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„Schweden, wach auf“, rief der 36 Jahre alte Veranstalter Salwan M. am Mittwoch

© Imago/TT

„Vergießt Blut, tötet ihre Soldaten“: Schweden wird durch Koranverbrennungen zur Zielscheibe von Al Qaida

In einem Video hat die islamistische Terrorgruppe Al Qaida zu Anschlägen in Schweden aufgerufen. Die Regierung warnt, das Land befinde sich in der schwierigsten Sicherheitslage seit dem Zweiten Weltkrieg.

Schwedens Ministerpräsident steht wohl vor der größten Herausforderung seiner bisherigen Amtszeit. Der 59 Jahre alte Ulf Kristersson warnte am Montagabend bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz, das Land befinde sich in der schwierigsten Sicherheitslage seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Erst vor knapp zwei Wochen hatte die nationale Sicherheitspolizei Säpo die Terrorwarnstufe auf das zweithöchste Niveau erhöht. Nicht einmal nach dem Attentat 2017 in Stockholm sah sich die Polizei dazu gezwungen. Damals wurden fünf Menschen bei einem LKW-Anschalg getötet.

Kurz vor Kristersson Pressekonferenz war ein Video einer offenbar Al Qaida nahestehenden Terrorgruppe veröffentlicht worden. Darin wird zu konkreten Anschlägen im größten Land Nordeuropas aufgerufen. Die Islamisten fordern Rache und eine „Lektion“ für die Koranschändungen, die es in mehreren schwedischen Städten gab.

Sechs Minuten langes Drohvideo von Al Qaida

Das Video „bestätigt im Großen und Ganzen das Bild, das wir bereits kennen“, sagte Schwedens konservativer Premierminister am Montagabend. „Es gibt sehr viele Bedrohungen und die Sicherheitspolizei prüft sehr sorgfältig, wer die Fähigkeiten, aber auch den Ehrgeiz hat, so etwas zu tun.“ Schuld dafür seien ausländische Desinformationskampagnen, aber auch „einzelne Akteure“.

Das sechs Minuten lange Drohvideo war offenbar erstmals Mitte August im Kurznachrichtendienst Telegram veröffentlicht worden, wurde aber jetzt erst publik, wie schwedische Medien übereinstimmend schreiben. Der Inhalt konzentriert sich insbesondere auf Salwan Momika: Ein 37 Jahre alter Iraker, der seit Juni mehrfach in Stockholm Korane verbrannt hat – am vergangenen Freitag erst im mehrheitlich muslimisch geprägten Vorort Rinkeby.

Experte: Die Drohungen sind beispiellos

Möglich macht das die weitgehende Meinungsfreiheit im Land. Nachdem die Polizei die umstrittenen Aktionen mehrfach untersagt hatte, erklärten Gerichte die Verbote immer wieder als unvereinbar mit der Versammlungsfreiheit.

Dafür soll Momika nun bestraft werden. Im Video werden „muslimische Brüder“, die in Schweden leben, aufgefordert, die Koranverbrennungen des Irakers zu sühnen.

„Salwans Tat war nicht die erste und wird nicht die letzte sein, es sei denn, du machst ihr ein Ende, indem du ihn tötest.“ Auch Polizisten und Polizeistationen seien legitime Angriffsziele. „Vergießt ihr Blut, tötet ihre Soldaten und greift ihre Wirtschaft an“, heißt es weiter.

Salwan Momika, Demonstrant, hält eine Kopie des Korans, die er gemeinsam mit der irakischen Fahne verbrennen will.

© dpa/OSCAR OLSSON

Magnus Ranstorp gilt als renommiertester schwedischer Terrorexperte. Ihm zufolge sind die Aussagen im Video beispiellos.

Die Gruppe, die hinter dem Video steckt, scheint sich neu gegründet zu haben“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Insbesondere der Fokus auf nur eine Person, Salwan Momika, und konkret auch die schwedische Polizei, ist ungewöhnlich.“

Bereits Mitte August hatte die Terrororganisation Al Qaida ein dreiseitiges Drohschreiben verschickt. Auch darin wollten sie Schweden eine Lektion erteilen, da das Land aus dem Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ nichts gelernt habe.

2015 starben bei dem dschihadistischen Anschlag in Paris zwölf Menschen. Die damaligen Täter, Saïd und Chérif Kouach, werden in dem nun veröffentlichten Video als Helden glorifiziert. Auch das, so Ranstorp, sei eine Neuheit.

Regierung versucht Koranverbrennungen zu verbieten

Die Koranverbrennungen treiben Schwedens rechtskonservative Regierung in die Enge – und möglicherweise in eine innenpolitische Krise.

Anders als Dänemark kann Schweden sie kaum verbieten. Die Meinungsfreiheit ist im Land in drei von vier Grundgesetzen festgeschrieben. Für eine Verfassungsänderung sind aber zwei Abstimmungen im Parlament nötig, zwischen denen eine Wahl stattfinden muss. Dafür fehlen aber ohnehin die Mehrheiten.

Insbesondere der Fokus auf nur eine Person, Salwan Momika, und konkret auch die schwedische Polizei, ist ungewöhnlich.

Magnus Ranstorp, schwedischer Terrorexperte

Deshalb versucht Regierungschef Kristersson nun stattdessen, das Versammlungsrecht einzuschränken. Aber auch dafür fehlen ihm die Stimmen. Seine Mehrheitsbeschaffer im Parlament, die rechten Schwedendemokraten (SD), verweigern ihm dafür die Gefolgschaft. Sie haben ihren politischen Erfolg auf antimuslimischer Rhetorik aufgebaut.

Seit Monaten provoziert der Generalsekretär der Partei, Richard Jomshof, mit seinen Aussagen. In einem Interview mit der Zeitung „Dagens Industri“ sagte er über die Unruhen in der islamischen Welt: „Wenn sie sich aufregen, dann fackelt noch hundert weitere [Korane] ab.“

Am Wochenende kritisierte deren langjähriger Parteichef Jimmie Åkesson „intolerante Islamisten auf der ganzen Welt“, die versuchen würden, „durch Drohungen auf verschiedene Weise Einfluss auf unsere Gesetzgebung zu nehmen“.

Auch Salwan Momika gilt als Sympathisant der Partei.

Terrorgruppen konzentrieren sich auf Schweden

Die Drohungen von Al Quaida sollte Stockholm trotz innenpolitischem Zank ernst nehmen, sagt Terrorforscher Peter Neumann vom Londoner King’s College.

„Solche Videos haben vor allem den Zweck, Panik auszulösen und bestehende Empörungswellen zu nutzen“, sagt Peter Neumann über die Drohungen von Al Qaida. Das sei durchaus effektiv, da es so Anhängern zeige, worauf sie sich konzentrieren sollten.

Die aktuelle Bedrohungslage ist sehr ernst. Viele verschiedene Terrorgruppen konzentrieren sich gleichzeitig auf Schweden.

Magnus Ranstorp, schwedischer Terrorexperte

Die aktuelle Bedrohungslage ist sehr ernst. Viele verschiedene Terrorgruppen konzentrieren sich auf Schweden und fordern ihre Gefolgschaft auf, das Land anzugreifen“, sagt Magnus Ranstorp von der Schwedischen Verteidigungsakademie.

Auch für Peter Neumann ist das Land aktuell für einen möglichen Angriff „das Topziel“. Konkrete Pläne gebe es aber nicht. Stattdessen gehe es bei solchen „Propagandavideos darum, Täter zu inspirieren und nicht darum, Taten anzukündigen“.

Die Regierung um Ulf Kristersson will es so weit nicht kommen lassen. Am Montag forderte der Ministerpräsident auch seine Landsleute auf, „den Ernst der Lage zu erkennen“.

Das dürfte als ein dringender Appell an seinen rechten Bündnispartner gedacht gewesen sein.

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