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Auch Amnesty International macht immer wieder auf Nahid Taghavis willkürliche Festnahme aufmerksam.

© Amnesty International/Jarek Godlewski

Deutsche Gefangene im Iran: „Meine Mutter ist Opfer der Geiseldiplomatie“

Seit zwei Jahren ist die Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi in einem Teheraner Gefängnis inhaftiert. Hier berichtet Tochter Mariam Claren über den Kampf für die Freiheit ihrer Mutter.

Frau Claren, vor mehr als zwei Jahren wurde Ihre Mutter, die Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi, in Teheran von Revolutionsgardisten festgenommen. Seitdem wird sie mit kurzen Unterbrechungen im berüchtigten Evin-Gefängnis festgehalten. Wie geht es ihr?
Gesundheitlich nicht so gut. Sie hat Bluthochdruck, Diabetes und mehrfache Bandscheibenvorfälle. Aber mental ist meine Mutter unfassbar stark. Dafür bin ich sehr dankbar.

Wann hatten Sie beide das letzte Mal Kontakt?
Gerade heute Morgen hat sie mich angerufen! Meine Mutter darf fünfmal pro Woche telefonieren.

Was hat sie erzählt?
Dass sie eine Blutuntersuchung hatte und auf das Ergebnis wartet. Ich habe ihr von einem Podcast erzählt. In dem ging es um britische Strafgefangene, die früher nach Australien gebracht wurden und dort die Aborigines vertrieben haben. Meine Mutter hat das sehr interessiert. Freiheit ist ein großes Thema für sie.

Was wissen Sie über den Alltag im Gefängnis?
Man muss zwei Phasen bei einem Gefängnisaufenthalt unterscheiden. In der ersten Phase kommen die Insassen in den Hochsicherheitstrakt und müssen dort in Isolationshaft.

Es gibt weiße Folter, also Psychoterror. Das heißt: 24 Stunden Neonlicht, verbundene Augen, kaum Nahrung und keine Möbel in der Zelle. Meine Mutter hat sieben Monate auf dem blanken Boden geschlafen, als damals 66-Jährige.

Und in der zweiten Phase?
Die beginnt nach der Verurteilung, das Leben in der Haftanstalt ist dann ein anderes. Die Frauen werden in einen eigenen Trakt verlegt. Zwischen 20 und 25 weibliche politische Gefangene befinden sich in der Regel dort.

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Meine Mutter ist gemeinsam mit Anwältinnen, Journalistinnen, Menschenrechtlerinnen, Umweltschützerinnen inhaftiert. Das ist die Elite des Landes. Sie kochen zusammen, können lesen, es gibt Sprachkurse, die von den Insassinnen selbst organisiert werden.

Im Iran sind Gerichtsverhandlungen nichts anderes als Schauprozesse. Das Urteil steht in der Regel schon fest.

Mariam Claren, Iran-Aktivistin

Ihre Mutter setzt sich für Frauenrechte und Meinungsfreiheit ein. Ist sie deshalb ins Gefängnis gekommen?
Es gibt zwei Gründe. Zum einen ist sie eine erklärte politische Gegnerin der Islamischen Republik, gerade wenn es um Frauen- und Arbeiterrechte geht. Eine typische Linke. Zum anderen ist sie deutsche Staatsbürgerin. Der Iran nimmt Doppelstaatlerinnen und Doppeltstaatler in Haft, um sie als Verhandlungsmasse gegenüber den entsprechenden Ländern zu missbrauchen.

Ist das Geiseldiplomatie?
Auf jeden Fall!

Mehr als zehn Jahre Gefängnis, lautete das Urteil. Gab es eine Gerichtsverhandlung, die den Zusatz „fair“ verdient hätte?
Nein. Auch wenn meine Mutter ihren unabhängigen Anwalt an ihrer Seite hatte: Im Iran sind Gerichtsverhandlungen nichts als Schauprozesse. Das Urteil steht in der Regel schon fest.

Wie haben Sie und Ihre Familie reagiert, als die Festnahme vor gut zwei Jahren bekannt wurde?
Die ersten 24 Stunden war ich extrem panisch. Ich wusste, was sich im Evin-Gefängnis abspielt. Ich wusste, was politisch motivierte Festnahmen bedeuten. Und ich wusste, wozu das Regime fähig ist. Ich bin dann aber rasch aus dem Krisenmodus herausgekommen und habe mich entschlossen, für meine Mutter zu kämpfen.

Sie haben einmal gesagt, der Tag, an dem Ihre Mutter ins Gefängnis kam, habe aus Ihnen eine Aktivistin gemacht.
Das stimmt. Ich muss jedoch zugeben: Vor der Festnahme habe ich mich kaum für den Iran interessiert. Für mich war das weit weg. Trotz meiner politisch engagierten Mutter wollte ich nicht hören, was dort vor sich geht. Das hat sich dann schlagartig geändert.

Heute setzen Sie sich nicht nur für die Freilassung Ihrer Mutter ein, sondern auch für andere politische Gefangene des Regimes. Gibt es Aussicht auf Erfolg?
Auf jeden Fall! Auch wenn Realismus angebracht ist. Politische Gefangene kommen nicht gleich frei, weil man sich für sie einsetzt.

Aber ich habe mit anderen Aktivistinnen aus Bundes- und Landesebene ein Patenschaftsprogramm für politische Gefangene im Iran initiiert. Das hat zu besseren Haftbedingungen geführt, Todesstrafen wurden in langjährige Gefängnisstrafen umgewandelt. Dabei ist eines entscheidend.

Von einer Bundesregierung, die sich feministische Außenpolitik und die Einhaltung der Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben hat, erwarte ich mehr.

Mariam Claren, Iran-Aktivistin, ist enttäuscht von der deutschen Regierung.

Das wäre?
Der Iran möchte am liebsten im Verborgenen agieren. Wenn die Verbrechen der Herrscher ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden, tut das dem Regime weh.

Auch Deutschland setzt sich für die Demonstranten und deren Freiheitsbewegung ein, sanktioniert Vertreter der Machtelite. Reicht das aus?
Ich glaube nicht. Von einer Bundesregierung, die sich feministische Außenpolitik und die Einhaltung der Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben hat, erwarte ich mehr. Vor allem mehr Druck. Aber wir haben ein Problem mit unserer Iran-Politik.

Und zwar welches?
Wirtschaftsinteressen wiegen offenkundig schwerer als Menschenrechte.

Die Proteste im Iran gegen die Machthaber haben, so scheint es, an Schwung verloren. Haben die Mullahs gesiegt?
Nein, auf keinen Fall. Die Proteste büßen auch nicht an Schwung ein. Revolutionäre Prozesse haben nun mal Höhen und Tiefen. Ziviler Ungehorsam ist weitverbreitet. An vielen Orten tragen die Frauen kein Kopftuch mehr, es gibt immer wieder Streiks. Ich will zwar keine falschen Hoffnungen wecken. Doch ich bin mir sicher: Das Regime erlebt die größte Bedrohung seit Gründung der Islamischen Republik vor 44 Jahren.

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