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Ein Mann kehrt am Morgen beim G20-Gipfel einen roten Teppich am Strand.

© Foto: dpa/Christoph Soeder

Ringen um eine neue Weltordnung: Der Westen muss seine Ansprüche reduzieren

Die G20 zeigten auf Bali den Willen zur Kooperation. Damit das nicht nur ein kurzes Aufflackern bleibt, dürfen wir die Welt nicht mehr allein mit deutschen Augen betrachten. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Sigmar Gabriel

Wollen wir das vor uns liegende Jahrzehnt der Instabilität und Unsicherheit einigermaßen unbeschadet überstehen, brauchen wir mehr statt weniger internationale Zusammenarbeit. Und so sehr wir auch wünschen, dass sich unsere Vorstellung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten überall auf der Welt durchsetzt – das wird in kurzer Zeit nicht möglich sein.

Wir müssen zur Lösung globaler Herausforderungen auch mit Staaten und Regierungen zusammenarbeiten, deren politische und gesellschaftliche Ordnung wir ablehnen.

Trotz zunehmender globaler Bedrohungen scheint die Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit aber abzunehmen. Hatte es auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 noch einen Gipfel der größten Wirtschaftsnationen gegeben, der eine erfolgreiche Bekämpfung der Krise in Gang setzte, gab es ein solches Treffen bislang weder zur Bekämpfung der Corona-Pandemie noch zu den aktuellen Gefahren weltweiter Inflation und Rezession.

Vom jüngst beendeten Weltklima-Gipfel in Ägypten bleibt gerade einmal die vage Zusage, den von Armut und Klimawandel am meisten betroffenen Ländern zu helfen – allerdings ohne die dafür notwendigen Gelder endlich bereit zu stellen.

Die „Zeitenwende“ hat erst einmal eine Welt ohne Ordnung hervorgebracht. Es scheint so, als hätten die großen Akteure mehr damit zu tun, entweder – wie die USA – ihre eigene Stabilität zu sichern oder sich gegeneinander in Stellung zu bringen, um beim Ringen um eine neue globale Ordnung möglichst gute Ausgangspositionen zu besetzen.

Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine dürfte auch dieses Ziel verfolgt haben. Im Ergebnis, so viel steht schon fest, wird Russland am Ende dieses Krieges ein Schatten seiner selbst sein, abhängig vor allem von China.

Im Ergebnis [...] wird Russland am Ende dieses Krieges ein Schatten seiner selbst sein, abhängig vor allem von China.

Sigmar Gabriel

Oft hat es den Anschein, als bliebe uns nur noch die Wahl zwischen dem Weltuntergang infolge der Klimakrise und dem nächsten Weltkrieg angesichts wachsender Spannungen zwischen den USA und China.

Doch die Zukunft der Menschheit kann auch ganz anders aussehen, wie das Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Chinas Führer Xi Jinping sowie der anschließende G20-Gipfel auf Bali signalisiert haben.

Sicher, man sollte beide Ereignisse nicht überschätzen. Nach wie vor sind wir weit davon entfernt, die globalen Herausforderungen durch weltweites gemeinsames Handeln zu bewältigen. Aber ein Anfang wurde gemacht: Biden und Xi verurteilten Moskaus nukleare Drohgebärden und suchen darüber hinaus nach Wegen, eine Eskalation ihrer eigenen Konflikte zu vermeiden.

Denn beide wissen, dass angesichts der wechselseitigen Abhängigkeiten – China etwa ist nach Japan der größte ausländische Gläubiger der USA – eine Eskalation am Ende nur Verlierer kennt, wirtschaftlich wie politisch. Offenbar stellen sich beide Seiten darauf ein, die Balance zwischen Konfrontation, Wettbewerb und Kooperation zu halten. Europa und vor allem Deutschland wären gut beraten, ebenfalls eine solche Balance zu suchen.

Das Treffen der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen auf Bali hat gezeigt, dass Bundeskanzler Olaf Scholz gut daran tat, Länder wie Indonesien, Indien und Südafrika zum G7 Gipfel nach Deutschland einzuladen – trotz ihrer zunächst ambivalenten Haltung gegenüber dem Ukraine-Krieg. Auch die viel kritisierte Begegnung von Scholz und Xi in Peking war richtig, weil es auch in der internationalen Politik um gut gemacht geht und nicht nur um gut gemeint.

Kanzler Olaf Scholz und Gastgeber Xi Jinping in Peking
Kanzler Olaf Scholz und Gastgeber Xi Jinping in Peking

© AFP/Kay Nietfeld/Pool

Hoffnungen weckt nicht zuletzt die Abschlusserklärung des G20-Gipfels. Werden bei solchen Treffen unter dem Zwang zur Einstimmigkeit Dokumente meist bis zur Unkenntlichkeit verwässert, gelang Indonesiens Präsident Joko Widodo das Kunststück einer klaren Mehrheitsentscheidung: Die meisten Staaten verurteilten Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Putin wird diese Stimmung geahnt haben und reiste vorsichtshalber gar nicht an. Diese Blamage entgegenzunehmen, überließ er seinem Außenminister Sergej Lawrow.

Vor allem die dramatische weltweite Nahrungsmittelverknappung und die explodierenden Energiepreise als Folgen des Ukraine-Kriegs dürften die Länder des „globalen Südens“ motiviert haben, Putins Aggression zu verurteilen. Mit diesem Votum verbinden sie allerdings die Erwartung, dass der wohlhabende „globale Norden“ deutlich mehr als bislang tut, um den Schwellen- und Entwicklungsländern bei der Bewältigung der Krisen zu helfen.

So sehr wir die Ukraine unterstützen müssen – wir können den dramatischen Krisen in den ärmeren Teilen der Welt nicht den Rücken kehren. Für künftige Freihandelsabkommen wie dem nach fast 20-jährigen Verhandlungen 2019 besiegelten „Mercosur“-Vertrag darf die Europäische Union sich nicht mehr annähernd so viel Zeit lassen, selbst wenn die in Partnerländern erreichbaren Umwelt- und Sozialstandards nicht in kurzer Frist den europäischen gleichen werden.

Wenn Bali mehr als ein kurzes Aufflackern internationaler Kooperationsbereitschaft bleiben soll, dann dürfen wir die Welt nicht mehr nur mit deutschen oder europäischen Augen betrachten.

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