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© Lisa Rock für den Tagesspiegel

„Der Erbonkel“: Wir sind König!

Sissi oder Susi, Charles oder Camilla – für den Anspruch auf den englischen Thron ist die Abstammung entscheidend. Doch „royales Blut“ hätten wir alle zu bieten.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Es war einmal, vor gar nicht langer Zeit, da titelte eine gewisse Postille, sich nah am Gefühl der Masse wähnend: „Wir sind Papst!“. Jemand, der zufällig den gleichen Pass wie 83 Millionen andere in diesem Land hatte, war zum Oberhaupt der katholischen Kirche erklärt worden und, das suggerierte die Headline, ein ganzes Volk konnte sich gebenedeit fühlen.

Immerhin war Benedikt gewählt worden, wenn auch nur von einem kleinen Kreis betagter Männer. Das machte die Sache zumindest ein wenig spannend: verschlossene Türen, weißer Rauch usw. Von Überraschung kann bei der Krönung von Charles, des jahrzehntelangen Thronfolgers, indes keine Rede sein, von Wahl auch nicht. Allein royale Abstammung gibt hier den Ausschlag. Dennoch verfolgt die ganze Welt die Krönungsfeierlichkeiten, als wären es die eigenen.

Der Charles in uns

Aber sind wir nicht alle ein bisschen König? Oder wenigstens ein wenig blaublütig? In der Tat! Jeder mit europäischer Abstammung ist ein direkter Nachkomme von Charles – zwar nicht dieses aktuellen dritten Charles Philip Arthur George aus dem Hause Windsor, sondern von dem Charles, von Charlesmagne, Karl dem Großen.

Royale Verwandtschaft haben nicht nur Charles III. und seine Frau Camilla, sondern praktisch jeder mit europäischen Wurzeln.
Royale Verwandtschaft haben nicht nur Charles III. und seine Frau Camilla, sondern praktisch jeder mit europäischen Wurzeln.

© IMAGO/i Images

Das sagt der Genetiker Adam Rutherford vom University College London. Denn der Stammbaum jedes einzelnen Menschen ist viel stärker mit denen seiner Mitmenschen verbunden, als man sich gemeinhin vorstellt. Da sich Ahnenforscher immer nur auf einen Zweig des Stammbaums konzentrieren, wird leicht vergessen, wie viele Vorfahren jedes Individuum hat: zwei in der Elterngeneration, vier Großeltern, acht Urgroßeltern... und in der 33. Generation, vor etwa 1000 Jahren, wären es acht Milliarden! Nach dieser Rechnung müssten alle jetzt lebenden Menschen zusammen weit mehr Vorfahren haben, als je auf der Erde gelebt haben, Trillionen.

Unser Urahn Karl der Große

In der Realität sind die Stammbäume aller jetzt lebenden Menschen jedoch miteinander verknüpft. Die Ur-Ur-...Ur-Großmutter kann auch die Ur-Ur-...Ur-Großtante gewesen sein. Inzucht, wenn man so will, oder einfach: Engere Verwandtschaft, als sich mancher Royal gegenüber dem Pöbel eingestehen mag. Mathematischen Modellierungen zufolge, gibt es einen Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte, an dem die Stammbäume zweier Menschen auf der Erde, egal wie wenig verwandt sie scheinen mögen, auf dieselbe Gruppe von Individuen zurückgehen. Wer an diesem „genetischen Isopunkt“, irgendwann zwischen 5300 und 2200 v.Chr., gelebt hat, war „entweder der Vorfahre aller heute lebenden Menschen oder von niemandem“, sagt Rutherford.

Für Menschen mit europäischen Vorfahren liegt dieser Isopunkt um das Jahr 1000 n. Chr., also nach Karl dem Großen. Weil er noch lebende Nachkommen hat, stammt also jeder Mensch mit europäischer Abstammung direkt von ihm ab.

Dem Erbonkel ist seine königliche Abstammung jedenfalls schnuppe, statt vor dem Fernseher verbringt er das Wochenende lieber in seinem Schrebergarten und wühlt bodenständig in der Erde. Was besagter Charles III. als passionierter Bio-Bauer ja bekanntlich auch ganz gerne tut. Oder tun lässt. Wir Royals sind halt alle gleich.

Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben – jedes Wochenende Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne des Wissenschaftsjournalisten und Genetikers Sascha Karberg.

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