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Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, nimmt am Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen teil.

© dpa/Kay Nietfeld

Grünen-Parteitag in Karlsruhe: Ein Erfolg, der Habecks Schwäche zeigt

In der Migrationspolitik muss der Vizekanzler bis zum Äußersten gehen, um die Partei hinter sich zu bringen. Die Kluft zwischen Führung und Mitgliedern wird größer.

Ein Kommentar von Felix Hackenbruch

43 Jahre nach ihrer Gründung in Karlsruhe leisten sich die Grünen ebendort einen Augenblick des Aufstands. In der Debatte um den Kurs zur Migrationspolitik wird die Kritik an der Grünen-Spitze von Rede zu Rede schärfer.

Eine handvoll Parteimitglieder läuft stumm mit Protestschildern durch die Halle, nach der Rede von Vizekanzler Robert Habeck gibt es vereinzelt Pfiffe, die Stimmung droht zu kippen. Die Grünen und ihr Star liegen über Kreuz. Die Werte der Partei prallen auf Regierungskompromisse.

Dabei wollten die Grünen auf ihrem Parteitag in Karlsruhe genau das zusammenbringen. Rückgrat und Regierungsverantwortung. „Wir haben Deutschland verändert und Verantwortung übernommen. Die Verantwortung hat aber auch uns verändert“, hatte Habeck gleich am ersten Tag in seiner Grundsatzrede betont.

Tatsächlich hat sich seit 1980 viel verändert. Statt in der kleinen Karlsruher Stadthalle treffen sich die Grünen 2023 in der nach einer Drogerie benannten Messehalle. Strickpulloverträger sind Sponsoren wie Bayer oder Amazon gewichen. Und auch die Streitlustigkeit hat sich die Partei zum Großteil abgewöhnt. Bis auf vereinzelte Ausnahmen folgt die Basis dem Willen der Parteispitze ohne großes Murren über vier Tage.

Ein Parteitag wie eine Art Gruppentherapie

Dabei war die Ausgangslage für die Grünen alles andere als bequem. Vier verlorene Landtagswahlen, schlechte Umfragen, Dauerstreit in der Ampel-Koalition, verlorenes Vertrauen, ein drohender Haushalts-Kollaps. So manchem Grünen stellte sich zuletzt die Sinnfrage in Bezug auf die Ampel.

Doch dazu hörte man in Karlsruhe überraschend wenig. Stattdessen wirkte der Parteitag wie eine Art Gruppentherapie. Mit Attacken auf CDU-Chef Friedrich Merz gegen die eigene Verunsicherung. Zusammenzustehen und die Reihen zu schließen, lautete der Wunsch der Parteiführung – vor allem beim Thema mit der größten Sprengkraft: der Migration.

Annalena Baerbock und Robert Habeck brachten die Grünen auf Kurs, der Preis war aber hoch.

© dpa/Kay Nietfeld

Wochenlang hatte es in der Partei angesichts von verschärften Abschieberegeln, der Absenkung von Sozialleistungen für Geflüchtete oder der Prüfung von Asylverfahren in Drittstaaten rumort. Doch in der Parteispitze hält man die Migrationspolitik für den Scheideweg der Grünen. Weiter in die Mitte mit restriktiveren Maßnahmen und mehr Ordnung oder zurück in die Nische.

Lieber mit Abstrichen gestalten, als vom Spielfeldrand zuschauen, lautet die Devise von Habeck, Außenministerin Annalena Baerbock und den Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour. In Karlsruhe fordern sie Rückendeckung für die Verhandlungen in Berlin und Brüssel ein. Die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz sollen umgesetzt, das Rückführungsgesetz beschlossen und die finalen Verhandlungen für eine gemeinsame europäische Asylpolitik (GEAS) zu Ende gebracht werden.

Fluchtursachenbekämpfung statt Begrenzung

Doch so einfach macht es ihnen die Partei nicht. Die Grüne Jugend will der Spitze Fesseln anlegen. Keine weiteren Asylrechtsverschärfungen. Bis kurz vor der Debatte war im Hintergrund telefoniert, verhandelt und gestritten worden. Am Ende überzeugen nicht die Inhalte, sondern eine Erpressung.

Auf offener Bühne verknüpft Habeck die Zustimmung über den Migrationskurs der Parteiführung mit dem Fortbestand der Regierungskoalition. „Das ist kein Spiel“, droht der Vizekanzler seiner Partei. Die Vertrauensfrage. Ein Joker, der zieht, den Habeck aber nur einmal spielen dürfte.

Ein starkes Mandat für die Verhandlungen mit SPD, FDP und dem Rest Europas ist dieser Beschluss nicht. Zugeständnisse an die Basis kündigt Habeck vage an. Wie er die rausverhandeln will, ist völlig offen. Dass er sich nur knapp gegen die eigene Parteijugend durchsetzen kann, zeigt die Schwäche des Vizekanzlers. Zumal der Leitantrag der Grünen-Spitze inhaltlich stark verändert wurde. Kein Wort mehr von Begrenzung, stattdessen die nie näher definierte Formel der Fluchtursachenbekämpfung.  

„Unsere Ideologie heißt Wirklichkeit“, hatte Habeck zu Beginn des Parteitags noch stolz verkündet. Nach vier Tagen an historischer Stätte lässt sich festhalten: Die Grünen wagen sich nur in Trippelschritten in die Realität.

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