zum Hauptinhalt
Sie trägt die Gesamtverantwortung für das Projekt und steht vor massiven Problemen: Familienministerin Lisa Paus (Grüne).

© picture alliance / Flashpic/Jens Krick

Exklusiv

Zeitplan für die Kindergrundsicherung: Bundesagentur für Arbeit rechnet mit bis zu anderthalb Jahren Verzögerung

Es ist ein Rückschlag für Familienministerin Paus: Die Bundesagentur für Arbeit sieht große Probleme bei der Kindergrundsicherung und hält den geplanten Start 2025 für „unrealistisch“.

| Update:

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hält den Zeitplan von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) für die Einführung der Kindergrundsicherung für nicht umsetzbar. Das geht aus der Stellungnahme hervor, die die BA im laufenden Gesetzgebungsverfahren abgegeben hat. Das Dokument liegt dem Tagesspiegel vor.

Darin heißt es: „Die zuletzt avisierte Zielvorstellung, die Kindergrundsicherung bereits zum 1.1.2025 in Kraft treten zu lassen, wird (...) inzwischen von der BA als unrealistisch eingeschätzt.“ Selbst ein schrittweiser Einstieg ab dem 1.1.2025 sei „nicht mehr vorstellbar“. Die Einschätzung der Bundesagentur ist insofern besonders wichtig, als dass sie die Pläne umsetzen soll.

Für Ministerin Paus ist die Einschätzung ein Rückschlag. Monatelang hat sie eine Auseinandersetzung insbesondere mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) darüber geführt, wie viel Geld für die Kindergrundsicherung zur Verfügung stehen soll.

Kommunen kritisieren administrative Vorbereitung seit Monaten

Dieser Streit überlagerte in der öffentlichen Wahrnehmung die massive Kritik, die zum Beispiel Kommunen und Sozialverbände seit Monaten vorbringen: nämlich dass die rein administrative Vorbereitung des Projekts bei weitem nicht so stringent vorangetrieben wird, wie es notwendig wäre. Die Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit stützt nun diese Kritik.

In der Stellungnahme heißt es, es seien erhebliche Änderungen von bestehenden IT-Programmen und Schnittstellen notwendig, außerdem müssten neue IT-Lösungen geschaffen werden. Es gebe aber noch keine „verwaltungsvertragliche Legitimation“, mit den Arbeiten überhaupt zu beginnen, insbesondere gebe es dafür keine Finanzierung.

Bundesagentur: Gesetzentwurf lässt viele Fragen noch immer offen

Die BA kommt sogar zu dem Schluss, dass der Gesetzentwurf viele organisatorische und inhaltliche Fragen „noch immer offenlässt“. In der Stellungnahme wird dafür plädiert, die Kindergrundsicherung in jedem Fall gestaffelt einzuführen: zunächst die Auszahlung der neuen zusammengefassten Leistung, später die vollständige Digitalisierung und Automatisierung und weitere Änderungen.

Die Bundesagentur sieht sich angesichts des fehlenden Fortschritts bei der Planung nicht in der Lage, abschließend eine Empfehlung für den Termin des Inkrafttretens auszusprechen. Dennoch werden in dem Dokument einige Zeitpunkte genannt, und zwar unter der Voraussetzung, dass alle fachlichen Abstimmungen bis zum 28.11.2023 abgeschlossen sind.

„Ein Inkrafttreten der Kindergrundsicherung kann (...) damit frühestens zum 1.7.2025 erfolgen“, heißt es. Das bezieht sich aber nur auf eine „erste Stufe“ mit „zwingend umzusetzenden Anforderungen“.

Stufe zwei wäre diesem Plan zufolge am 1.1.2026 erreicht: Erst dann wäre aus Sicht der Bundesagentur eine funktionierende Schnittstelle zum Bürgergeld denkbar. Einige weitere Änderungen würden sogar erst zum 1.7.2026 in Kraft treten – also anderthalb Jahre nach dem von Ministerin Paus genannten Startdatum.

Eine Umsetzung zum 1. Januar 2025 wird, nach derzeitigem Stand, damit nicht möglich sein.

Sprecher der Bundesagentur für Arbeit

Das Familienministerium ließ eine Bitte um Stellungnahme bisher unbeantwortet. Ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit sagte auf Anfrage, die BA begrüße die Idee einer Kindergrundsicherung und nehme die Aufgabe aktiv an. Es brauche eine Vorlaufzeit von mindestens 12 Monaten. Nach dem Zeitplan von Ministerin Paus solle aber ein umsetzungsreifer Gesetzentwurf erst im Februar 2024 vorliegen. „Eine Umsetzung zum 1. Januar 2025 wird, nach derzeitigem Stand, damit nicht möglich sein.“

Die Linken-Sozialpolitikerin Heidi Reichinnek zeigte sich über die drohende Verzögerung verwundert, zumal vom „größten sozialpolitischen Vorhaben“ der Ampelkoalition ohnehin nur eine Verwaltungsreform übrig sei. Reichinnek sagte: „Dass bei einer Reform dieser Dimension eine so grundlegende Frage wie die Umsetzbarkeit vorab nicht adäquat geprüft wurde, lässt Zweifel an der Ernsthaftigkeit aufkommen. Trotz der gemeinsamen Vereinbarung im Koalitionsvertrag, eine Kindergrundsicherung einzuführen, weckt jede neue Nachricht dazu Zweifel, ob dieses Ziel von allen Koalitionsfraktionen unterstützt wird.“

Christoph Meyer, Vizevorsitzender der FDP-Fraktion, sagte, Paus habe mit „unbegründeten Milliardenforderungen und fehlendem Finanzkonzept wertvolle Zeit vergeudet“. Sie müsse nun die Bedenken ernst nehmen und sicherstellen, dass Neustrukturierung und Digitalisierung gelingen. „Die Vereinfachung der Leistungen und digitale Antragstellung muss absolute Priorität haben.“

Martin Gassner-Herz, Berichterstatter der FDP-Fraktion für die Kindergrundsicherung, sagte dem Tagesspiegel, der Schlüssel zum Gelingen der Kindergrundsicherung liege in der Verwaltungsreform. „Seit anderthalb Jahren weisen wir als FDP intern und später auch öffentlich darauf hin. Stattdessen hat sich Frau Paus entschieden viel Zeit und politisches Kapital in einen unnötigen Streit um unzuverlässige Zahlen zu investieren. Ich hoffe, sie kriegt jetzt die Kurve und die administrativen Herausforderungen, die groß sind, gelöst.“

Geplant ist, mit der Kindergrundsicherung verschiedene familienpolitische Leistungen zusammenzufassen: Kindergeld, Kinderzuschlag, die Transferleistungen aus Bürgergeld und Sozialhilfe sowie Teile der Leistungen für Bildung und Teilhabe.

Nach langem Streit hatte die Ampel-Koalition sich Ende August auf ein Konzept verständigen können. Dabei hatte sich Finanzminister Lindner mit seiner Linie, die bestehenden Leistungen zusammenzufassen, aber nicht zu erhöhen, weitgehend durchgesetzt. Unter dem Dach der Bundesagentur für Arbeit soll die bisherige Familienkasse zu einem Familienservice weiterentwickelt werden und für die Kindergrundsicherung zuständig sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false