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Jürgen Trittin in der 72. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Berlin, 30.11.2022

© Imago/Future Image/Frederic Kern

Seine letzte Rede im Video: Jürgen Trittin verabschiedet sich aus dem Bundestag

Vier Jahrzehnte lang prägte der Grünen-Politiker seine Partei und das Land. In seiner letzten Rede im Bundestag warnte Trittin vor der Gefahr, die von Antidemokraten ausgeht.

Am Ende verbeugt sich Jürgen Trittin vor dem Deutschen Bundestag. Von der Linken, über die Parteien der Regierungskoalition, bis zur Union applaudieren die Abgeordneten des Parlaments dem 69-jährigen Grünen-Politiker. Nur die AfD stört immer wieder mit lauten Zwischenrufen, die jedoch von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas scharf zurückgewiesen werden. „Jürgen Trittin hat diesem Land gedient“, sagt sie. Ein Großteil der Abgeordneten erhebt sich für Trittin.

Es ist die Ehrerbietung der demokratischen Herzkammer für einen Politiker, der den Konflikt nie gescheut hat. Mit der Industrie, politischen Kontrahenten, häufig auch seiner eigenen Partei – und zu Beginn seiner politischen Laufbahn sogar mit dem System der Bundesrepublik.

Jürgen Trittin hat die Grünen und das Land geprägt in den vergangenen vier Jahrzehnten. 539 Mal hat er im letzten Vierteljahrhundert laut Protokollerwähnungen der Bundestagsverwaltung im Parlament das Wort ergriffen, an diesem Donnerstag – kurz vor seinem freiwilligen Ausscheiden aus der Politik zum Jahreswechsel – ein letztes Mal.

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Zu seinem Abschied hat sich fast die gesamte Grünen-Fraktion im Plenum versammelt. Vizekanzler Robert Habeck ist auf die Regierungsbank geeilt, Familienministerin Lisa Paus sitzt in den hinteren Reihen. Schon vor seiner Rede gibt es Umarmungen für und Selfies mit Trittin, der zu dem besonderen Anlass Anzug und Krawatte trägt. Ein bisschen wehmütig sei er, gibt er kurz vor der Sitzung zu.

Inhaltlich geht es an diesem Tag um die Halbzeitbilanz der Bundesregierung. Unter die Überschrift „Deutschland kann es besser“ hat die Union ihren eingebrachten Tagesordnungspunkt gestellt. Auf die Grundsatzkritik von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann geht Trittin kaum ein. Er verteidigt die Ampelkoalition, die in Krisenzeiten viel geleistet habe. „Gutes Regieren beweist sich in der Fähigkeit zur Umkehr“, sagt er.

Man darf Antidemokraten keine Macht übertragen. Nie wieder.

Grünen-Politiker Jürgen Trittin in seiner letzten Rede im Bundestag.

Mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr, einer nationalen Sicherheitsstrategie, der Abkehr von russischem Gas, der Einführung der Kindergrundsicherung und der Anhebung des Mindestlohns habe die Koalition einige politische Kehrtwenden eingeleitet und dennoch Kurs gehalten.

Das Ende seiner Redezeit ist schon lange erreicht – Bärbel Bas lässt ihn jedoch gewähren – da gibt Trittin seinen Abgeordneten-Kollegen einen letzten Rat mit. Ihn würden die gespaltenen Gesellschaften in den USA, Spanien oder den Niederlanden besorgen. „Deutschland ist zum Anker demokratischer Stabilität in Europa geworden“, sagt Trittin und wirbt für die Zusammenarbeit der demokratischen Parteien. „Man darf Antidemokraten keine Macht übertragen. Nie wieder“, sagt Trittin zum Schluss.

Es ist ein Ende, das zeigt, wie sehr sich der Mensch Jürgen Trittin über seine Jahrzehnte in der Politik verändert hat. Während seines Studiums in Göttingen engagierte er sich in diversen K-Gruppen, besetzte Häuser, nahm an Demonstrationen gegen die Bundeswehr teil. Seine Aktivitäten nannte er später „links-maoistisch“ und teils illegal.

Doch Anfang der 80er Jahre kam er über die Alternative Liste zu den Grünen und legte von da an eine vermutlich einmalige Karriere hin. Landtagsabgeordneter und Landesminister in Niedersachsen. Später erst Grünen-Vorsitzender, dann Bundesumweltminister im rot-grünen Bündnis unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD).

Neben Joschka Fischer kämpfte Jürgen Trittin beim Bielefelder Grünen-Parteitag 1999 für eine neue Position der Partei für Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Neben Joschka Fischer kämpfte Jürgen Trittin beim Bielefelder Grünen-Parteitag 1999 für eine neue Position der Partei für Auslandseinsätze der Bundeswehr.

© picture alliance / Gero Breloer/dpa

Als „Minister Dosenpfand“ wurde er wegen seines Kampfs gegen die Getränkeindustrie erst verspottet, dann gefeiert. Sein größter Erfolg sei jedoch der Ausstieg aus der Atomkraft und der Einstieg in die erneuerbaren Energien gewesen, bekannte er in seinem Abschiedsinterview im „Spiegel“: „Das war die Grundlage für die Dekarbonisierung der Welt.“

Sein politisches Vermächtnis verteidigte er bis zuletzt. Als im vergangenen Jahr die Bundesregierung in Folge der Gaskrise ernsthaft in Erwägung zog, neue Brennstäbe für den Betrieb der deutschen Atomkraftwerke zu besorgen, mobilisierte Trittin im Hintergrund einen Großteil der Grünen-Fraktion. Am Ende blieben die Atomkraftwerke drei Monate länger am Netz, Brennstäbe wurden aber nicht mehr gekauft.

Jürgen Trittin ist ein kompletter Politiker.

Rudi Hoogvliet, Realo-Grüner und Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg im Bund über Trittin.

Mit seiner strategischen Fähigkeit, Mehrheiten zu organisieren, hat er die Realos in seiner Partei das Fürchten gelehrt. Seinen niedersächsischen Landesverband hinterlässt er stramm links aufgestellt. Trotzdem empfinden am Donnerstag auch viele Realos Wehmut.

„Er ist eine Instanz“, sagt Katrin Göring-Eckardt, die mit Trittin 2013 Spitzenkandidatin der Grünen bei der Bundestagswahl war. Man habe häufig gestritten, aber immer anständig. „Wir haben uns nie hintergangen, das ist ein großer Wert“, sagt sie dem Tagesspiegel. „Die Fraktion verliert einen angenehmen, klugen, fleißigen und weisen Ratgeber“, sagte Parteichef Omid Nouripour.

Der Bevollmächtigte des Landes Baden-Württemberg im Bund, Rudi Hoogvliet, geht noch weiter. Man sei zwar nicht immer einer Meinung gewesen, sagte der Vertraute von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, aber: „Jürgen Trittin ist ein kompletter Politiker.“ Er stecke tief in der Materie, sei ein knallharter Stratege und ein begnadeter Redner. „Diese Talente kommen selten zusammen“, sagte Hoogvliet über Trittin. „Sein Abgang ist ein Verlust für die Politik.“

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