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Die Gewinnerin des Wirtschaftsnobelpreises 2023, Claudia Goldin.

© Nobel Prize Outreach/ Illustration: Niklas Elmehed

Harvard-Ökonomin gewinnt Nobelpreis: Was Frauen am Aufstieg in der Arbeitswelt hindert

Gender Pay Gap oder die Folgen der Pille: Frauen werden am Arbeitsmarkt oft benachteiligt, was bislang kaum systematisch erforscht war. Harvard-Ökonomin Claudia Goldin hat das geändert.

Der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften geht in diesem Jahr an die US-amerikanische Wissenschaftlerin Claudia Goldin. Das gab die Schwedische Akademie am Montagmittag in Stockholm bekannt. Die Forscherin von der Eliteuniversität Harvard erhält die Auszeichnung für ihre „Aufdeckung der wichtigsten Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt“.

„Dank der bahnbrechenden Forschungsarbeit von Claudia Goldin wissen wir jetzt viel mehr über die zugrunde liegenden Faktoren und darüber, welche Hindernisse in Zukunft beseitigt werden müssen“, sagte Jakob Svensson, der Vorsitzende des Nobelpreiskomitees.

Goldin ist vor allem für ihre umfangreichen Untersuchungen in der Arbeitsökonomie und speziell der Bedingungen von Frauen bekannt. Ihre einflussreichsten Arbeiten in diesem Bereich befassen sich etwa mit der Geschichte des Strebens von Frauen nach Karriere und Familie oder den Auswirkungen der Pille auf die Karriere- und Heiratsentscheidungen von Frauen.

Die ökonomische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern

Der Verdienstunterschied von Männern und Frauen sinkt zwar seit 1980. Allerdings verdienen Frauen auch heute noch durchschnittlich 13 Prozent weniger als Männer. Obwohl statistisch gesehen Frauen häufiger einen Schul- oder Universitätsabschluss haben als Männer, ist die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen weiterhin deutlich geringer: Während weltweit aktuell 80 Prozent der Männer in den Arbeitsmarkt integriert sind, ist bei Frauen nur die Hälfte.

Goldin wies nach, dass die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt nicht automatisch mit mehr Wirtschaftswachstum wächst, sondern zu Beginn des 19. Jahrhunderts abnahm, zur Mitte stagnierte und erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts wieder wächst. 

Außerdem zeigte Goldin, dass der Gender Pay Gap – also der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern – nicht kontinuierlich, sondern nur langsam und punktuell sinkt.

Dafür wertete die Wissenschaftlerin über 200 Jahre zurückreichende Daten aus. Systematische Informationen zu Anstellungsverhältnissen oder dem Verdienst von Frauen waren allerdings kaum lückenlos verfügbar. Goldin erhält die Auszeichnung daher auch für ihre akribische Arbeit durch Archive und die Erstellung neuer Datensätze.

Die US-Ökonomin konnte nach Verkündung der Auszeichnung telefonisch aus technischen Gründen nicht unmittelbar erreicht werden. Allerdings wurde die 77-Jährige laut Akademie bereits eine Stunde vor Bekanntgabe der Ergebnisse informiert. Von ihrer Ehrung soll sie „überrascht und sehr, sehr froh“ gewesen sein, wie Generalsekretär Hans Ellegren mitteilte.

Vergangenes Jahr wurden der frühere US-Notenbankchef Ben Bernanke sowie die beiden US-Ökonomen Douglas Diamond und Philip Dybvig für ihre Arbeit zum besseren Verständnis von Finanzkrisen ausgezeichnet. In der Ökonomie gilt vor allem Bernankes empirische Forschung zu den wirtschaftlichen Folgen von Bankenkrisen und den dahinter liegenden Mechanismen als wegweisend.

Preisträger waren bisher vor allem US-Männer

In den 55 Preisverleihungen seit 1969 wurden insgesamt 93 Wirtschaftsnobelpreise vergeben. Davon wurden 90 Auszeichnungen an Männer und drei an Frauen verliehen.

2009 erhielt die US-Forscherin Elinor Ostrom die Auszeichnung für ihre Analyse, wie etwa Wälder, Weiden oder Gewässer (sogenannte Allmendegüter) nachhaltig genutzt werden können. Zehn Jahre später wurde die französisch-amerikanische Wissenschaftlerin Esther Duflo als jüngste Preisträgerin in der Geschichte des Preises für ihren experimentellen Ansatz zur Linderung der globalen Armut ausgezeichnet.

Die deutliche Mehrheit der Preisträger:innen stammt aus den Vereinigten Staaten. Über die vergangenen zwölf Jahre gesehen beträgt der Anteil sogar rund 80 Prozent. Diese US-Dominanz in der Ökonomik geht vor allem auf die verhältnismäßig hohe finanzielle und dadurch personelle sowie technische Ausstattung zurück. Die Anzahl der Professuren an den Lehrstühlen ist größer, die wissenschaftlichen Stellen ebenso, die Gehälter höher.

Der bisher einzige deutsche Preisträger der Ökonomik-Auszeichnung ist Reinhard Selten aus Bonn. Er erhielt die Auszeichnung 1994 zusammen mit John Nash und John Harsanyi für ihre Arbeit zur nichtkooperativen Spieltheorie.

Seit dem 2. Oktober werden in Stockholm und Oslo die Preisträger:innen des Jahres 2023 verkündet. Anders als die Auszeichnungen für Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Friedensbemühungen, wird der Wirtschaftsnobelpreis nicht von Alfred Nobel, sondern nachträglich von der Schwedischen Nationalbank gestiftet.

Da der Preis allerdings zusammen mit den klassischen Nobelpreisen vergeben und ebenfalls mit umgerechnet rund 950.000 Euro dotiert ist, wird er im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Wirtschaftsnobelpreis bezeichnet.

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