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Eine Szene aus „Die Synagoge“ von Joann Sfar.

© Avant-Verlag

„Die Synagoge“ von Joann Sfar: Mit Witz und Wut gegen den alltäglichen Hass

Mit „Die Katze des Rabbiners“ wurde er international berühmt. Jetzt zieht Joann Sfar in „Die Synagoge“ eine selbstkritische Lebensbilanz und erzählt vom omnipräsenten Antisemitismus.

Synagogen, die wegen der wachsenden Terrorgefahr von zusätzlichen Wachleuten geschützt werden müssen. Europäische Juden, die zur Abwehr antisemitischer Attacken die israelische Selbstverteidigungstechnik Krav Maga lernen. Gut besuchte Bürgerversammlungen und Kundgebungen, bei denen von Rechtsextremisten oder Islamisten gegen Israel und „die Juden“ gehetzt wird.

Viele Szenen in Joann Sfars neuer Comicerzählung „Die Synagoge“ klingen wie aus den aktuellen Nachrichten. Dabei spielt das autobiografische Album des französischen Zeichners im Nizza der späten 1980er Jahre.

Skizzenhafter Federstrich

In dem für ihn typischen unruhigen, spontan wirkenden Federstrich erzählt der 1971 geborene Sfar vom Aufwachsen in Südfrankreich und vom Umgang mit dem nicht nur dort omnipräsenten Antisemitismus. Der Zeichner ist mit seiner auch als Verfilmung erfolgreichen Comicreihe „Die Katze des Rabbiners“ international bekannt geworden, in deren Zentrum die scharfsinnigen Dialoge eines Rabbis mit seiner schelmischen sprechenden Katze stehen.

„Die Synagoge“ hat Joann Sfar 2021 während der Genesung von einer schweren Corona-Erkrankung begonnen, hier eine Seite daraus.
„Die Synagoge“ hat Joann Sfar 2021 während der Genesung von einer schweren Corona-Erkrankung begonnen, hier eine Seite daraus.

© Avant-Verlag

In vielen seiner mehr als 160 Bücher, von denen bislang nur ein Teil ins Deutsche übersetzt wurde, hat Sfar sich mit seinem kulturellen Erbe auseinandergesetzt und dabei immer wieder seine Familiengeschichte verarbeitet: Seine Mutter, eine Musikerin, war eine aschkenasische Jüdin aus der Ukraine, sein Vater ein sephardischer Jude, der in Algerien aufwuchs und später in Frankreich als Rechtsanwalt Karriere machte.

Diesmal ist Sfar seine eigene Hauptfigur. In leichtem, gelegentlich sarkastischem Plauderton und eleganten, in warmen Tönen kolorierten Bildfolgen erzählt er in „Die Synagoge“ von ernsten, teilweise schockierenden Erfahrungen, die er vor allem als Jugendlicher und junger Mann gesammelt hat.

Künstlerisch ist das ein weiteres Mal meisterhaft umgesetzt. Seine Bilder wirken so lebendig wie schnell hingeworfenen Skizzen mit fließenden Linien, manches ist krakelig geraten, anderes nur angedeutet. Aber die wichtigen Details, vor allem die Gesichter seiner Figuren, sind zeichnerisch so akkurat ausgeführt, dass sie die Akteure lebendig vor Augen führen.

Auf der Corona-Station

Die Erzählperspektive ist die des gereiften 50-Jährigen, der nach einer schweren Corona-Infektion im Krankenhaus liegt und eine selbstkritische Lebensbilanz zieht.

In dem Buch befindet sich der Autor im Dialog mit seinem jüngeren Ich, hier eine Straßenszene in Nizza.
In dem Buch befindet sich der Autor im Dialog mit seinem jüngeren Ich, hier eine Straßenszene in Nizza.

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Als verbindendes Element der zwischen verschiedenen Zeitebenen hin- und herspringenden Episoden, die er mäandernd aneinanderreiht, kristallisiert sich die Frage heraus: Was hilft gegen Gewalt, gegen Ressentiments, gegen die alltägliche Bedrohung jüdischer Menschen und die „Verstockung des Herzens“ ihrer Feinde, wie es an einer Stelle heißt?

Antworten oder zumindest Annäherungen an Antworten entwickelt Sfar in Dialogen: Mit verschiedenen Versionen seines jüngeren Ichs, mit seinem strengen, aber geliebten Vater, der ihn nach dem frühen Tod der Mutter allein aufgezogen hat, oder mit dem vom Krieg gezeichneten Großvater, dessen Schwester und Mutter von den Nationalsozialisten getötet wurden.

Eine wichtige Rolle im Leben des Autors und auch im Buch spielt sein Vater, hier eine Szene zu dessen Jugend in Algerien.
Eine wichtige Rolle im Leben des Autors und auch im Buch spielt sein Vater, hier eine Szene zu dessen Jugend in Algerien.

© Avant-Verlag

Dazu kommen imaginäre Begegnungen mit einigen Idolen des Autors, zum Beispiel dem Abenteurer, Journalisten und Romanautor Joseph Kessel, der Antisemiten auf der Straße schonmal mit einem Kopfstoß außer Gefecht setzt und es bereut, dass er als junger Mann einen Brandredner namens Adolf Hitler bei dessen Auftritt in einem Bierkeller in den 1920er Jahren ungeschoren davonkommen ließ.

Rechter Besuch aus Deutschland

Das ist wie immer bei Sfar trotz des ernsten Themas mit viel Humor und Ironie erzählt. Denn auch wenn er gerne ein Held wäre, enden viele seiner Begegnungen mit Antisemiten eher absurd als heroisch: Von einem Nazi-Skinhead, mit dem er sich wider Willen fast anfreundet, über den Vertreter einer palästinensischen Splittergruppe, der an französischen Hochschulen zu Massakern an Juden aufruft und von den Studentinnen angehimmelt wird, bis hin zu Besuchen bei linksextremen Gruppen, die den Rechtsextremisten in Sachen Israelfeindlichkeit und Antisemitismus kaum nachstehen.

Der junge Joann Sfar beim Wachdienst vor der Synagoge.
Der junge Joann Sfar beim Wachdienst vor der Synagoge.

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Auch ein deutscher Rechtsextremist hat hier einen denkwürdigen Auftritt in einer Szene, die an den aktuellen Höhenflug der AfD denken lässt: Sfar ist als Zaungast dabei, als der damalige Chef der Partei „Die Republikaner“, der ehemalige SS-Mann Franz Schönhuber, bei seinen französischen Gesinnungsfreunden der damaligen Front National einen Auftritt hat und von dem augenscheinlich eher bürgerlichen Publikum frenetisch bejubelt wird

Joann Sfar: „Die Synagoge“, aus dem Französischen von Annika Wisniewski, Lettering: Tinet Elmgren, Kolorierung: Brigitte Findakly, avant.Verlag, 208 Seiten, 30 Euro
Joann Sfar: „Die Synagoge“, aus dem Französischen von Annika Wisniewski, Lettering: Tinet Elmgren, Kolorierung: Brigitte Findakly, avant.Verlag, 208 Seiten, 30 Euro

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Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse in Israel und den antiisraelischen Kundgebungen in vielen europäischen Städten, die Sfar auf Instagram kommentierend verfolgt, sind jene Kapitel seines Buches besonders bewegend, in denen er von zunehmenden palästinensischen Gewalttaten ab den frühen 1980er Jahre in Frankreich erzählt.

Ein Attentat auf eine Pariser Synagoge mit vier Toten und 46 Verletzten führt für Sfars Vater, der bis dahin ein Unterstützer der Idee eines eigenen Palästinenserstaates war, zum Bruch. Ein Schlüsselsatz des Buches, den Sfars Vater seinem Sohn auf dem Heimweg von der Synagoge sagt, ist heute so aktuell wie vor 40 Jahren: „Seit alle Juden der Welt zu potenziellen Zielscheiben geworden sind, ist das kein Kampf um Emanzipation mehr, das ist Terrorismus.“

Kampfsport statt Gesänge

Die Erzählung beginnt damit, dass der junge Sfar als Kind und Jugendlicher eigentlich mit der Religion und ihren Institutionen hadert. Durch seinen prinzipienfesten Vater wird die Synagoge dennoch zu einem wichtigen Ort für den zu der Zeit sehr schüchternen, introvertierten Jungen.

Joann Sfar 2019 bei einer Ausstellung seiner Werke im Cartonmusem Basel.
Joann Sfar 2019 bei einer Ausstellung seiner Werke im Cartonmusem Basel.

© Lars von Törne

Allerdings findet Sfar Junior seinen eigenen Zugang zur Gemeinschaft, in dem er sich dem Synagogen-Wachdienst anschließt, bei dem das Erlernen von Kampfsport wichtiger ist als Gesänge und religiöse Rituale. Eine Zeitlang wird für ihn die Verteidigung der Synagoge und die Beschäftigung mit Antisemiten unterschiedlichster Couleur fast zur Manie.

Mit zunehmendem Alter hadert Sfar allerdings sowohl mit der organisierten Religion als auch mit der Überzeugung, dass man für seine Ideale im Zweifel auch mit körperlicher Gewalt kämpfen muss. Er studiert Philosophie und entdeckt die Kunst und das Künstlerleben für sich. Eine Zeitlang verschreibt er sich ganz den Freundschaften, dem Schaffen eigener Bilder – um dann zum Schluss des Buches doch wieder um Fragen wie die zu kreisen, ob er als Künstler nicht doch mehr tun könne, um von Auschwitz zu erzählen oder wenigstens gegen die anhaltende „Lust am Völkermord“ anzukämpfen, die den Juden allerorten begegne.

Seine Quintessenz: Man könne nicht die ganze Welt schlagen, aber nichts verbietet einem, mit ihr zu sprechen. Angesichts der aktuellen Eskalation im Nahen Osten und ihren Auswirkungen für das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden weltweit kann man sich nur wünschen, dass möglichst viele Menschen dieses Angebot zum Dialog wahrnehmen.

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