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Angela Merkel (CDU) im Bundestag.

© dpa

Generaldebatte im Bundestag: Wenn Merkels Weiter-so plötzlich zur Verheißung wird

Angela Merkel steht für ein Weiter-so. Doch seitdem der Rechtspopulismus durch Brexit und Trump nicht mehr nur Protest ist, sondern Veränderung bedeutet, klingt das gar nicht mehr so schlecht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Wenn Träume wahr werden, sitzt der Schock über die Wirklichkeit oft tief. Das gilt besonders für politische Utopien. Kein Begriff hat diese Diskrepanz je anschaulicher illustriert als der vom „real existierenden Sozialismus“. Er bedeutete so viel wie: Wir haben zwar Kollektivismus, aber leider auch Gulag und Mauer.

Seit Viktor Orban, der PiS-Regierung in Polen, dem Brexit und dem Wahlerfolg von Donald Trump geht auch der Rechtspopulismus in seine real existierende Phase über. Was als Trotz- und Protestbewegung entstand, muss sich plötzlich im Alltag bewähren. Da bleiben Enttäuschungen nicht aus. Wutschnauben ist das eine, gute Politik machen das andere.

Angela Merkel tritt im kommenden Jahr erneut als Bundeskanzlerinkandidatin an. Sie steht, ob sie will oder nicht, für ein Weiter-so. Da mag sie noch so oft und leidenschaftlich über ihr neues Lieblingsthema, die Digitalisierung, reden: Die meisten Wähler nehmen sie als Konstante in der Politik wahr, als verlässlich und berechenbar. Eben diese Wahrnehmung greifen jene auf, die ihrer überdrüssig geworden sind und daher umso lauter „Merkel muss weg!“ skandieren.

In der Generaldebatte im Bundestag zeichnete sich die künftige Konfliktlinie, die sich bis ins Wahljahr hineinziehen dürfte, deutlich ab. Merkel spannte wie immer den ganz großen Bogen – von der Afrika- über die Klima- bis zur Flüchtlingspolitik, sie beteuerte, „die Dinge geordnet und gesteuert“ zu haben, und geriet nur einmal in Schlagabtauschmodus. Als sie auf das EU-Türkei-Abkommen zu sprechen kam und ihr das Wort „Schande“ zugerufen wurde, konterte sie mit dem Vorwurf, wer dieses Abkommen ablehne, wolle zum System der Schlepper und Schleuser zurück, das Tausende Flüchtlinge im Mittelmeer habe ertrinken lassen. Das saß.

Sahra Wagenknecht schwang die dicksten rhetorischen Keulen

Doch weder Thomas Oppermann von der SPD noch Anton Hofreiter von den Grünen gelang es, sich von Merkels Weiter-so klar zu distanzieren. Den Grünen als der gefühlten Willkommenskulturpartei fällt es schwer, die Spaltung der Gesellschaft und Europas zu thematisieren, ohne die Frage zu provozieren, welchen Anteil die Flüchtlingspolitik vom Herbst 2015 daran hat. Die SPD wiederum regiert schon zu lange mit, um ein anderes Profil als das einer etwas sozial gerechteren Merkel-Unterstützungspartei herausbilden zu können.

So gelang es Sahra Wagenknecht von den Linken, die dicksten rhetorischen Keulen zu schwingen. Gewissermaßen als eine Frauke Petry ohne rassistische Ressentiments warf sie Merkel vor, „Lügenmärchen“ zu verbreiten, und in einer Mischung aus Drohung und frohlockender Prophezeiung rief sie der Kanzlerin zu, auch die US-Bürger hätten das Weiter-so abgewählt.

Die Attraktivität populistischer Parteien hat mehrere Gründe. Die direkte, angriffslustige Sprache wärmt das Herz, der revolutionäre Gestus weckt anarchische Charakterzüge. Doch erfolgreich können sie nur so lange sein, wie ihr Unernst verborgen bleibt. Wenn die Alternative zum Weiter-so das Chaos eines real existierenden Populismus ist – siehe Brexit, siehe Trump –, verwandelt sich die Langeweile des Weiter-so womöglich in eine Verheißung.

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