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Ein nachdenklicher, aber inhaltlich entschiedener Joschka Fischer präsentierte sich der Enquete-Kommission Lehren aus Afghanistan. Fischer war von 1998 bis 2005 Außenminister.

© imago/epd/imago/Christian Ditsch

Trotz Rückkehr der Taliban: Joschka Fischer verteidigt Afghanistan-Einsatz

Vor der Enquete-Kommission des Bundestages erklären auch zwei andere frühere Bundesminister ihre Beweggründe. Nur Ex-BND-Chef Schindler sagt: Ich hatte Zweifel.

Von Hans Monath

Trotz des Scheiterns des internationalen Engagements in Afghanistan und der Rückkehr der Taliban an die Macht hat der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) die deutsche Entscheidung für den Einsatz entschieden verteidigt.

„Ich halte das nicht für einen Fehler“, sagte Fischer am Montag vor der Enquete-Kommission des Bundestags zu den Lehren aus dem Einsatz. „Ich sehe es als eine Entscheidung, die zu treffen war, und die alles andere als einfach war. Es musste sein, aus übergeordneten Gründen“, meinte Fischer, der von 1998 bis 2005 Außenminister war. Für das Scheitern des Einsatzes machte er vor allem die USA verantwortlich.

Er begründete die Entscheidung für den Einsatz vor allem mit Bündnisinteressen und der Abhängigkeit von US-amerikanischen Sicherheitsgarantien. „Wären wir nicht mitgegangen, hätten wir einen enorm hohen Preis bezahlt im Bündnis“, sagte der frühere Grünen-Politiker.

Fischer hatte sein politisches Schicksal an den Einsatz geknüpft

Der damalige Vizekanzler hatte sein eigenes politisches Schicksal von der Entscheidung des Bundestages über die Entsendung von 1200 Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan abhängig gemacht. Teile der Grünen und auch einige grüne Bundestagsabgeordnete lehnten dies ab. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) machte den Fortbestand der rot-grünen Koalition vom Gelingen des Beschlusses abhängig.

Auf einem Parteitag in Rostock stellte sich eine Mehrheit der Delegierten hinter den Einsatz, der Bundestag stimmte am 22. Dezember 2001 zu. Vier grüne Abweichler enthielten sich der Stimme, um die Koalitionsmehrheit nicht zu gefährden.

11. September „doppelter Schock“ für Deutschland

Der Terroranschlag vom 11. September 2001, auf den der internationale Militäreinsatz folgte, sei für die Bundesregierung ein „doppelter Schock“ gewesen, erklärte Fischer. Der entscheidende Kreis der Täter habe sich lange Zeit in Hamburg-Harburg aufgehalten. Dies habe das Risiko geborgen, dass man Deutschland hätte vorwerfen können, es hätte den Anschlag verhindern können, sagte Fischer. Zudem sei sofort klar gewesen, „dass wir in voller Solidarität in dem Bündnis zu stehen haben“, sagte er.

Frauenrechte werden unter der Herrschaft der Taliban massiv missachtet, Millionen Menschen hungern. Viele Familien wissen nicht, woher sie die nächste Mahlzeit nehmen sollen.
Frauenrechte werden unter der Herrschaft der Taliban massiv missachtet, Millionen Menschen hungern. Viele Familien wissen nicht, woher sie die nächste Mahlzeit nehmen sollen.

© IMAGO/ABACAPRESS/Zerah Oriane

Er sehe das Debakel, das in Afghanistan nun zurückgeblieben sei, sagte Fischer. Dies habe aber mit der Entscheidung der USA zum Krieg gegen den Irak und mit dem überstürzten Abzug zu tun. Diesen hatte die Entscheidung des US-Präsidenten Joe Biden ausgelöst, die Truppen der Führungsmacht zurückzuholen. „Es ist schrecklich, wenn man sich die Situation heute anschaut“, sagte der Grünen-Politiker. Afghanistan werde noch lange „ein Ort der Unsicherheit bleiben“.

Es ist schrecklich, wenn man sich die Situation in Afghanistan heute anschaut.

Joschka Fischer, deutscher Außenminister von 1998 bis 2005

Die Enquete-Kommission hat die Aufgabe, den 20-jährigen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen des internationalen Militäreinsatzes rückblickend zu analysieren und daraus Lehren für künftige Einsätze zu entwickeln. Eingesetzt wurde sie im vergangenen Herbst. Die Anhörung am Montag war die zehnte öffentliche Sitzung der Kommission. Neben Fischer wurden der frühere Bundesminister und Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU), die frühere Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) und Ex-BND-Präsident Gerhard Schindler befragt.

Wieczorek-Zeul hob hervor, dass ihr Ziel als Entwicklungsministerin im Rahmen des Einsatzes vor allem Unterstützung für Frauen in Afghanistan gewesen sei. Diese hätten sich nach der Vertreibung der Taliban Unterstützung auch dringend gewünscht, meinte die Ex-Ministerin und erinnerte an einen Besuch in Afghanistan Ende des Jahres 2001. „Alle Treffen dieser Reise waren geprägt von der Hoffnung der Frauen und Mädchen auf Respekt und Anerkennung, von der Hoffnung, wieder zur Schule gehen zu können, wieder zur Arbeit gehen zu können“, sagte sie.

Ich hatte während meiner Amtszeit Zweifel am Afghanistan-Einsatz, und ich habe sie noch heute.

Gerhard Schindler, von 2011 bis 2016 Präsident des Bundesnachrichtendienstes

Auf die selbstgestellte Frage „War alles umsonst?“ antwortete Wieczorek-Zeul entschieden: „Nein!“ Sie verwies auf den Freiheitsgewinn vor allem von Frauen, Mädchen und jungen Menschen in dem von der internationalen Gemeinschaft unterstützten Prozess. „Es sind 20 Jahre gewesen, in denen die Menschen ein anderes Leben hatten und gesehen haben, es geht auch anders“, erklärte sie.

Wieczorek-Zeul macht USA für das Scheitern verantwortlich

Die Ex-Ministerin machte das robuste Vorgehen der USA beim Antiterroreinsatz in dem Land und die „Legalisierung von Foltermethoden, die die USA praktizierten“ dafür verantwortlich, dass die Taliban in der afghanischen Bevölkerung immer mehr Anhänger gefunden hätten.

Nach Darstellung des früheren Kanzleramtsministers de Maizière wurde die militärische Stärke der Taliban „unterschätzt“, die der afghanischen Regierung „überschätzt“. Der CDU-Politiker wandte sich gegen den Versuch, den Einsatz nur aus deutscher Sicht zu beurteilen und etwa fehlende Abstimmung zwischen Ministerien zur Ursache von Fehlentwicklungen zu erklären.

„Der Afghanistan-Einsatz kann nicht nur aus deutscher Sicht bewertet werden, in keiner Sitzung, in der ich dabei war, hat Deutschland allein entschieden“, erklärte er. De Maizière verwies darauf, dass 50 Länder an dem Einsatz beteiligt gewesen waren.

Der ehemalige BND-Chef Schindler berichtete, er sei von der Entwicklung Afghanistans und dem Vorgehen der Verbündeten nicht überzeugt gewesen. „Ich hatte während meiner Amtszeit Zweifel am Afghanistan-Einsatz, und ich habe sie noch heute“, meinte er.

Auf die Frage, ob er seine Zweifel den politisch Verantwortlichen vorgetragen habe, antwortete der frühere BND-Chef: „Meine Zweifel basierten auf der sich stetig verschlechternden Sicherheitslage. Wenn ich die vorgetragen habe, hatte ich den Eindruck, dass alle im Raum verstanden haben, um was es ging.“

Schindler bemängelte zudem, dass es keine Planung für den Fall eines Abzugs gegeben habe. Er habe nach der vorübergehenden Einnahme der Stadt Kundus durch Taliban von September 2015 an gefragt: „Was ist unsere Exit-Strategie. Ich habe aber keine Antwort bekommen.“

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