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Nur zwei von 16 geprüften Schulbüchern sollen Israel differenziert darstellen.

© Jerome Buske

Wie antisemitisch sind Schulbücher?: Studie kritisiert Israel-Darstellungen in Lehrwerken für Berlin und Brandenburg

Schulbücher sollten den Nahostkonflikt abbilden, ohne die Legitimität des Staates Israel anzuzweifeln. Ein Blick in aktuelle Lehrwerke zeigt, dass das oft nicht gelingt.

Anlässlich des 75-jährigen Jahrestags der Staatsgründung Israels haben die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) und das Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB) untersucht, wie Israel in Schulbüchern dargestellt wird, mit denen aktuell in Berlin und Brandenburg gelehrt wird. Geprüft wurden Lehrwerke der Fächer Geschichte und Politik für die Sekundarstufe I. 

Die Studie stuft zwei der 16 untersuchten Schulbücher, die Israel thematisieren, als geeignet für den Unterricht ein. Die anderen 14 Bücher würden ein unausgewogenes Bild Israels erzeugen, das israelbezogenen Antisemitismus nähre.

Das Ergebnis lässt die meisten Verlage schlecht dastehen. Die Liste der Beanstandungen ist lang, die Folgen für die Antisemitismus-Prävention seien fatal, so Studienleiterin Miki Hermer: „Die oft einseitige und tendenziöse, teilweise schlicht falsche Darstellung in Schulbüchern verhindert, dass Schüler sich unvoreingenommen mit Israel auseinandersetzen können.“

Von Kindern und Soldat:innen

Hermer, die Bildungsreferentin der AAS, veranschaulicht das an einem Lehrbuch des Klett-Verlags. Auf der Titelseite zum Thema Nahostkonflikt zu sehen sind zwei Bilder: Das obere zeigt betende jüdisch-israelische Soldat:innen an der Klagemauer in Jerusalem. Das untere zeigt betende palästinensische Muslime in Zivil. Hermer analysiert die Gegenüberstellung: „Das Bild suggeriert, dass es in einem religiösen Konflikt die Guten und die Bösen, die Starken und Schwachen, David und Goliath gibt.“

Dass die Abbildung kein Einzelfall ist, zeigt eine Reihe weiterer Beispiele. Wenn es um die Intifada – die palästinensischen Aufstände gegen Israel – geht, werden immer wieder Kinder, die mit Steinen werfen, israelischen Militärs entgegengesetzt. Eine Darstellung, die Schüler:innen laut der Studie zweifellos in ihrer Meinungsbildung beeinflusse.

Die oft einseitige und tendenziöse, teilweise schlicht falsche Darstellung in Schulbüchern verhindert, dass Schüler sich unvoreingenommen mit Israel auseinandersetzen können.

Miki Hermer, Bildungsreferentin der Amadeu Antonio Stiftung.

Doch nicht nur das Bildmaterial, mit dem Schulbücher illustriert sind, wird in der Studie kritisiert. Hermer liest eine Aussage vor, die sie in einem Lehrwerk entdeckt hat: „Palästina war keine Wüste, die darauf gewartet hat, von den Juden besiedelt zu werden.“ Eine Aussage, keine Frage. Es sei eine Aussage, die die Legitimität der Staatsgründung Israels infrage stellt, die israelbezogenen Antisemitismus befeuere.

„Die Essenz, um die Staatsgründung Israels nachzuvollziehen, ist der Zionismus. Der Zionismus war die Reaktion auf den grassierenden Antisemitismus seit dem 19. Jahrhundert“, sagt Hermer. In den meisten Schulbüchern werde der Zionismus negativ als Strategie des vermeintlichen Aggressors Israel dargestellt. Die jahrhundertelange Verwurzelung von Jüd:innen in der Region bleibe unerwähnt, zentrale Ereignisse des Nahostkonflikts würden ausgespart, der Terror gegen die israelische Zivilbevölkerung relativiert.

Kontrollinstanzen versagen

Auf dem Podium, auf dem Hermer ihre Kritik vorträgt, sitzt neben dem Berliner Antisemitismusbeauftragten Samuel Salzborn auch Ilas Körner-Wellershaus, Leiter des Klett-Verlags und Vorsitzender des Verbands Bildungsmedien. Gegen Hermers Analyse des Titelbildes in dem Klett-Lehrbuch kann er nichts einwenden, gibt jedoch an, dass das Buch mittlerweile überarbeitet worden sei. Zumindest in Berlin wird es aber offenbar immer noch verwendet. 

Doch wie kommt es, dass sich solche Darstellungen überhaupt in Schulbüchern wiederfinden? „Ich glaube, dass beim Thema Israel nicht Faktenwissen, sondern das geglaubte Geraune die Diskussion prägt und sich auch in den Schulbüchern wiederfindet“, sagt Salzborn. Der Berliner Antisemitismusbeauftragte hat selbst an einem Schulbuch mitgewirkt. Er vermutet, dass es unter den mitarbeitenden Lehrern und Wissenschaftlern eine entsprechende vorherrschende Meinung zum Nahostkonflikt gibt.

Ich glaube, dass beim Thema Israel nicht Faktenwissen, sondern das geglaubte Geraune die Diskussion prägt und sich auch in den Schulbüchern wiederfindet.

Samuel Salzborn, Antisemitismusbeauftragter des Landes Berlin.

„Lehrbücher werden alle drei bis vier Jahre überarbeitet. Zunächst die Stammausgabe, dann die Ausgaben der einzelnen Bundesländer. Der Zulassungsprozess dauert dann in den meisten Ländern noch mal mehrere Monate“, gibt Körner-Wellershaus Einblick in die Produktion.

Während also meist gleich zwei Kontrollinstanzen versagen könnten, sei das in Berlin anders. „Lehrbücher werden faktisch ohne Prüfung zugelassen“, gibt Salzborn zu bedenken. Die Entscheidung, mit welchem Buch gearbeitet wird, liege aber sowieso bei den Schulen, zumal diese nicht immer die neuesten Lehrwerke kaufen.

Wie es anders geht

In seinem Verlag würden Bücher mittlerweile unter Mitwirkung des Zentralrats der Juden produziert, sagt Körner-Wellershaus. Er ist der einzige Leiter von einem der drei großen Schulbuchverlage, der zu der Podiumsdiskussion erschienen ist. Im Gegensatz zu Cornelsen und Westermann verantwortet Klett die beiden einzigen Bücher, die von der Studie für den Unterricht empfohlen werden.

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Bücher der 16 geprüften Werke werden von der Studie für den Unterricht empfohlen.

Die Lehrwerke „Geschichte und Geschehen“ und „Projekt G“ für die Jahrgangsstufen 9/10 thematisieren den vom Rahmenlehrplan vorgegebenen Nahostkonflikt. Hermer lobt ausdrücklich die Herangehensweise der Autor:innen. Der Nahostkonflikt werde historisch kontextualisiert als Folge der Shoah. Auch der Zionismus und die Ursprünge jüdischer Kultur in der Region würden korrekt dargestellt.

Wir müssen die Schüler:innen zurückholen zu den Fakten. Wir müssen die Diskussion versachlichen, die Daueremotionalisierung, gerade über die sozialen Medien, wirkt der Aufklärung entgegen.

Samuel Salzborn, Antisemitismusbeauftragter des Landes Berlin.

Für Hermer, Salzborn und Körner-Wellershaus ist das einer der Schlüssel zum Umgang mit antisemitischen Äußerungen von Schüler:innen: „Wir müssen die Schüler:innen zurückholen zu den Fakten. Wir müssen die Diskussion versachlichen, die Daueremotionalisierung, gerade über die sozialen Medien, wirkt der Aufklärung entgegen“, betont Salzborn.

Den anderen Schlüssel sehen die drei darin, neben der Shoah und dem Nahostkonflikt auch jüdisches Leben zu zeigen. Es würden keine Vorurteile abgebaut, wenn Jüd:innen nur als Opfer oder Täter:innen gezeigt würden. Jüd:innen müssten als Menschen sichtbar, jüdische Kultur erfahrbar gemacht werden.

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