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Schöffen diskutieren gleichberechtigt mit, wenn es an die Urteilsfindung geht.

© picture alliance / dpa

Schöffe auch mit über 70?: Berlins Justizsenatorin verteidigt Altersgrenze für ehrenamtliche Richter

Der Bundesverband ehrenamtlicher Richter kritisiert die Altersgrenze für Schöffen als unzeitgemäß. Senatorin Kreck argumentiert mit höherer Ausfallwahrscheinlichkeit.

Berlin und Brandenburg suchen Freiwillige, die als Schöff:innen an Strafprozessen teilnehmen. Für die fünfjährige Wahlperiode von 2024 bis 2028 werden rund 3000 dieser ehrenamtlicher Richter:innen für Brandenburg und 8000 für Berlin gebraucht.

Es gilt aber eine Altersgrenze: Wer den 70. Geburtstag hinter sich hat, darf nicht kandidieren. Diese Altersgrenze wird als unzeitgemäß kritisiert, unter anderem vom Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter.

Der Bundesverband setzt sich seit Jahren dafür ein, die Regelung zu ändern. Bei jedem Treffen des Bundesvorstands mit den Länder- oder Bundesjustizministern spreche man dieses Thema an, sagt der Vorsitzende des Landesverbands Berlin-Brandenburg, Norman Uhlmann. Bislang ohne Erfolg. Dabei hält Uhlmann auch ohne eine feste Altersgrenze durchaus eine Regelung für möglich, die Tätigkeit der ehrenamtlichen Richter:innen zu beenden, wenn die zur Ausübung dieses Amtes erforderlichen geistigen oder körperlichen Fähigkeiten nicht mehr bestehen.

Menschen „mit geringer Ausfallwahrscheinlichkeit“

Uhlmann verweist dabei auch auf die verwirrenden und unlogischen Regelungen. Denn nicht überall gilt die Altersgrenze. So gibt es bei den Verwaltungsgerichten für ehrenamtliche Richter:innen keine Altersgrenze. Auch im Bereich der Sozialgerichte, wo die Schöff:innen von diversen Statusgruppen nominiert werden, spielt das Alter keine Rolle. An Arbeitsgerichten dagegen bleiben Menschen über 65 Jahre komplett außen vor. Demgegenüber steht, dass es bei sämtlichen Gerichten für Anwälte keinerlei Altersbegrenzung gibt.

Die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) möchte indes an der Altersgrenze festhalten und argumentiert, die Rechtspflege werde durch eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit gefährdet. „Schöffinnen und Schöffen sind oft in großen Strafverfahren mit komplizierter Thematik und vielen und langen Verhandlungstagen eingesetzt“, sagt Justizsprecherin Jana Neskovic: „Es ist dann eine Katastrophe für die Rechtspflege, wenn Menschen ausfallen oder längere Zeit erkrankt sind, weil dadurch ganze Verfahren zum Erliegen kommen.“

In den Gerichten würden deswegen Menschen „mit geringer Ausfallwahrscheinlichkeit“ benötigt, sagte Neskovic. Schließlich seien „Schöffen für ein Verfahren genauso wichtig wie hauptamtliche Richter – für die auch eine Altersgrenze gilt.“ Gleichwohl werde man natürlich die Diskussion weiterverfolgen.

Auch zahlreiche Leser:innen der „Ehrensache“ beschäftigt die Frage

„Es ist ein Riesenberg von Erlebnissen und Erfahrungen, auf den ich zurückblicken kann, der nun der Altersdiskriminierung zum Opfer fällt und von der Gesellschaft nicht genutzt wird“, ärgert sich Carola Mane, die demnächst 70 Jahre alt wird.

Damit ist die langjährige Schöffin, die selbst aus der Verwaltung kommt, von der Altersregel betroffen. „Ich sehe eine Diskriminierung, die nicht einmal sachlich begründet werden kann.“ Sie würde „sehr gern weiterhin als Schöffin dabei sein, wie bereits in den vergangenen drei Wahlperioden, und fühle mich geistig und körperlich dazu absolut noch in der Lage“. Carola Mane wünscht sich deshalb eines: dass die Altersgrenze wenigstens für die Zukunft fällt.

Hubert Többen aus Cuxhaven ist als Schöffe am Landgericht in Stade tätig. Er hält die Altersgrenze für falsch, auch wenn sie ihn noch nicht betrifft. „Die aktuelle Altersgrenze von 70 Jahren halte ich für willkürlich und in keiner Weise der Lebenswirklichkeit angepasst“, schreibt er. „Nicht wenige weit über 70-Jährige betreuen etwa ihre Enkelkinder, fahren mit dem Wohnmobil, reisen in die Welt, treiben regelmäßig Sport oder gehen sogar noch einer Arbeit nach. Oder erfüllen Ehrenämter.“ Hubert Többen schlägt als Alternative zur bestehenden Regel ein Attest vor, in dem der Hausarzt die körperliche und geistige Eignung bestätigt.

Bernd Kampmann aus Dortmund ist seit vier Jahren Schöffe und 63 Jahre alt. „Da ich Spaß an dem Ehrenamt habe, würde ich es begrüßen, wenn ich es auch noch mit über 70 Jahren ausüben dürfte“, sagt er. 


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