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Auszubildende in Elektroberufen wie hier in der Industrieelektronik werden händeringend gesucht.

© imago images/Rupert Oberhäuser

Fachkräftemangel kostet Firmen 90 Milliarden Euro: Ältere könnten die Lücke mit Mehrarbeit schließen

Die Fachkräftelage bleibt angespannt. Ob Meister, dual ausgebildet oder ungelernt – gesucht wird in fast allen Branchen. Welche Maßnahmen Ökonomen zufolge am stärksten helfen.

Jeder zweite Betrieb in Deutschland kann seine offenen Stellen zumindest teilweise nicht besetzen. Dem am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Fachkräftereport der Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) zufolge kostet das die deutsche Wirtschaft über 90 Milliarden Euro pro Jahr. Am stärksten gesucht sind demnach vor allem Menschen mit dualer Ausbildung oder Berufsabschluss. Eine Abwanderung ins Ausland aufgrund der angespannten Fachkräftelage ist aber weiterhin nur für wenige Firmen eine Option.

„Viele Unternehmen blicken mit Sorge in die Zukunft“, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks bei Vorstellung der Ergebnisse in Berlin. Die Fachkräftesituation bleibe sehr kritisch. Auf die Gesamtwirtschaft hochgerechnet gebe es über 1,8 Millionen offene Stellen. Im Rahmen ihrer Konjunkturumfrage hat die DIHK knapp 22.000 Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branchen zu ihrer Fachkräftelage befragt.

Akademiker am seltensten gesucht

Von den Firmen, die Probleme bei der Besetzung ihrer Stellen haben, suchen die meisten vor allem dual ausgebildete Personen (55 Prozent der Firmen) oder Beschäftigte mit Weiterbildungen zur Fachwirtin oder Meister (40 Prozent). Engpässe gibt es dem Bericht zufolge immer stärker bei Arbeitskräften insgesamt. So meldete über ein Drittel der befragten Firmen auch Menschen ohne Berufsausbildung erfolglos zu suchen – vor denen mit Abschluss einer Fachhochschule oder Universität.

Die Zahl der dual Studierenden hat sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren auf über 120.000 Personen verdoppelt. Ebenso wie die Zahl der dualen Studiengänge. Laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hat sich der Anstieg kooperierender Unternehmen, in den vergangenen zehn Jahren dagegen deutlich verlangsamt.

1,8
Millionen Stellen können in Deutschland laut DIHK aktuell nicht besetzt werden.

Dem DIHK-Bericht nach ist die deutsche Wirtschaft in ihrer ganzen Breite von Arbeits- und Fachkräfteengpässen betroffen. Von Industrie und Bau bis Handel und Dienstleister. Unternehmen, die am häufigsten von Problemen bei der Besetzung von Stellen berichteten, kommen aus den Branchen Zeitarbeit, Sicherheit und Reinigung. Auch im Gesundheitsbereich und bei sozialen Dienstleistungen sei der Mangel gravierend.

Keine steigende Tendenz bei Deindustrialisierung 

Zwar hat sich die Fachkräftelage gegenüber dem vergangenen Jahr leicht verbessert. Über einen längeren Zeitraum betrachtet verschärft sich das Problem allerdings. Vor fünf Jahren meldeten noch weniger als die Hälfte der Firmen Probleme bei der Besetzung offener Stellen. Hochgerechnet konnten 2018 rund 1,6 Millionen Stellen nicht besetzt werden.

Die These, dass durch den Fachkräftemangel Firmen an eine (teilweise) Verlagerung ins Ausland denken, ist anhand der DIHK-Umfrage nicht haltbar. Wie bereits vor fünf Jahren erwägen diese Option nur acht Prozent der Firmen. In der Industrie ist der Anteil mit 18 Prozent zwar höher, aber ebenfalls konstant.

Dass trotz der konjunkturell schwachen Lage so viele Arbeits- und Fachkräfte gesucht werden, ist laut Arbeitsmarktexperte Enzo Weber auch eine Folge des langjährigen Beschäftigungsaufschwungs. „Es arbeiten so viele Menschen wie noch nie, der Wettbewerb um Arbeitskräfte ist intensiver geworden“, sagte Weber dem Tagesspiegel.

Hohes Erwerbspotenzial bei älteren Menschen

Die Folgen des Fachkräftemangels schlagen auch auf Kundinnen und Kunden sowie auf Geschäftspartner durch. Dadurch, dass Stellen nicht mehr besetzt werden können, berichten 40 Prozent der Firmen davon, ihr Angebot einschränken zu müssen und dadurch Aufträge zu verlieren. Dazu seien kürzere Öffnungszeiten, lange Wartezeiten auf Termine oder Einbußen beim Service keine Seltenheit mehr.

Um dem Fachkräfteproblem zu begegnen, benötigen die Betriebe nach den Worten von DIHK-Vizechef Dercks passende Rahmenbedingungen. Etwa durch mehr Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung, die Integration von Arbeitslosen, eine Steigerung der Produktivität oder mehr Zuwanderung aus dem Ausland.

Enzo Weber, Ökonom am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), sieht das größte Potenzial allerdings in der Aktivierung der älteren Bevölkerung im Inland. „Wir hätten fast 2,5 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte, wenn die Erwerbsquote der über 60-Jährigen so hoch wäre wie die der heute fünf Jahre Jüngeren“, sagte Weber. Aber auch die anderen Potenziale seien gewichtig. Die Arbeitslosigkeit kann Weber zufolge bis zur Vollbeschäftigung noch um mehr als eine Million gesenkt werden. Zudem könne die Produktivität durch mehr Digitalisierung um jährlich 0,3 Prozentpunkte erhöht werden.

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