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Unsichere Zukunft: Überlebender in Kalamata. Griechenlands Regierung hat eine dreitägige Staatstrauer angeordnet, Hunderte Geflüchtete werden noch vermisst.

© AFP/Angelos Tzortzinis

Tote bei Bootsunglück vor Griechenland: „Die Katastrophen werden billigend in Kauf genommen“

Es ist wohl eines der schwersten Unglücke vor Europas Küste: Hunderte Migranten ertrinken im Mittelmeer. Das hätte verhindert werden können, sagt der Asylrechtsexperte Robert Nestler.

Herr Nestler, am Mittwoch ist vor der griechischen Küste ein Boot mit Geflüchteten gekentert. Knapp 80 Tote wurden bisher geborgen, nach Hunderten wird noch gesucht. Ein erneuter Massentod im Mittelmeer. Hätte er verhindert werden können?
Die europäische Migrationspolitik ist sicherlich mitverantwortlich für die gefährlichen Routen, auf die sich die Menschen begeben. Im konkreten Fall sieht es so aus, als hätten die europäische Grenzschutzagentur Frontex und die griechische Küstenwache frühzeitig von der sich anbahnenden Notlage gewusst. Deshalb hätte dieser Einzelfall, so wie er sich bisher darstellt, auch verhindert werden können.

Es gibt Berichte, dass die Küstenwache und Frontex Hilfe angeboten haben sollen, die Bootsinsassen diese aber abgelehnt hätten.
Möglicherweise wollten die Menschen keine Hilfe. Auch weil sie auf jeden Fall vermeiden wollten, in Griechenland zu landen, offensichtlich unter Inkaufnahme des eigenen Todes. Wenn es diese klaren Ansagen gibt, keine Hilfe zu wollen, dann ist es auch für die griechischen Behörden schwierig, wirklich zu helfen. Sie waren aber die ganze Zeit vor Ort und hätten sofort reagieren können, als das Boot zu sinken drohte.

Hat die Küstenwache zu lange gezögert?
Davon gehe ich aus. Wenn es so war, wie sie schildert, warum hat sie dann nicht sofort eingegriffen?

Die konservative Regierung in Athen verfolgt eine restriktive Migrationspolitik, die Seegrenze zur Türkei wird praktisch dichtgemacht, Geflüchtete nehmen immer häufiger die gefährlichere zentrale Mittelmeerroute. Trägt Griechenland eine Mitschuld an derartigen Unglücken?
Das würde ich so sagen. Das ist jetzt keine absolute Kausalität, aber ganz klar eine indirekte. Die Menschen werden immer fliehen, nach Griechenland geht es am schnellsten.

Doch dort droht die Unterbringung und Inhaftierung in Lagern und die Verelendung. Deshalb meiden sie Griechenland.

Also eine Katastrophe mit Ansage?
Ganz klar. Und nicht nur auf dieser Route, sondern auf allen Mittelmeerrouten. Die Zahl der Toten ist sehr hoch, jeder weiß das, und trotzdem wird die europäische Migrationspolitik weiter verschärft. Die Katastrophen werden billigend in Kauf genommen.

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Etwa 100 Menschen haben überlebt. Was passiert jetzt mit ihnen?
Sie werden sicherlich Asylverfahren in Griechenland bekommen. Was dann wirklich passiert, ist schwer vorherzusagen. Aber das Verfahren selbst wird mit Sicherheit nicht den Mindestanforderungen der Europäischen Union entsprechen.

Bei einem früheren Schiffsunglück wurden besonders schutzbedürftige Personen in Lagern untergebracht und eine Gruppe von knapp zwei Dutzend Afghanen in Abschiebehaft genommen. Wenn nichts Überraschendes geschieht, werden die Asylverfahren der Überlebenden in Lagern stattfinden.

„Haft und Lager“: Ein Vorgeschmack auf die kommende europäische Migrationspolitik?
Genau. Diese haftähnlichen Lager gibt es vor allem auf den Ägäis-Inseln: Kos, Lesbos, Chios, Leros und Samos, zwei auf dem Festland. Auf den Inseln werden nur diejenigen untergebracht, die dort ankommen.

Überlebende werden demnach aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Festland untergebracht. Eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen ist nicht mehr möglich.

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