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In welche Richtung entwickelt sich die Wirtschaftspolitik bei den Sozialdemokraten? Mehr Nahles oder mehr Schröder?

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SPD: Mehr Schröder, weniger Nahles

Die SPD will wirtschaftspolitisch punkten. Doch mehr Kompetenz dort hieße auch mehr Schröder - und vor allem eine Agenda 2020. Unser Kolumnist Christoph Seils meint: So viel Mut haben die Genossen nicht.

Mindestlohn, Rente mit 63, Doppelpass – in den ersten acht Monaten hat die SPD die Schlagzeilen der Großen Koalition bestimmt. Als Reformmotor der Großen Koalition verstehen sich die Sozialdemokraten, nur die Wähler verstehen das bislang überhaupt nicht. In der Wählergunst kommt die SPD seit der Bundestagswahl nicht vom Fleck. In allen Umfragen klebt die Partei an der 25-Prozent-Marke und liegt damit weiterhin mehr als 10 Punkte hinter der Union. Auch der kleine Stimmenzugewinn bei der Europawahl im Mai war lediglich der niedrigen Wahlbeteiligung geschuldet. Mehrheitsfähig wird die SPD nicht, solange sie im 20-Prozent-Keller gefesselt ist.

Mitten im Sommer werden führende Sozialdemokraten deshalb nun nicht Müde, von ihrer Partei mehr Wirtschaftskompetenz zu fordern. Die SPD müsse sich auch um die wirtschaftliche Zukunft des Landes kümmert, sagt der Parteivorsitzende, Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Wachstumsfreundlicher müsse die sozialdemokratische Politik werden, sekundiert Fraktionschef Thomas Oppermann.

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil klagt in einem Gastbeitrag für die aktuelle Ausgabe des Magazins Cicero: „Viele Menschen halten die SPD für einen guten Betriebsrat der Gesellschaft, trauen ihr aber das Management nicht zu.“ Auch ein Thema haben die Sozialdemokraten schon entdeckt, um sich als Partei der Wirtschaft zu profilieren: den Abbau der kalten Progression. Nachdem die SPD im Bundestagswahlkampf noch Steuererhöhungen gefordert hatte, will sie nun den Mittelstand entlasten.

Die SPD hat keine Wirtschaftspolitiker

Mit derlei sommerlichen Kompetenzbeschwörungen allerdings ist es kaum getan. Zumal die theoretische Erkenntnis alles andere als neu ist. In kaum einer sozialdemokratischen Sonntagsrede fehlt seit den legendären Tagen des Wirtschafts- und Finanzministers Karl Schiller vor vier Jahrzehnten der Hinweis, eine erfolgreiche SPD brauche neben der sozialen Kompetenz auch einer starke Wirtschaftskompetenz. Die SPD sei immer dann stark, wenn sie nicht nur Sozialleistungen verteile, sondern auch Arbeitsplätze schaffe.

Doch in der Praxis hat sich die Profilierung der SPD in den letzten zehn Jahren massiv Richtung Gerechtigkeit und Umverteilung verschoben. Gleichzeitig fehlen in der SPD nicht nur gute Ideen, wie sich wirtschaftspolitische Kompetenz in praktisches politisches Handeln umsetzen ließe. Es fehlen den Sozialdemokraten vor allem auch die Köpfe, denen der Wähler wirtschaftspolitische Kompetenz zuschreibt. Es fehlen der SPD die Manager, die die Betriebsräte bremsen.

Einen wirtschaftspolitischen Flügel jedoch gibt es in der SPD faktisch nicht mehr und keinen einzigen profilierten Wirtschaftspolitiker. Die letzten drei Sozialdemokraten, die für sozialdemokratische Wirtschaftskompetenz standen und mit Wirtschaftskompetenz Wahlen gewonnen haben, sind in der Partei nicht mehr wohlgelitten. Wolfgang Clement, der ehemalige Superminister für Wirtschaft und Arbeit, wurde aus der Partei gejagt. Dem Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder nehmen seine Genossen bis heute die Agenda 2010 übel, der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück durfte als Kanzlerkandidat 2013 nicht die wirtschaftspolitische Karte spielen und hatte auch deshalb gegen Angela Merkel keine Chance.

Jeder in der SPD, der derzeit mehr Schröder fordern oder sich positiv auf dessen Reform-Agenda berufen würde, stünde sofort nicht nur unter Neoliberalismusverdacht. Er würde auch das neue Wir-Gefühl der Sozialdemokraten stören, mit der die faktische Spaltung der Partei in den Agenda-Jahren überwunden und das gestörte Verhältnis zu den Gewerkschaften gekittet wurde.

Eine Agenda 2020 muss her

Seit der Bundestagswahl präsentiert sich die SPD deshalb als wahre Kuscheltruppe. Endlich einmal setzen die Sozialdemokraten nach einer Wahl in der Regierung das um, was sie vor der Wahl versprochen hat. Endlich haben in der SPD nicht mehr abgehobene Spitzenfunktionäre das letzte Wort, sondern die Parteibasis. Das Wir entscheidet in der SPD und nicht länger der Genosse der Bosse. Das Problem ist nur, profilieren kann sich die SPD so nur bei jenem Viertel der Wähler in Deutschland, die sie eh wählen. Attraktiv für neue Wählergruppen wird sie so nicht.

Natürlich will sich in der Großen Koalition vor allem Sigmar Gabriel als sozialdemokratischer Mann der Wirtschaft profilieren und so die Basis für die Kanzlerkandidatur 2017 legen. Doch der Wirtschaftsminister ist auch zugleich SPD-Vorsitzender und als solcher der Anführer der neuen sozialdemokratischen Kuscheltruppe. Und Gabriel muss auch dem linken Parteiflügel, der seit der Bundestagswahl in der SPD unübersehbar Oberwasser hat, Futter geben. Dessen Sprecher Ralf Stegner warnt seine Partei bereits vor einer Strategiediskussion und vor einem Kurswechsel. Die Soziale Gerechtigkeit bleibe „der Markenkern“ der SPD, so Stegner, „wenn wir die Prioritäten unserer Politik zulasten der Gerechtigkeitsfragen verschieben, verlieren wir mehr als wir gewinnen.“

Ob sich darüber hinaus ausgerechnet das Thema Abbau der kalten Progression dazu eignet, den Kompetenzvorsprung der Union in Sachen Wirtschaft, Arbeit und Finanzen zu verkürzen, daran lässt sich zweifeln. Einerseits ist das ein klassisches CDU-Thema. In der letzten Legislaturperiode hat die SPD den Abbau der kalten Progression via Bundesrat noch verhindert. Anderseits müsste die SPD angesichts einer Steuersenkung in Milliardenhöhe zugleich erklären, warum der Bundesregierung zugleich das Geld für Investitionen fehlt, an denen sich die Wirtschaftskompetenz der Bundesregierung tatsächlich beweisen könnte, für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, in Bildung sowie in klassische Industrie- und Standortpolitik.

Mehr Schröder, weniger Nahles müsste das Motto der Sozialdemokraten also heißen, Agenda 2020 statt Rente mit 63, mehr Manager weniger Betriebsräte. Doch bis sich die SPD das traut, wird sie wohl noch ein paar Jahre im 25-Prozent-Keller verharren müssen.

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