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Boris Rhein (r.) wirft die hessischen Grünen um Tarek Al-Wazir aus der Regierung.

© dpa/Arne Dedert

Neue Koalition in Hessen: Boris Rhein stürzt die Grünen tiefer in die Krise

Zehn Jahre regierte in Hessen ein schwarz-grünes Bündnis, nun entscheidet sich CDU-Ministerpräsident Rhein für die SPD. Eine weitere bittere Niederlage für die Grünen.

Mit einem leichten Lächeln stürzt Boris Rhein die Grünen in die Krise: „Zum ersten Mal seit 70 Jahren gibt es in Hessen eine christlich-soziale Koalition“, sagte der CDU-Ministerpräsident von Hessen und verabschiedete damit in einem Satz seinen grünen Koalitionspartner und ersetzte ihn durch die SPD. Man wolle Vernunft und Fortschritt miteinander verbinden, so Rhein.

33 Tage nach dem Wahltag in Hessen – die CDU hat die Wahlen mit 34,6 Prozent der Stimmen klar gewonnen – haben sich die Konservativen entschieden. „Es war eine Entscheidung für die SPD und nicht gegen die Grünen“, sagte Rhein am Mittag in Wiesbaden und betonte mehrfach, wie schwer ihm dies nach zehn Jahren Schwarz-Grün gefallen sei.

Doch zwischen den Zeilen teilte der 51-Jährige gegen die Grünen um den langjährigen hessischen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir aus. „Die Menschen wollen nicht bevormundet werden, sie sind aber bereit für Veränderung“, sagte Rhein. Er wolle zudem eine Wirtschaftspolitik, die auf „Anreize statt Verbote“ setze. Daneben nannte er die innere Sicherheit und das Thema Migration als entscheidende Politikfelder für die kommenden fünf Jahre.

Es sind die Punkte, bei denen Grüne und CDU am weitesten voneinander entfernt sind und die offenbar auch in den Verhandlungen nicht einfach waren. „Bis an die Schmerzgrenzen“ seien die Grünen gegangen, berichtet die hessische CDU-Fraktionsvorsitzende Ines Claus. Wie Rhein sprach auch sie über Schwarz-Grün von „zehn guten Jahren für das Land“ – um die Grünen dann vor die Tür zu setzen.

Entsprechend groß ist der Frust bei den Grünen, die im Wahlkampf noch für Al-Wazir als Ministerpräsidenten geworben hatten. Zwei Stunden nach Boris Rhein trat dann aber nicht Al-Wazir, sondern der hessische Fraktionsvorsitzende der Grünen, Mathias Wagner, vor die Mikrofone. Einsilbig beantwortete er die Pressefragen: „Es ist offenkundig, dass diese Entscheidung nicht in den letzten zwei Tagen gefallen ist“, sagte er. Die fünfwöchigen Beratungen seien ein Signal gewesen, dass man die Grünen habe auswechseln wollen.

Nach Berlin die zweite Niederlage für die Grünen

Dass seine Fraktion vor eineinhalb Jahren Boris Rhein zum Nachfolger von Ministerpräsidenten Volker Bouffier gewählt hat, bedauere er trotzdem nicht. „Wir stehen für Anstand und Fairness in der Politik“, sagte Wagner. Hinter vorgehaltener Hand ärgern sich jedoch andere Grüne, dass der bis dahin unbekannte Rhein sich erst durch die Unterstützung der Grünen vor der Landtagswahl profilieren konnte.

Für die Grünen ist nach Jahren der Wahlerfolge und Regierungsbeteiligungen die nächste bittere Niederlage in diesem Jahr. Schon in Berlin waren sie angetreten, um das Rote Rathaus zu erobern und hatten sich in der Opposition wiedergefunden. Im Bund befindet sich die Partei seit Monaten im Umfragetief und zieht damit auch die Werte in den Ländern nach unten. In Thüringen, wo 2024 die nächste Landtagswahl stattfindet, sehen die Demoskopen die Grünen inzwischen sogar bei unter fünf Prozent.

Warum das Vertrauen in die Grünen eingebrochen ist, beschäftigt in der Partei viele. Doch in der Parteizentrale teilt man an diesem Tag lieber aus: „Die Entscheidung der hessischen CDU, die erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Grünen aufzugeben, ist für mich nicht nachvollziehbar“, sagte Grünen-Chef Omid Nouripour, der seinen Direktwahlkreis in Frankfurt bei der Bundestagswahl 2021 noch gewinnen konnte. Bei den Landtagswahlen verloren die Grünen dagegen fünf Prozent - so viel wie keine andere Partei: „Es gab auch keine Wechselstimmung in Hessen“, sagte Nouripour dennoch. „Offensichtlich regiert Boris Rhein lieber mit einer geschwächten SPD.“ 

Grünen-Chef Omid Nouripour ist sauer auf die CDU.
Grünen-Chef Omid Nouripour ist sauer auf die CDU.

© dpa/Kay Nietfeld

Genau dieser Argumentation folgen jedoch nicht alle Grünen. „Wir Grüne müssen uns schon auch selbstkritisch fragen, warum uns einstige Koaltionspartner nicht mehr als moderne Kraft der Veränderung, sondern offenbar mehr als eine Art Belastung in schwierigen Zeiten wahrnehmen“, schreibt Baden-Württembergs grüner Finanzminister Danyal Bayaz bei X. Wer nur sage, die SPD habe sich billiger verkauft, mache es sich zu einfach, so Bayaz.

Im Südwesten, wo die Grünen mit Winfried Kretschmann seit 2011 regieren, ist die Partei besonders nervös, seit die CDU auch dort in Umfragen enteilt ist. Kretschmanns möglicher Nachfolger, Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, äußerte sich ebenfalls am Freitag: „Dass die CDU sich gegen eine gut funktionierende Koalition entschieden hat, ist bedauerlich“, sagte er dem Tagesspiegel. Schwarz-Grün habe sehr gut zusammengearbeitet.

Doch damit ist es zumindest in Hessen jetzt wohl vorbei. „Sie sollen uns nicht schonen“, meinte Boris Rhein in Wiesbaden über die Grünen. „Sie werden eine muntere und auch sehr kraftvolle Opposition sein“, sagte er und lächelte wieder.

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