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© dpa/Paul Zinken

Update

Missbrauch des Versammlungsrechts bei Palästina-Demo?: Berliner Polizei sieht sich nach Eskalation auf Potsdamer Platz überrumpelt

Angemeldet waren 50, gekommen waren 1000 Teilnehmer: Die Polizei war nach Aussagen von Polizeipräsidentin Barbara Slowik von der hohen Zahl der Demonstranten am Potsdamer Platz „überrumpelt“.

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Nach dem Aufmarsch von rund 1000 Menschen bei einer pro-palästinensischen Kundgebung, bei der fast drei Stunden lang Israelhass-Parolen gerufen wurden, hat Polizeipräsidentin Barbara Slowik um Verständnis gebeten. „Wir hätten gern diese unerträglichen Bilder verhindert“, sagte sie am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.

Nach Slowiks Darstellung war die Polizei von der hohen Zahl der Demonstranten überrumpelt worden, die zugleich von allen Seiten auf den Potsdamer Platz strömten. Ein erfahrener Beamter habe ihr gesagt, dass er so etwas „in der Dynamik, in der Schnelligkeit“ noch nie gesehen habe, berichtete Slowik. Es werde jetzt geprüft, inwiefern das Versammlungsrecht missbraucht worden sei. Eine zugelassene Demonstration sei gekapert worden, sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) zu den Vorfällen am Potsdamer Platz.

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin lobte die Reaktion der Berliner Polizei auf die Zuspitzung im Nahen Osten. „Der Schutz der jüdischen Einrichtungen wurde sichtbar und unsichtbar verstärkt“, sagte der Gemeindevorsitzende Gideon Joffe am Montag. „Die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden läuft gut.“ Diese seien in höchster Alarmbereitschaft. Auch das Vorgehen gegen pro-palästinensische Demonstrationen würdigte Joffe. „Die Demokratie hat in den letzten Tagen gezeigt, dass sie wehrhaft sein kann“, sagte er. Gleichwohl bleibe die Stimmung in der jüdischen Gemeinde angespannt. „Es sind bewegte, harte Zeiten. Wir sind 24 Stunden am Tag mit den Folgen des Überfalls der Hamas auf Israel befasst. Es nimmt kein Ende, es ist erst der Anfang.“

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Der Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith Arafeh, kritisierte die Einschränkungen für palästinensische Solidaritätsveranstaltungen. „Ich bin zutiefst besorgt über die übertriebene Reaktion auf eine friedliche Antikriegsdemonstration gestern in Berlin“, hieß es in einer Stellungnahme des Botschafters vom Montag. „Free Palestine“ sei ein Aufruf zur Beendigung der israelischen Besatzung und zur Wahrung der Menschenrechte, fügte er hinzu. „Es ist traurig, dass diese Aufrufe in einer Weise eingeschränkt werden, die den Werten freier Gesellschaften zuwiderläuft“, sagte Arafeh. Dass auch andere Parolen mit Israelhass und Terrorjubel gerufen wurden, verschwieg er.

Einwirken gegen extremistische Bestrebungen

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) betonte weiter: „Wir haben viele arabischstämmige Familien in der Stadt, die nichts mit der Hamas zu tun haben wollen. Das dürfen wir nicht vergessen.“ Sie würden auch Signale geben, dass sie versuchten, einzuwirken gegen extremistische Bestrebungen. Spranger betonte: „Wir müssen in Kitas und Schulen massiv Aufklärung betreiben.

Auch Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) forderte mehr Prävention. „Viele der Menschen, die an den Protesten teilnehmen, sind hier aufgewachsen, aber sie fühlen sich trotzdem nicht als Teil dieser Gesellschaft. Andernfalls wären sie sich unserer historischen Verantwortung bewusst. Wir müssen uns fragen, warum es uns nicht gelingt, diese Menschen zu integrieren.“

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) plant für Donnerstag angesichts des Angriffs der Hamas auf Israel und der Gefahrenlage jüdischer Personen und Einrichtungen in Berlin nach Tagesspiegel-Informationen eine Regierungserklärung im Abgeordnetenhaus. Das Thema solle sein: „Berlin hält zusammen – gemeinsam für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus.“ Die Grüne-Fraktion verzichtet aufgrund der derzeitigen Lage darauf, einen Vorschlag für die aktuelle Stunde einzureichen, teilte ein Fraktionssprecher mit.

153 Festnahmen, 80 Strafanzeigen, 68 Verfahren gegen Ordnungswidrigkeiten

Die Polizei war am Sonntag eingeschritten und hatte den Platz geräumt. Bei der Kundgebung gab es laut Slowik 153 Festnahmen. Es wurden 80 Strafanzeigen geschrieben und 68 Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten eingeleitet. Acht Einsatzeinheiten seien am Potsdamer Platz aktiv gewesen, insgesamt 800 Beamte im Einsatz gewesen, sagte Slowik. Vor Ort habe eine aggressive Stimmung geherrscht. Auch ein Wasserwerfer sei dorthin verlegt worden. Die Polizei habe sich jedoch gegen den Einsatz des Wasserwerfers entschieden, weil auch viele Kinder bei der Demonstration gewesen seien.

Bis Sonntag habe die Polizei „ein relatives Bild der Ruhe erzeugen können“, sagte Slowik. Erst im Lauf des Sonntagnachmittags sei in der Community intensiv über das Internet und die Chatkanäle für die eigentlich kleine Demonstration zum Israel-Konflikt geworben worden.  „Wir hatten andere Bilder aus New York, Wien, Paris und vielen anderen Städten.“ In Berlin habe die Polizei eine ganz besondere Verantwortung. Seit dem Hamas-Angriff auf Israel vor eineinhalb Wochen sei die Polizei mit hohem Kraftaufwand in der Stadt unterwegs gewesen, „ohne dass es die Stadt gemerkt hat“. Die Polizei sei konsequent und deutlich, aber „mit gutem Abwägen“ in Sachen Versammlungsfreiheit eingeschritten.

Mindestens ein Beamter wurde bei der Kundgebung am Potsdamer Platz durch einen Tritt in den Unterleib verletzt, wie ein Polizeisprecher am Sonntag mitteilte. Insgesamt seien 24 Beamte verletzt worden.

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Stephan Weh, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, sagte: „Jegliche Verherrlichung des extremistischen Gedankenguts präventiv zu verhindern, ist nicht möglich und es wird bei anwachsenden militärischen Aktionen auch nicht einfacher.“ In Berlin gebe es eine über Jahre gewachsene palästinensische Community. Die Auswirkungen des Nahost-Konflikts „werden sich in den nächsten Wochen noch weiter verstärken, denn wir reden hier über keinen politischen Konflikt, sondern einen religiösen Glaubenskrieg“, sagte Weh. In den sozialen Medien wachse weiteres Eskalationspotenzial, „das die Sicherheitsbehörden komplett an die Grenzen bringen wird“.

Viele Versammelte schwenkten Palästina-Fahnen. Einige trugen auch die Kufiya, bekannt als Palästinensertuch. Zu hören waren Rufe wie „Free, free Palestine“, „Allahu Akbar“ oder „Hoch die internationale Solidarität“.

Ein Kind hielt ein Schild hoch: „Gaza, vom größten Gefängnis der Welt zum größten Friedhof der Erde!“ Auch ein Plakat mit der Aufschrift „Genozid ist keine Lösung“ war zu sehen.

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„Mit unserem Blut und unserer Seele werden wir uns für Al-Aqsa aufopfern!“, übersetzte der Verein democ, der extremistische Bewegungen beobachtet, arabische Rufe aus der Menge. Die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem ist eine der wichtigsten Stätten des Islam. Demnach wurden auch Äußerungen wie „Intifada bis zum Sieg“ oder „Millionen von uns gehen als Märtyrer nach Jerusalem“ skandiert.

Angriffe auf die Polizei, Böller gezündet

Die Polizei forderte die Versammelten immer wieder über Lautsprecher dazu auf, den Platz zu verlassen. Allerdings kam kaum jemand aus der aufgebrachten Menge dieser Anordnung nach.

Mit mehreren Mannschaftswagen rückte die Polizei an, immer wieder ging sie in Gruppen in die Menge.
Mit mehreren Mannschaftswagen rückte die Polizei an, immer wieder ging sie in Gruppen in die Menge.

© Marius Gerards

Rund 500 Einsatzkräfte waren zum Potsdamer Platz angerückt. Gezielt gingen starke Kräfte in die Menge. Nach Angaben eines Polizeisprechers seien gezielt Rädelsführer ausfindig gemacht und in Gewahrsam genommen worden, um ihre Identität festzustellen.

Wiederholt kam es dabei zu Angriffen gegen Einsatzkräfte, nach Polizeiangaben wurde mindestens eine Einsatzkraft verletzt. Eine Festnahme konnte die Polizei nur unter der Androhung von Pfefferspray durchsetzen, da sich zu viele Menschen um die Einsatzkräfte drängten und sie behinderten. Mehrfach wurden auch Böller gezündet.

Nach etwa zwei Stunden besetzte die Polizei die Mitte des Platzes und trieb die Menge auseinander. Die Teilnehmenden zerstreuten sich in kleineren Gruppen in die umliegenden Straßen. Gegen 20 Uhr war der Polizeieinsatz schließlich vollständig beendet.

Polizeisprecher: Kleine Mahnwache wurde „gekapert“

Mehrere pro-palästinensische Stimmen in Berlin hatten über soziale Medien zu der Versammlung aufgerufen. Ursprünglich war allgemein für „Frieden in Nahost“ eine „Mahnwache für die zivilen Opfer der Menschen in Nahost“ angemeldet worden.

Nach Angaben des Polizeisprechers wurden dafür lediglich 50 Teilnehmende erwartet. Diese Mahnwache sei jedoch „gekapert“ worden. Nachdem der Anmelder sich von dem großen Protest distanziert und die Versammlung beendet habe, sei man von einer verbotenen Ersatzveranstaltung ausgegangen, die dann aufgelöst wurde.

Die Berliner Polizei hatte zuvor bereits mehrere Versammlungen und Ersatzveranstaltungen im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt verboten. Begründet wurde das mit der Erwartung, dass antisemitische, extremistische oder gewaltverherrlichende Inhalte geäußert werden könnten.

Für den Montagabend ist eine „Mahnwache für Frieden und Menschenrechte“ am Pariser Platz angemeldet – allerdings als „Dauereinrichtung“ seit 1. Oktober 2023 immer montags um 17 Uhr. Laut einem Sprecher der Berliner Polizei wurde die Veranstaltung mit einer voraussichtlichen Zahl von zehn Teilnehmern angemeldet.

Der Berliner SPD-Innenpolitiker Martin Matz betonte am Montag in einem Interview im RBB-Inforadio: „Für die aktuelle Situation und das Leid ist nur die Hamas verantwortlich. Die haben uns in diese Situation geführt.“ Das Auflösen der Demonstration durch die Polizei sei nicht einfach gewesen, weil die Kundgebung viel größer geworden sei als erwartet.

„Wir müssen alles dafür tun, damit der Hass der Hamas nicht noch weiter in Berlin um sich greift“, erklärte der Berliner Bundestagsabgeordnete Lars F. Lindemann (FDP). „Passiert es doch – wie erneut am Sonntag – muss mit der ganzen Härte des Gesetzes reagiert werden.“ Hier müsse der Berliner Senat aktiv werden. „Bei Identitätsfeststellungen und Platzverweisen kann es nicht bleiben.“ So müsse geprüft werden, „ob bei Hetzern mit doppelter Staatsangehörigkeit die Möglichkeit besteht, die deutsche Staatsbürgerschaft abzuerkennen.“ (mit dpa)

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