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Sigmar Gabriel

© dpa/Britta Pedersen

Exklusiv

Termine bei Scholz und Habeck: Wie Sigmar Gabriel Lobbyarbeit für einen Stahlkonzern macht

Der Ex-Wirtschaftsminister hatte mehr Termine mit Mitgliedern der Bundesregierung als bisher bekannt. Ein Treffen mit Habeck hat dessen Haus bisher verschwiegen.

An einem Mittwoch im vergangenen Dezember macht Sigmar Gabriel etwas, das er eigentlich nicht tun wollte. Er steht vor einer Tür, hinter der er selbst einmal saß. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister ist beim heutigen Amtsinhaber Robert Habeck (Grüne) zum Gespräch.

Dass es diesen Termin gab, geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die Liste liegt dem Tagesspiegel und der Plattform Abgeordnetenwatch vor.

Nach seinem Ausscheiden aus der Politik hatte Gabriel dem Lobbyismus öffentlichkeitswirksam eine Absage erteilt. Man solle nicht an Türen klopfen, hinter denen man einmal gesessen habe, sagte er vor fünf Jahren.

Diesen Vorsatz hat er offenbar längst aufgegeben. Seit April 2022 ist Gabriel nicht nur Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel Europe, sondern zugleich der wichtigste Lobbyist des Konzerns, wie diese Recherche zeigt.

Zwischen April 2022 und August 2023 hatte Gabriel mehr Treffen mit Regierungsmitgliedern als bisher bekannt, wie aus der Antwort der Bundesregierung hervorgeht. Zweimal, im Juli und im Dezember vergangenen Jahres, traf er Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), einmal den Wirtschaftsminister.

Direkter Draht ins Kanzleramt

Besonders ins Kanzleramt hat der ehemalige SPD-Vorsitzende einen direkten Draht: Gleich neun Mal sprach er in dem betreffenden Zeitraum mit Jörg Kukies, Staatssekretär im Kanzleramt. Der Wirtschaftsberater des Kanzlers ist ein viel beschäftigter Mann, doch für Gabriel nimmt er sich immer wieder Zeit. In den meisten dieser Gespräche geht es um die Stahlindustrie. Hinzu kommt ein weiterer Termin im Wirtschaftsministerium.

Für Thyssenkrupp und die Zukunft der Stahlindustrie in Deutschland stehen in dieser Zeit wegweisende Entscheidungen an. Es geht um den Einstieg in eine klimafreundlichere Produktion. Thyssenkrupp will in Duisburg den ersten Hochofen durch eine sogenannte Direktreduktionsanlage ersetzen, die mittelfristig mit grünem Wasserstoff betrieben werden soll.

Das Projekt ist 2021 noch von der alten Bundesregierung als förderwürdig ausgewählt worden. Doch ob Bund und Land den Stahlkonzern mit Beihilfen unterstützen dürfen, hängt von der EU-Kommission ab, die den Plan wettbewerbsrechtlich prüfen muss. Dieser Prozess dauert länger als gedacht, die Arbeitnehmervertreter schreiben im Mai einen Brandbrief an Habeck.

Ein Stahlarbeiter an einem Hochofen bei Thyssenkrupp in Duisburg.
Ein Stahlarbeiter an einem Hochofen bei Thyssenkrupp in Duisburg.

© dpa/Rolf Vennenbernd

Es wäre also naheliegend, dass Gabriel in seinen Treffen und Telefonaten mit dem Kanzleramt mögliche Hürden im EU-Genehmigungsverfahren angesprochen haben könnte. Die formale Zuständigkeit allerdings lag bei Habecks Ministerium.

Worum es in Gabriels zwei Besuchen bei Scholz und in dem Gespräch mit Habeck genau ging, will die Bundesregierung jedoch nicht mitteilen. Von einem „allgemeinen Austausch“ ist in allen drei Fällen die Rede. Das Bundespresseamt ließ eine Anfrage vom Mittwoch bis Freitagmittag unbeantwortet. Im vergangenen Jahr hatte das Kanzeramt allerdings Abgeordnetenwatch mitgeteilt, bei dem Treffen von Scholz und Gabriel im Juli sei es um die „deutsche Stahlindustrie“ gegangen.

Zweimal verschwieg Habecks Ministerium das Treffen mit Gabriel

Als im Mai ein Linken-Abgeordneter die Bundesregierung nach Kontakten zwischen Wirtschaftsministerium und Vertretern von Thyssenkrupp fragte, fehlte das Gespräch von Habeck und Gabriel in der Antwort des Ministeriums.

Daraufhin fragte Abgeordnetenwatch kurze Zeit später konkret nach Gesprächen der beiden seit April 2022. Doch Habecks Ministerium verschwieg das Treffen erneut und verwies auf die Regierungsantwort vom Mai. Treffen mit dem Minister seien darin nicht genannt. Auf Fragen des Tagesspiegels antwortete das BMWK bis Freitagmittag nicht.

Unklar bleibt auch, ob Gabriel nicht nur für Thyssenkrupp, sondern möglicherweise auch in anderer Mission im Kanzleramt und im Wirtschaftsministerium anklopfte. Denn seit 2020 sitzt er auch in den Aufsichtsräten der Deutschen Bank und von Siemens Energy.

In den sozialen Medien fiel Gabriel immer wieder damit auf, dass er das Emirat Katar gegen Kritik verteidigt. Katar gilt als größter Aktionär der Deutschen Bank, Gabriel soll Medienberichten zufolge auf Wunsch der Herrscherfamilie in den Aufsichtsrat eingezogen sein.

Zu den Regierungskontakten äußert sich Gabriel nicht

Der ehemalige Wirtschafts- und Außenminister wollte sich auf Tagesspiegel-Anfrage nicht dazu äußern, in welcher Funktion er im Kanzleramt und in seinem früheren Ministerium vorsprach, ob es um die damals ausstehende EU-Genehmigung für die Staatshilfen an Thyssenkrupp ging und ob auch über die Deutsche Bank, Siemens Energy oder das Emirat Katar gesprochen wurde. Aus seiner Sicht bestehe keine „Auskunftspflicht“, zudem sei er nicht berechtigt, Auskünfte zu geben, die im Zusammenhang mit seinen Mandaten stünden. Von Thyssenkrupp war bis Freitagmittag keine Stellungnahme zu erhalten.

Für den Stahlkonzern ging die Sache am Ende gut aus. Die EU bewilligte im Juli die Staatsbeihilfen, der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen geben insgesamt knapp zwei Milliarden Euro. Habeck fuhr nach Duisburg, um einen riesengroßen Förderbescheid zu überreichen.

Die Linksfraktion hatte die Bundesregierung nach den Regierungskontakten von mehr als 100 weiteren ehemaligen Regierungsmitgliedern und Abgeordneten gefragt, die heute als Lobbyisten tätig sind. Doch die Bundesregierung verweigerte in diesen Fällen die Antwort.

Freiwillig rückt die Regierung die Informationen offensichtlich nicht heraus.

Jan Korte, Linken-Bundestagsabgeordneter

Die notwendige Datenerhebung sei „mit einem unzumutbaren Arbeitsaufwand“ verbunden, schrieb Johann Saathoff (SPD), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, in der Begründung. Zur Beantwortung der Fragen seien „Recherchearbeiten in 88 Organisationseinheiten der Bundesregierung“ erforderlich, was einen Arbeitsaufwand von 836 Stunden zur Folge haben würde, rechnete Saathoff vor.

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan Korte kritisierte die „wortreiche Weigerung der Bundesregierung“, die Fragen seiner Fraktion zu beantworten. Solange nicht nachvollziehbar sei, welche Lobbyisten sich mit welchen Entscheidungsträgern zu welchen Themen träfen, fehle der Demokratie „eine entscheidende Bedingung: die Transparenz“, sagte Korte.

„Die Antwort zeigt, dass wir umgehend einen exekutiven und legislativen Fußabdruck sowie eine umfassende Kontakttransparenz brauchen. Denn freiwillig rückt die Regierung diese Informationen offensichtlich nicht heraus.“ Sowohl die Bevölkerung als auch die Abgeordneten hätten „ein Recht darauf zu wissen, wer an welcher Stelle Einfluss auf die Politik der Bundesregierung nimmt und sich sein Adressbuch vergoldet“. 

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