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Ein Azubi aus dem Bereich Sanitär, Heizung, Klima schweißt ein Metallrohr.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Vorbild Sanitärhandwerk: Berliner Betriebe werben aktiver um Azubis

Berufsorientierung ist das Zauberwort gegen den Azubimangel: Schüler sollen früher und besser informiert werden. Der Berliner Senat startet ein Bündnis für Ausbildung.

Fünf junge Leute beginnen demnächst ihre Ausbildung bei der Berlin Industrial Group (BIG) in Marzahn, zu der mit Scansonic einer der weltweit führenden Hersteller von Laserbearbeitungsoptiken gehört. Zwei künftige Mechatroniker haben einen mittleren Schulabschluss, zwei Fachinformatiker und ein Lagerlogistiker kommen mit Abitur zur BIG. „Die Zahl der Bewerbungen insgesamt war nicht das Problem, jedoch allzu häufig die Qualität“, heißt es beim Unternehmen. Man beobachte, „dass die Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen in den letzten Jahren zurückgegangen sind“. Und dass sich Kandidaten und Kandidatinnen nicht wirklich über den Ausbildungsgang informiert hatten.

Qualität der Schulabgänger und fehlende Berufsorientierung sind aus Sicht der Wirtschaft die Hauptgründe der Ausbildungsmisere. DGB und SPD dagegen werfen den Unternehmen mangelnde Ausbildungsbereitschaft vor. Nur elf Prozent der Berliner Betriebe bilden aus, im vergangenen Jahr blieben ausweislich der Statistik 3135 Jugendliche ohne Ausbildungsstelle. Wenn das Angebot aber die Nachfrage nicht decken kann, „müssen wir Maßnahmen ergreifen“, sagt Arbeitssenatorin Cancel Kiziltepe (SPD).

Kammern und Verbände argumentieren anders: Ein Drittel der Betriebe könnte die Ausbildungsplätze nicht besetzen, weil es keine Bewerber gebe. Alles in allem habe es im Juli noch rund 15.000 offene Stellen gegeben. Eine Umlage bringe also nichts.

Die Ausbildungsumlage sichert auf solidarische Weise Zukunft und Qualität der Ausbildung und ist wesentlich wirkungsvoller als alle Ausbildungsoffensiven.

Nele Techen, stellvertretende DGB-Vorsitzende in Berlin-Brandenburg

Der Umgang mit der Ausbildungskrise ist wirtschaftspolitisch das heißeste Thema des neuen Senats. Die SPD hat im Koalitionsvertrag die Ausbildungsumlage durchgesetzt: Wenn die Firmen bis April 2025 nicht 2000 zusätzliche Ausbildungsplätze anbieten, kommt die Umlage. Betriebe, die nicht ausbilden, sollen zugunsten von Ausbildungsbetrieben zahlen. „Die Umlage ist keine Zwangsabgabe, sondern sichert auf solidarische Weise Zukunft und Qualität der Ausbildung und ist vor allem wesentlich wirkungsvoller als alle Ausbildungsoffensiven der letzten Jahre“, findet Nele Techen, stellvertretende Vorsitzende des DGB in Berlin-Brandenburg. 

Nur ein Drittel der Schulabgänger nach der 10. Klasse beginnt eine Ausbildung in einem Betrieb, zwei Drittel setzen die schulische Ausbildung fort im sogenannten Übergangssystem mit diversen schulischen Formaten, die eher selten zur Berufsausbildung führen.

Berlins Wirtschaftsstruktur ist geprägt von Kleinbetrieben und einem überproportional großen Dienstleistungssektor mit einem Anteil von 90 Prozent, der Bundesdurchschnitt liegt bei 72 Prozent. Es gibt nur wenige industrielle Großbetriebe, die viel ausbilden. Das erklärt indes nicht die schwache Ausbildungsquote im Handwerk: 30.300 Betriebe gibt es im Berliner Handwerk, in denen im vergangenen Jahr 3303 junge Leute die Ausbildung in einem der 130 Berufe begannen.

„Das Sanitärhandwerk ist stilbildend“, heißt es bei den Unternehmensverbänden UVB anerkennend über die Bemühungen der Innung Sanitär, Heizung, Klima (SHK). „Wir sind das ausbildungsstärkste Handwerk in Berlin“, freut sich Innungschef Andreas Koch-Martin. Mit einer Vielzahl von Werbemaßnahmen, darunter Klima- und Azubicamps, macht die Branche auf sich aufmerksam. Die Ausbildungszahl erhöhte sich nach eigenen Angaben um rund ein Viertel in den vergangenen zehn Jahren. „Wir sind ununterbrochen unterwegs“, sagt Koch-Martin, der von 50 Mitarbeitenden in der Innung unterstützt wird. Unter anderem pflegt die Innung Kooperationen mit 35 allgemeinbildenden Schulen.

Viele brechen ab

Früher, so berichtet Koch-Martin, hätte rund ein Drittel der Azubis ausbildungsbegleitende Förderung gebraucht wegen Schwächen in Deutsch und Mathematik; inzwischen seien es zwei Drittel. „Wir können uns die jungen Leute nicht backen“, sagt der Innungschef. Auch aufgrund mangelhafter Berufskenntnisse liege die Abbrecherquote in der Ausbildung im Handwerk insgesamt noch immer bei rund einem Drittel, sei aber im Bereich SHK zuletzt gesunken. Die Innung hilft beim Wechsel des Ausbildungsbetriebs, wenn Azubis Probleme haben mit Kolleginnen oder dem Meister und besser in eine andere Firma passen.

Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe bereitet das Bündnis für Ausbildung vor sowie die Ausbildungsumlage.

© dpa/Hannes P Albert

Der schwarz-rote Senat möchte einen Schwerpunkt setzen in der Berufsorientierung und legt dazu „ein Pilotprojekt zur aufsuchenden Berufsorientierung in ausgewählten Quartieren mit sozialen Herausforderungen“ auf. Das Angebot „Komm auf Tour“ und das „Berliner Programm Vertiefte Berufsorientierung“ sollen künftig in allen Bezirken durchgeführt und die dafür erforderlichen Mittel erhöht werden.

Die IHK begrüßt das. „Schüler sollten bereits während der Schulzeit von der ersten Orientierung, über die Bewerbung bis hin zum Ausbildungsvertrag prozessbegleitend beraten und gecoacht werden“, meint die Industrie- und Handelskammer, die selbst drei Millionen Euro in eine Ausbildungsoffensive investiert, unter anderem auch zur „Verbesserung der Berufsorientierung und des Matchings zwischen Unternehmen und Schulabgänger“.

„Aufsuchende Beratung“ vor Ort

In einem Bündnis für Ausbildung, das am 30. August erstmals zusammentrifft, werden die Senatorinnen für Arbeit, Wirtschaft und Bildung gemeinsam mit Kammern, Verbänden, Gewerkschaften und „weiteren Akteuren der Berufsbildung“ Wege für „eine dauerhafte Schaffung von zusätzlichen betrieblichen Ausbildungsplätzen“ erörtern. Dazu gehört auch mehr Verantwortung für die zwölf Jugendberufsagenturen, deren Mitarbeitende in die Kieze gehen sollen, um dort „aufsuchende Beratung“ zu leisten.

Abschluss liegt lange zurück

Für die IHK ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass mit dem Ausbau der aufsuchenden Beratung auch die Schulabsolventen erreicht werden, deren Abschluss mindestens ein Jahr zurückliegt. „Allein in der Statistik der Arbeitsagentur macht diese Zielgruppe rund 60 Prozent aller Bewerber aus und liegt weit über dem Bundesdurchschnitt“, argumentiert die Kammer. Durch die Beratung könnte festgestellt werden, „ob der laut Statistik suchend gemeldete Jugendliche immer noch suchend ist und wo/wie man ihn unterstützen kann“. 

Die Unternehmensverbände und der Verband der Metallindustrie stellen derweil 400.000 Euro zur Verfügung, um gemeinsam mit der gemeinnützigen Organisation „Joblinge“ an acht sogenannten Brennpunktschulen Aufklärung zu leisten über Berufsfelder. Brennpunktschulen sind Schulen mit einem hohen Anteil NHD-Schüler – das steht für Nicht-Deutscher-Herkunft. Bei einer ersten Ausbildungsbörse haben die Joblinge Mitte Juli rund 30 Unternehmen mit Jugendlichen zusammengebracht, um über Praktika und Ausbildungen zu informieren.

Auch über steigende Einkommen. „Die Tarifvertragsparteien reagieren auf sinkende Ausbildungszahlen und einen zunehmenden Fachkräftemangel, dem ohne eine deutliche Verbesserung der Vergütungsniveaus nicht entgegnet werden kann“, sagt Thorsten Schulten von der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung. Spitzenreiter ist das Backhandwerk, wo die Ausbildungsvergütungen in diesem Jahr um 26,5 Prozent steigen. Erhöhungen um 20 Prozent und mehr gibt es in Teilen des Gastgewerbes, der westdeutschen Floristik und der Süßwarenindustrie.

1200
Euro bekommen Pflege-Azubis im öffentlichen Dienst

Die höchste tarifliche Ausbildungsvergütung wird aktuell im ersten Ausbildungsjahr mit rund 1200 Euro im öffentlichen Dienst für die Pflegeberufe gezahlt. In zwölf von 20 Tarifbranchen liegt das monatliche Azubigehalt im ersten Jahr zwischen 800 und 1000 Euro. Hierzu gehören das Kfz-Handwerk, der Einzelhandel, das Bauhauptgewerbe, die Holz und Kunststoff verarbeitende Industrie, das private Verkehrsgewerbe, Teile der Süßwarenindustrie und des Gastgewerbes sowie das Gebäudereinigungshandwerk und das Backhandwerk.

Das wenigste Geld bekommen Azubis in Teilen der Landwirtschaft mit 790 Euro, dem nordrhein-westfälischen Friseurhandwerk mit 610 Euro und der ostdeutschen Floristik mit 585 Euro. Die beiden zuletzt genannten Tarifbereiche sind indes unwirksam, weil sie unterhalb der gesetzlichen Mindestausbildungsvergütung von 620 Euro liegen.

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