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Firmen sollen verpflichtet werden, auch in vorgelagerten Aktivitäten ihrer Wertschöpfung, wie dem Abbau von Mineralien oder Erzen hier im Kongo, für faire Arbeitsbedingungen zu sorgen.

© dpa/Jürgen Bätz

Verhandlungen auf der Zielgeraden: Woran das Lieferkettengesetz der EU noch scheitern könnte

Die EU-Verhandlungen für einen wirksameren Schutz von Menschenrechten und Umwelt stehen kurz vor dem Durchbruch. Doch wichtige Punkte sind weiter offen. Wie verhält sich Deutschland?

Die Trilog-Verhandlungen zur Lieferkettenrichtlinie der EU zwischen Kommission, Rat und Parlament gehen am Mittwoch in die wohl entscheidende Phase. Fast zwei Jahre sind seit der Vorstellung des ersten Gesetzentwurfs der EU-Kommission vergangen. Ob der Finanzsektor in die Sorgfaltspflichten einbezogen wird, ist weiter offen. Ebenso wie Haftungsfragen sowie etwaige Umsetzungspflichten von Klimaschutzmaßnahmen. Auf Deutschland könnte es in den womöglich finalen Verhandlungen besonders ankommen.

„Die drei EU-Institutionen müssen sich endlich auf eine gemeinsame Position einigen“, sagt Johanna Kusch, Koordinatorin der „Initiative Lieferkettengesetz“. Von der Bundesregierung erwartet Kusch, dass sie sich für eine schnelle politische Einigung einsetzt: „Olaf Scholz muss sicherstellen, dass Deutschland als bevölkerungsreichster und wirtschaftsstärkster Mitgliedstaat der EU das EU-Lieferkettengesetz unterstützt.“

Hierzulande ist zu Jahresbeginn bereits das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz Lieferkettengesetz) mit verbindlichen Standards zu Menschenrechten und Umweltschutz in Kraft getreten. Mit der Corporate Sustainabilty Due Diligence Directive (CSDDD) treibt die EU parallel ihren Vorschlag für einen wirksamen Schutz der Liefer- und Wertschöpfungsketten innerhalb und außerhalb der EU voran. Demnach sollen Unternehmen sowohl vorgelagerte wie nachgelagerte Aktivitäten im Blick haben, also vom Rohstoffabbau über die Produktion bis zur Verwertung und Entsorgung.

NGOs für Einbeziehung der Finanzbranche

Einer der Knackpunkte der Verhandlungen ist weiterhin, ob und welche Teile des Finanzsektors in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen. In einem offenen Brief an die Verhandlungspartner sprechen sich 166 Organisationen gegen eine Aufweichung der Vorgaben für Banken, Versicherungen und Investoren aus. Die französische Regierung besteht dagegen auf eine vollständige Herausnahme des Sektors.

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Von deutscher Seite wird zudem versucht, verpflichtende Maßnahmen zur Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen aus der Richtlinie herauszuverhandeln. Mit Vorgaben für Transitionspläne oder konkreten Zielen zur Reduktion von Emissionen entlang der Wertschöpfungsketten geht das europäische Gesetz nämlich weiter als das deutsche. Offen und kontrovers diskutiert wird außerdem, ob nur die Aufstellung (Position der Bundesregierung) oder auch die Umsetzung (Forderung des Parlaments) von Klimaschutzmaßnahmen verpflichtend werden soll.

Haltung Deutschlands noch ungewiss

Wirtschaftsverbände lehnen die Richtlinie in ihrer aktuellen Form ab und wollen das EU-Lieferkettengesetz offenbar auf den letzten Meter stoppen. Das legen zwei Briefe nahe, die BDI (Industrie), BDA (Arbeitgeber), ZDH (Handwerk), DIHK (Handel) sowie Gesamtmetall-Verband in den vergangenen Wochen an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gerichtet haben. Die Schreiben liegen dem „Spiegel“ vor. Darin heißt es unter anderem, dass man mit „Irritationen“ die schnell voranschreitenden Trilog-Verhandlungen zum Richtlinienvorschlag der EU-Kommission verfolge, nachdem das deutsche Lieferkettengesetz bereits angewandt werde und die Unternehmen belaste.

Eine Verabschiedung würde laut Stellungnahme des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) von Anfang Dezember zu „mehr Bürokratie, Rechtsunsicherheit und letztendlich zum Rückzug europäischer Unternehmen aus Wertschöpfungsketten“ führen. Der Verband fordert zudem, etwa Betriebe mit weniger als 1000 Mitarbeitenden von den Regeln auszunehmen; das europäische Gesetz würde bereits für in der EU ansässige Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten gelten.

Einer im Mai von der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik veröffentlichen Umfrage unter 39 Firmen, stehen kleine und mittelständische Unternehmen der raschen Einführung eines europäischen Lieferkettengesetzes positiv gegenüber. Auch einzelne deutsche Großunternehmen, zum Beispiel VW und Tchibo, sprechen sich für eine Einführung der CSDDD aus.

Wenn die Trilog-Verhandlungen am Mittwoch zu einem Erfolg führen, könnte das Gesetz laut einer Sprecherin des EU-Parlaments noch im ersten Quartal 2024 vom Parlament bestätigt werden. Die Federführung der deutschen Position in den Verhandlungen zum europäischen Lieferkettengesetz liegt wie beim deutschen Gesetz beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Ebenfalls zuständig sind allerdings Wirtschafts- und Justizministerium.

Wie sich die Bundesregierung am Mittwoch verhält, ist noch offen. Fachleuten zufolge sind drei Szenarien möglich: Eine Mehrheit für das Gesetz mit Zustimmung Deutschlands. Eine Mehrheit mit Enthaltung Deutschlands (in Brüssel inzwischen auch als „German Vote“ bezeichnet); dann würden allerdings potenziell Themen, die der deutschen Seite wichtig sind, aus dem Gesetz herausfallen. Auch ein Scheitern des Gesetzes ist nicht vom Tisch, wenn sich wie in der Vergangenheit bereits angedroht etwa Frankreich mit Italien, Spanien und der Slowakei zu einer „block minority“ verabreden.

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