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Olga Skabejewa moderiert die beliebteste Talkshow im russischen Fernsehen.

© Screenshot Youtube

„Warum sind wir davon überrascht worden?“: Putins Chef-Einpeitscherin stellt unerwartet schmerzhafte Fragen

In der beliebtesten TV-Talkrunde Russlands prangert Olga Skabejewa gravierende Fehleinschätzungen vor der Invasion an. Das passt ins neue Kommunikationskonzept des Kremls.

Olga Skabejewa ist eines der bekanntesten TV-Gesichter in Russland. Sie moderiert zusammen mit ihrem Mann, dem „Journalisten“ und Duma-Abgeordneten Jewgeni Popow, die Sendung „60 Minuten“.

Seit Beginn des Ukraine-Feldzuges ist die Sendung auf dem Kanal Rossiya-1 zu einem der wichtigsten Orte geworden, an dem Kremlpropaganda zum Krieg verbreitet wird. Zudem gibt es längliche Vorträge von vermeintlichen Experten über die Notwendigkeit eines Atomkriegs gegen die Ukraine beziehungsweise den Westen.

Auch die zahlreichen Kriegsverbrechen Russlands wie der aktuelle Raketenterror gegen die Zivilbevölkerung und die kritische Infrastruktur wie Kraftwerke werden in der Sendung regelmäßig gerechtfertigt.

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Doch seit die russischen Truppen in der Ukraine in der Defensive sind, werden auch bei „60 Minuten“ die kritischen Untertöne vernehmbarer. Putin wird dabei nie direkt kritisiert, vielmehr richtet sich die Kritik indirekt gegen die Militärführung, die Politiker in den russischen Regionen oder den Geheimdienst.

Eine besonders deprimierende Folge für die russischen Ultranationalisten, die den Krieg in der Ukraine unterstützen und gerne ausweiten würden, lief in dieser Woche. Skabejewa hatte unter anderem den bekannten russischen Kriegsreporter Alexander Kots zugeschaltet, der über die für die Russen schwierige Situation in Cherson berichtete.

Es wird in den nächsten zwei Monaten keine guten Nachrichten geben.

Russischer Kriegsreporter in der Sendung „60 Minuten“

Er klang dabei ähnlich wie Putins Befehlshaber für die Ukraine, Sergej Surowikin, der am Dienstag in einem TV-Interview die Lage in Cherson mehrmals als „sehr schwierig“ bezeichnete.

Kots sprach davon, dass die Ukrainer den Russen an manchen Frontabschnitten an Truppenstärke vier zu eins überlegen seien. Zudem kämen in Nato-Staaten ausgebildete Truppen zum Einsatz, die westliche „Hochpräzionswaffen“ wie Himars-Raketenwerfer, US-Haubitzen vom Typ M777 und Anti-Artillerieradar nutzten. „Niemand hier sagt, dass wir Cherson aufgeben“, erklärt Kots. „Wahrscheinlich werden wir es verteidigen.“

„Wir sollten uns keine Illusionen machen“, sagt er weiter, während Skabejewa und die anderen Gäste mit ernster Miene zuhören. „Es wird in den nächsten zwei Monaten keine guten Nachrichten geben, schwerwiegende Gebietsverluste sind in diesen zwei Monaten wahrscheinlich.“

Nun schaltet sich Skabejewa mit dem propagandistischen Hinweis ein, dass es ja kein Geheimnis sei, „dass wir in Wahrheit im Krieg mit der Nato sind“.

Himars-Raketenwerfer in der Ukraine.

© IMAGO/Cover-Images

Und nun stellt sie eine Frage, die sich westliche Beobachter des Krieges schon lange stellen, die in Russland bisher aber ein Tabu war: „Warum haben wir uns nicht auf diese Entwicklung vorbereitet, als wir unsere militärischen Aktionen gestartet haben?“

Weiter fragt sie: „Wir sehen, dass die Lieferungen (an Waffen, Anm. d. Red.) massiv sind, dass die Nato entschieden ist. Warum sind wir davon überrascht worden? Warum dachten wir, Selenskyj rennt davon und die Nato würde nicht eingreifen. Das ist die offene Frage.“

Warum dachten wir, Selenskyj rennt davon und die Nato würde nicht eingreifen?

Olga Skabejewa, TV-Moderatorin bei „Rossiya-1“

Putin schiebt die Schuld auf seine Fachleute

Die Antwort, die westliche Geheimdienste Skabejewa geben würden: Putin war von seinen Geheimdiensten falsch informiert worden und stellte ihre sehr optimistische Einschätzung für eine Invasion nicht in Frage.

Der Geheimdienst rechnete damit, dass die Ukraine innerhalb von wenigen Tagen fallen, das Volk die russischen Invasoren begrüßen, die Regierung Selenskyj fliehen - und der Westen dem weitgehend untätig zusehen würde. Wer von diesem Szenario ausgeht, bereitet sich nicht auf einen langen Krieg vor.

Die Ausgabe von „60 Minuten“ passt in die Kommunikation, die der Kreml seit Anfang Oktober zur Ukraine zulässt. Die militärische Situation wurde dabei nicht mehr schöngeredet, Niederlagen nach der Offensive der Ukrainer in Charkiw wurden zugegeben. Auch Probleme bei der Mobilisierung wurden angesprochen.

Putin stellte dabei die Entscheidungen aber immer so dar, als seien sie nicht von ihm getroffen worden, sondern von den zuständigen Fachleuten - insofern waren es nicht seine Fehler, sondern die der Untergebenen.

Skabejewas kurzer Ausflug in den kritischen Journalismus ist aber selbst vor dem Hintergrund der Kommunikationswende des Kreml besonders.

Sie stellt die Situation nicht nur als kritisch dar wie Kots – der im Übrigen den heroischen Kampfgeist der russischen Truppen lobt –sondern unterstellt, dass gravierende Fehler gemacht wurden, die jetzt den Erfolg der ganzen Operation gefährden. So deutlich hat das eine so prominente Kremlunterstützerin bisher nicht gesagt.

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