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Seitdem sich Großbritannien mehrheitlich gegen den Verbleib in der EU ausgesprochen hat, protestieren Menschen gegen das Ergebnis des Referendums.

© AFP

Protest in Großbritannien: Brexit-Gegner picknicken jetzt für Europa

Nach dem britischen Votum gegen die EU-Mitgliedschaft versuchen die unterlegenen Brexit-Gegner mit Aktionen auf sich aufmerksam zu machen. Ob sich die Politik allerdings davon beeindrucken lässt, ist unwahrscheinlich.

Es ist nicht unbedingt Picknickwetter, als sich knapp 200 Menschen im Green Park in der Mitte von London treffen. Am Vormittag brannte noch die Sonne auf die Stadt, jetzt haben sich Wolken davor geschoben. Englischer Sommer, so nennen sie das hier. Sie meinen damit schlechtes Wetter in Zeiten, in denen es nichts zu suchen hat. Den Menschen im Green Park ist das egal. In kleinen Gruppen sitzen sie auf Decken im Gras, zwischen ihnen Hummus, Sandwiches, Pimms in Plastikbechern – und Europaflaggen.

Bei dem Picknick, das an diesem Samstagnachmittag ganz in der Nähe des Buckingham Palace stattfindet, geht es nicht um Freizeit. Es geht um Großbritanniens Zukunft. Und die sehen die Menschen, die sich hier treffen, in Europa.

Seitdem sich Großbritannien Ende Juni mehrheitlich gegen den Verbleib in der EU ausgesprochen hat, protestieren Menschen gegen das Ergebnis des Referendums. Begonnen hatte dieser Protest mit einer Petition, die bereits vor der Volksabstimmung auf der Seite des britischen Parlaments gepostet worden war. Darin wird gefordert, das Referendum bei knappem Ergebnis zu wiederholen. Gepostet hatte die Petition ein Brexit-Unterstützer. Nach dem Referendum jedoch kaperten die Brexit-Gegner die Petition. Innerhalb weniger Tage unterzeichneten mehr als vier Millionen Menschen.

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Fast zeitgleich begannen die Menschen für Europa auf die Straße zu gehen. Bereits zwei Tage nach dem Referendum versammelten sich rund 2000 größtenteils junge Menschen vor dem Parlamentsgebäude in Westminster und forderten die Politiker auf, das Ergebnis anzufechten. Viele von ihnen hatten Europaflaggen mit auf den Parliament Square gebracht, „We love EU“ war auf ihren Plakaten zu lesen.

Solche Begeisterungsstürme für die EU waren bis dahin im schon lange euroskeptischen Großbritannien eher nicht an der Tagesordnung. Selbst die Kampagne der Brexit-Gegner setzte eher auf logische und wirtschaftliche Argumente als auf Emotionen. Die britische Mitgliedschaft in der Europäischen Union wurde als die klügere Option dargestellt, Begriffe wie Solidarität und Partnerschaft wurden nur selten in den Mund genommen.

Am Nachmittag im Green Park ist es vor allem Solidarität, die die Menschen hier verbindet. Ein älterer Herr mit kurzen, grauen Haaren stellt sich in die Mitte der Picknicker. In der Hand hält er ein Schild. Darauf hat jemand die Europaflagge gemalt, den gelben Sternenkreis auf Blau. In der Mitte des Kreises prangt ein rotes Herz. Der Mann begrüßt die Anwesenden und erklärt die Veranstaltung für eröffnet. „Wir werden uns jetzt erst einmal eine halbe Stunde darüber unterhalten, wie es uns mit der Entscheidung geht“, sagt er. Danach wolle man Kleingruppen brainstormen, darüber nachdenken, wie man jetzt weiter verfahren will. Die Ideen haben die Teilnehmer online eingereicht. Über Social Media soll darüber abgestimmt werden. Sie reichen von der klassischen Forderung eines zweiten Referendums und der Gründung einer gemeinsamen Organisation für alle Brexitgegner bis hin zur Massenaufgabe der britischen Staatsbürgerschaft und „sanfter Sabotage“.

Die Veranstaltung im Green Park ist im Vergleich zu anderen Anti-Brexit-Protesten eher klein. Die bisher größte Veranstaltung fand am 2. Juli statt. Unter dem Motto „March for Europe“ versammelten sich zehntausende Menschen in London und zogen in einem riesigen Protestzug durch die Stadt. Innerhalb weniger Tage hatten die Teilnehmer sich über Facebook organisiert. Ihre Forderungen waren die gleichen wie schon bei den vorherigen Protesten – Umkehr. Man dürfe eine komplexe Entscheidung wie die über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens nicht einer Volksabstimmung überlassen, sagte Keiran MacDermott, einer der Organisatoren im Interview mit der BBC. Die Entscheidung der britischen Bevölkerung ist nicht bindend. MacDermott plädiert deshalb dafür, dass die Abgeordneten darüber entscheiden. „Wir haben Parlamentshoheit“, sagte er, „die Demokratie hat nicht am letzten Donnerstag aufgehört zu existieren“.

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Doch gerade auf die Demokratie berufen sich auch die Brexit-Unterstützer, nur sprechen sie dabei vom Willen der Basis. Und da diese in der Mehrheit für den Brexit gestimmt hat, wird es für die Freunde der EU schwer werden, die Volksvertreter dazu zu überreden, über eine Umkehrung des Votums im Parlament auch nur nachzudenken. Zu groß wäre die politische Sprengkraft, würde der Wunsch von mehr als 17 Millionen Bürgern missachtet. Eine undemokratische Entscheidung für die Mitgliedschaft in der undemokratischen Europäischen Union – vor diesem Urteil fürchtet man sich im britischen Parlament wohl. Bisher hat keine der großen Parteien die Gültigkeit der Entscheidung vom 26. Juli angezweifelt. Die Zukunftspläne der Parteien, soweit man beim internen und übergreifenden Durcheinander davon momentan sprechen kann, sind alle von Kopf bis Fuß auf Brexit eingestellt. Lediglich die Liberaldemokraten wollen bei der nächsten Wahl mit einem Pro-EU-Wahlprogramm punkten. Doch die haben, ähnlich wie in Deutschland, bei der letzten Wahl massiv an Einfluss verloren und sind statt mit zuvor 57 momentan nur mehr mit acht Abgeordneten im Unterhaus vertreten.

Es ist Abend geworden im Green Park. Die Abstimmungsergebnisse stehen auf Facebook. Besonders viele Stimmen hat der Plan, am Ende des Monats einen Marsch für Europa mit einer Million Teilnehmer zu veranstalten, bekommen. „Wir müssen zeigen, dass wir uns das nicht gefallen lassen“, sagt eine Teilnehmerin, die sich einen Europastern auf die Wange gemalt hat. Einer nach dem anderen verlassen die Picknicker den Rasen. Nur noch vereinzelt sitzen Menschen mit Europaflaggen im Gras. Pappschilder liegen zwischen ihnen. „Europe, innit!“ steht in großen Buchstaben auf ihnen: Europa, was sonst? Man weiß nicht genau, ob das eine Feststellung oder eine Frage ist, an diesem Tag in London.

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