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Besonders umstritten: Der Ausbau der Stadtautobahn A100 in Berlin.

© Imago / Imago/Jürgen Held

Straße versus Schiene: Ein Kompromiss zwischen Grünen und FDP ist nicht in Sicht

Die Frage über den Autobahn-Ausbau wird für die Ampel immer mehr zum Knackpunkt. Die entgegengesetzten Vorstellungen machen eine schnelle Einigung unmöglich.

In der Verkehrspolitik steckt die Ampel in einer Sackgasse. Die Suche nach einem Kompromiss brachen die Fraktions- und Parteichefs am Donnerstagabend bereits nach dreieinhalb Stunden ab – zu weit liegen die Vorstellungen von Grünen und FDP auseinander.

Die Grünen machen vor allem die schlechte Klimabilanz des Verkehrs zum Thema. Den Bau neuer Autobahnen wollen sie deshalb weitgehend stoppen, die Investitionen sollen stattdessen in den Bahnausbau fließen. In einem im Koalitionsvertrag vereinbarten Dialogprozess mit Verbänden wollen sie eine entsprechende Überarbeitung des noch bis 2030 gültigen Bundesverkehrswegeplans erreichen.

Verkehrsminister Volker Wissing verfolgt die entgegengesetzte Agenda. Statt den Bundesverkehrswegeplan neu aufzuschnüren, will er die Projekte schneller umsetzen. Das marode Straßen- und Schienennetz möchte der FDP-Politiker so schnell wie möglich modernisieren. Die Planungszeiten sollen halbiert werden, auch für neue Autobahnen. Denn das Wachstum im Güterverkehr „kann die Schiene nicht allein aufnehmen“, sagt er. „Wer also keine Straßen mehr möchte, der möchte Rückbau unserer Industriegesellschaft.“

Wir brauchen dringend noch mehr Beschleunigung beim Klimaschutz – nicht bei Autobahnen.

Julia Verlinden, Vize-Fraktionschefin Bündnis 90/Die Grünen

Für schnellere Planungszeiten hat Wissing bereits vor Monaten einen Gesetzentwurf erarbeitet, der von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) blockiert wird. Er sieht vor, Verkehrsprojekten den Status „im überragenden öffentlichen Interesse“ zu geben, was den Naturschutz weitgehend aushebeln würde. Lemke kann sich zähneknirschend vorstellen, diesen Status für den Klimaschutz Windrädern, Stromtrassen und der Schiene zu geben, nicht aber neuen Autobahnen.

Ein zentrales Versprechen von Olaf Scholz

Kanzler Olaf Scholz (SPD) steht in der Frage auf der Seite von Wissing. Schließlich gehört eine schnelle Modernisierung der Infrastruktur zu seinen zentralen Wahlversprechen. In drei Verhandlungsrunden mit Wissing und Lemke konnte er aber keinen Kompromiss erzwingen. Deshalb nun der Koalitionsausschuss, der ohne jegliche Ergebnisse endete.

Dabei lag ein Kompromissvorschlag auf dem Tisch. Wissing war bereit, nur einigen besonders dringenden Autobahnprojekten, die Engpässe beseitigen, den Status „im überragenden öffentlichen Interesse“ zu geben. Noch wichtiger ist ihm, dass er marode Brücken ohne aufwendige Planfeststellung und Umweltprüfung ersetzen kann – auch wenn diese zusätzliche Spuren erhalten, also aus Sicht der Grünen ein Autobahn-Ausbau stattfindet. Im Gegenzug sollte es zudem mehr Geld für die Sanierung des maroden Schienennetzes geben. Von „einigen Milliarden“ Euro sprach Wissing.

Die Grünen signalisierten Gesprächsbereitschaft. Es könne einzelne sinnvolle Lückenschlüsse geben, sagte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne). Doch dann wurden die Grünen von der Wucht der Lützerath-Proteste überrascht. Nach der Räumung des Weilers für den RWE-Tagebau warnte die Umweltbewegung nun vor einem Aus der Verkehrswende.

Statt einer ‚carte blanche‘ für neue Autobahnen erwarte der Nabu von den Grünen einen Fokus auf Klimaschutz und Biodiversität, sagte der Präsident des Umweltverbands, Jörg-Andreas Krüger.

Es ist wirklich schwach, dass sich SPD und FDP von den Grünen die ideologische Bremse reinhauen lassen.

Ulrich Lange, Vize-Fraktionschef der Union

Entsprechend kampfbereit geben sich die Grünen. „Wir brauchen dringend noch mehr Beschleunigung beim Klimaschutz – nicht bei Autobahnen“, sagte Fraktionsvize Julia Verlinden. Bereits vor dem Koalitionsausschuss hatte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann angekündigt, dass der Klimaschutz im Verkehr die Ampel über das Spitzentreffen hinaus Anfang 2023 intensiv beschäftigen wird.

Gleichzeitig wirft die FDP Lemke vor, die Modernisierung des Landes zu blockieren. Auch beim Klimaschutz im Verkehr sehen die Liberalen – aber auch Logistikverbände und die Industrie – die Umweltministerin als Bremserin, weil sie die Nutzung von Biokraftstoffen zugunsten der weltweiten Ernährungssicherheit einschränken will.

Die Sozialdemokrat:innen sind von dem Dauerstreit zunehmend genervt. Es sei schon misslich, dass ausgerechnet das Thema Planungsbeschleunigung zwei Monate im Kabinett festhänge, hatte SPD-Fraktionsvize Detlef Müller noch vor dem Ende der Verhandlungen gesagt. Nun geht die Hängepartie weiter. Nach Tagesspiegel-Informationen gibt es derzeit nicht einmal einen Zeitplan für weitere Gespräche.

Die Verkehrspolitik wird damit immer mehr zum zentralen Knackpunkt der Ampel. Der Vize-Fraktionschef der Union, Ulrich Lange (CSU), nannte das am Freitag „ein Trauerspiel“. „Es ist wirklich schwach, dass sich SPD und FDP von den Grünen die ideologische Bremse reinhauen lassen.“

Immerhin einen Erfolg konnte Wissing am Freitag verkünden. Für den Neubau der gesperrten Talbrücke Rahmede der A45 im Sauerland ist das Baurecht nun auf den Weg gebracht. (Mitarbeit: Valerie Höhne)

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