zum Hauptinhalt
Prüfen, bitte! Bei einer palästinensischen Schülerin wird die Temperatur gemessen.

© Mosab Shawer/imago

Covid in den Palästinensergebieten: „Viele nehmen das Virus nicht ernst“

Katharina Lange von Ärzte ohne Grenzen über die Pandemie in den Palästinensergebieten, Vorbehalte gegen das Impfen und wirtschaftliche Not im Alltag.

Katharina Lange (30) ist Mitarbeiterin von Ärzte ohne Grenzen in Hebron, eine der größten Städte im Westjordanland, und organisiert dort die Hilfe im Kampf gegen die Corona-Pandemie.

Frau Lange, Sie arbeiten für Ärzte ohne Grenzen in der Stadt Hebron und helfen Covid-Patienten. Wie sehr wirkt sich die Pandemie auf die Palästinensergebiete aus?
Die Pandemie hat erhebliche Folgen – für das Gesundheitssystem, die Wirtschaft und den Alltag der Menschen. Das Coronavirus trat zuerst in Bethlehem auf und breitete sich dann in der Region aus. Hebron entwickelte sich zu einem Hotspot. Dann gab es die ersten Lockdowns, das Westjordanland wurde abgeriegelt. Das traf die Menschen sehr hart.

Inwiefern?
Es gibt Zehntausende, die Tag für Tag nach Israel gehen, um dort zu arbeiten. Die Menschen hatten also plötzlich kein Einkommen mehr. Viele konnten sich deshalb beispielsweise dringend benötigte Medikamente nicht mehr leisten. Überhaupt waren die wirtschaftlichen Folgen dramatisch.

Ganz abgesehen davon, dass die Leute überhaupt nicht wussten, was eine Pandemie bedeutet. Im Westjordanland hat es so etwas wie Covid-19 zuvor nicht gegeben. Wir von Ärzte ohne Grenzen haben deshalb umgehend damit begonnen, die Einwohner zu informieren, sie aufzuklären. Einfach war das nicht.

Weil?
Wie soll man den Menschen plausibel machen, dass sie sich mit Seife die Hände waschen und Maske tragen müssen, wenn bei ihnen das Geld nicht mal für eine vernünftige Mahlzeit reicht? Arme Familien, die unter Quarantäne standen, haben wir deshalb mit Hygienekits versorgt.

Bis heute sind im Westjordanland und Ost-Jerusalem offiziell 2200 Todesfälle registriert, mehr als 13.300 Menschen sind im Moment mit dem Virus infiziert. Die jetzt wieder steigenden Zahlen sprechen dafür, dass auch hier eine dritte Welle unmittelbar bevorsteht.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Gibt es ausreichend Impfstoff, um die Menschen im Westjordanland zu schützen?
In den Kliniken gibt es Impfstoff für das medizinische Personal. Aber generell fehlt es im Westjordanland noch an einer ausreichenden Menge des Vakzins. Dabei wäre es so wichtig, bestimmte Risikogruppen zu impfen. Immerhin werden mittlerweile die Arbeiter geimpft, die regelmäßig die Grenze zu Israel überqueren.

Vorbildlich. Kinder in den Straßen von Hebron tragen Masken und bekommen Desinfektionsmittel geschenkt.

© Mosab Shawer/imago/Zuma Wire

Was tun die lokalen palästinensischen Behörden, um Corona so weit wie möglich unter Kontrolle zu halten?
Sie versuchen, mit verschiedenen Maßnahmen wie lokalen Lockdowns oder Schulschließungen die Sache halbwegs in den Griff zu bekommen. Das funktioniert nicht immer.

Weshalb?
Zum einen wird gerne mit Blick auf die Verantwortung darauf verwiesen, dass man ja längst nicht in allen Gebieten des Westjordanlands das Sagen habe, dass Israel weite Teile des Westjordanlands kontrolliert und oft die Vorgehensweise bestimme.

Und zum anderen?
Schwindet in der Bevölkerung tagtäglich die Akzeptanz für die erforderlichen Schutzmaßnahmen. Und: Nicht alle Menschen wollen sich impfen lassen. Es gibt Vorbehalte und Vorurteile. Viele nehmen das Virus leider nicht ernst genug. Regeln wie Abstand halten und Maske tragen werden oft ignoriert. Zudem wird nicht in ausreichendem Maße getestet.

Katharina Lange (30) arbeitet für Ärzte ohne Grenzen in Hebron, eine der größten Städte im Westjordanland, und organisiert dort die Hilfe im Kampf gegen die Corona-Pandemie.

© Ärzte ohne Grenzen

Warum?
Die Menschen fürchten sich vor einem positiven Test. Denn das heißt: Sie dürfen einige Wochen lang nicht mehr nach Israel einreisen, können also kein Geld verdienen. Das ist ein dramatisches Problem gerade für die Familien, die ohnehin wenig haben.

Welche Folgen hat die fehlende Achtsamkeit für das Gesundheitssystem und die Kliniken in Hebron und im Westjordanland?
Zum Glück ist das Gesundheitssystem bisher trotz der Ausbreitung von Covid nicht kollabiert. Die Krankenhäuser sind bestens ausgestattet. Aber das Personal ist nicht immer ausreichend geschult für eine Pandemie. Ärzte ohne Grenzen bemüht sich, da Abhilfe zu schaffen. Neben der Unterstützung in den Covid-Behandlungszentren haben wir mobile medizinische Teams aufgestellt; wir leisten seit Jahren psychologische Hilfe.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false