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Der türkische Präsident Erdogan hat seine Unterstützung für eine Nato-Aufnahme Schwedens an EU-Beitrittsgespräche geknüpft. 

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Beata Zawrzel

Nach Erpressungsversuch beim Nato-Gipfel: Hat Erdogan das Aus für den EU-Beitritt der Türkei besiegelt?

Der türkische Präsident hat seine Unterstützung für eine Nato-Aufnahme Schwedens an EU-Beitrittsgespräche geknüpft. Wie geht es nun weiter? Drei Experten, drei Meinungen.

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Rund ein Jahr lang hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Aufnahme Schwedens in die Nato blockiert und immer neue Bedingungen gestellt. So verpflichtete sich Stockholm unter anderem, einen Plan für die Terrorismusbekämpfung vorzulegen. Kurz vor dem Nato-Gipfel in Vilnius machte Erdogan seine Zustimmung dann überraschend davon abhängig, dass der Prozess zum EU-Beitritt der Türkei wiederaufgenommen wird, bevor er schließlich einlenkte. Hat der türkische Staatschef mit diesem Manöver die Chancen seines Landes auf eine Aufnahme in die EU endgültig verbaut? Drei Experten geben in unserem Format „3 auf 1“ ihre Einschätzung ab. Alle bisherigen Folgen finden Sie hier.


Kein schlechter Schachzug von Erdogan

Präsident Erdogans Vorstoß, den Beitritt Schwedens in das Verteidigungsbündnis mit einer EU-Perspektive für die Türkei zu verknüpfen, war machtpolitisch kein schlechter Schachzug. Er konnte der EU, der Nato, den USA und Schweden Zugeständnisse abringen, die er in der Türkei als Triumph verkaufen wird. Positiv ist, dass nun wieder über einen EU-Beitritt gesprochen wird.

Es ist ein Zeichen, dass Erdogan sich um ein pragmatisches Verhältnis mit der EU bemühen möchte. Die Schwächung Russlands durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine und die finanzpolitischen Schwierigkeiten der Türkei machen Moskau für Ankara entbehrlicher, Brüssel dagegen unentbehrlicher denn je.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

© IMAGO/APAimages/IMAGO/Turkish presidency \ apaimages

Gleichwohl wird die EU-Türkei-Kooperation auf sicherheitspolitische Fragen und Friedensdiplomatie im Ukrainekrieg beschränkt bleiben. Zu einer Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen wird es nicht kommen. Dafür wären Demokratisierung und Reformen vonnöten – beides steht jedoch nicht auf der politischen Agenda in Ankara.

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Der türkische Staatschef macht sich keine Illusionen

Mit seiner Verknüpfung von Schwedens Nato-Beitritt und den EU-Aussichten der Türkei hat Erdogan sein Gesicht gewahrt. Ich glaube, er macht sich keine Illusionen, dass die suspendierten Verhandlungen zum EU-Beitritt bald wieder aufgenommen würden. Dazu hat sich die Türkei zu weit von den Rechtsstaatsprinzipien der EU entfernt.

Aber da Schweden versprochen hat, die Türkei-Verhandlungen im Rat der EU wenigstens zu thematisieren, kann Erdogan jetzt zu Hause behaupten, er habe neue Zugeständnisse erreicht. Außerdem bekommt er von den USA neue Waffensysteme. Und Schweden hat sich deutlich von der PKK distanziert. In Migrationsfragen werden Ankara und Brüssel weiter mehr oder weniger kooperieren.

Und die Türkei wird weiter versuchen, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln. Am Stillstand im Beitrittsprozess ändert sich aber nichts, solange Erdogan keinen Schwenk Richtung Demokratie vollzieht. Danach sieht es nicht aus. Bei der nächsten Präsidentenwahl 2028 sieht man weiter.


Der Beitrittsprozess ist auch im Interesse der EU

Möchte Präsident Erdogan wirklich, dass die Türkei der EU beitritt? Er lässt keine Gelegenheit aus, die EU zu kritisieren und zu düpieren. Wenn er den Beitritt anstrebt, wäre das eine gute Nachricht. Denn auch wenn die Türkei wohl nicht der EU beitreten wird: Der Beitrittsprozess ist das einzige Rahmenabkommen zwischen der EU und der Türkei, das Rechtsstaat und Demokratie in den Mittelpunkt stellt.

Wollte die Türkei sich dem Beitritt tatsächlich annähern, müsste sie genau in diesen Punkten umsteuern. Und: Als Beitrittskandidatin bleibt die Türkei Regeln unterworfen. Die ermöglichen es zum Beispiel Organisationen der Zivilgesellschaft, einigermaßen frei Gelder aus EU-Projekten zu erhalten.

Wäre die Türkei nicht mehr Kandidatin, könnte – und würde – ihre Regierung hier behindern und beschneiden. Denn Menschenrechts- oder LGBTIQ-Organisationen passen nicht in ihre Staats- und Gesellschaftsauffassung. Es ist also auch im Interesse der EU, den Beitrittsprozess nicht zu beenden.

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