt wird - zum Beispiel jene 20er-Inzidenz von Michael Müller.

Klar ist: Es braucht bundesweite Regeln, um einseitige Reiseverkehre und einen Flickenteppich mit Beherbergungs-Regeln zu verhindern.

Vor allem braucht es eine flächendeckende Schnelltest-Strategie für den Tourismussektor, um ihn unabhängig vom Zeitpunkt des Neustarts sicherer zu machen.

Der Ton wird bereits rauer: Der Präsident des Ferienwohnungs-Verbandes, Daniel Rousta, wirft Kretschmer vor, „trotz erfreulich sinkender Infektionswerte einen Oster-Arrest bei womöglich schönstem Frühlingswetter“ das Wort zu reden. Er überschreite hier alle Grenzen.

Laut einer aktuellen Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) betrug der Umsatzverlust im Januar im Vergleich zum Vorjahr 78,0 Prozent.

„Ende Februar sind wir schon wieder vier Monate geschlossen“, sagt Präsident Guido Zöllick. Er pocht auf Öffnungen zu Ostern. Ein Problem sei auch die schleppende Auszahlung der Hilfen. Erst 63,5 Prozent der Betriebe haben laut einer Verbands-Umfrage die kompletten Novemberhilfen erhalten. Laut einer Umfrage unter den Mitgliedern seien 40,5 Prozent der Betriebe für eine Öffnung zeitgleich mit dem Handel, möglicherweise am 7. März. 43,1 Prozent plädierten für eine Öffnung rechtzeitig vor Ostern, um den 25. März herum. „Die Verzweiflung und die existenziellen Sorgen in der Branche sind immens groß", sagt Zöllick.

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