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Polizisten stehen am Taksim-Platz.

© dpa / Foto: dpa/Xinhua

Was Erdogan passen könnte: Der Anschlag in Istanbul wird zum politischen Druckmittel

Die Beileidsbekundungen der USA abgelehnt, die EU als Terrorhelfer ausgemacht: Die Reaktionen des türkischen Präsidenten sind eine Anzahlung auf ein immer schlechteres Verhältnis zum Westen.

Ein Kommentar von Susanne Güsten

Die schweren Vorwürfe der Türkei an den Westen nach dem Bombenanschlag von Istanbul zeigen die Abgründe des Misstrauens der türkischen Regierung gegen ihre Nato-Partner. Indem sie Amerika und Europa als Terrorhelfer an den Pranger stellt, pflegt die Regierung von Präsident Erdogan vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr ihr Image als Verteidigerin der Türkei gegen übermächtige Kräfte im Ausland.

Innenpolitisch könnte sich das für Erdogan zwar tatsächlich auszahlen, doch außenpolitisch ist das Signal verheerend. Zumal die von der Türkei präsentierten Details den Eindruck vermitteln, hier werde sehr dick aufgetragen: von den Dollar-Banknoten in der Wohnung der mutmaßlichen Bombenlegerin bis zu ihrem „New York“-Pullover.

Ankara macht die syrische Kurdenmiliz YPG, eine Untergruppe der Terrororganisation PKK, für den Tod von sechs Menschen bei dem Anschlag verantwortlich. Innenminister Soylu wies öffentlich das Beileid der USA nach dem Anschlag zurück, weil Amerika mit der YPG in Syrien zusammenarbeitet: Es sei fraglich, ob Amerika noch ein Verbündeter sei, sagte Soylu.

Ob diese Linie mit Erdogan abgesprochen war, der beim G20-Gipfel in Indonesien ist, stand am Montag nicht fest. Auch war unklar, ob tatsächlich die YPG für den Tod von sechs Menschen in Istanbul verantwortlich ist, wie die Türkei sagt. Absehbar war dagegen bereits, dass die Schuldzuweisungen der türkischen Regierung die Beziehungen zu Amerika und Europa weiter belasten dürften.

Bei keiner der türkischen Forderungen an die USA geht es voran

Die Türkei fordert von den USA ein Ende der Kooperation mit der YPG, die Lieferung von Kampfflugzeugen und die Auslieferung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen, der in im US-Bundesstaat Pennsylvania lebt. Bei keiner dieser Forderungen geht es aus türkischer Sicht voran.

Gleichzeitig wirft die Türkei dem Nato-Kandidaten Schweden vor, die YPG mit Geld zu versorgen und Demonstrationen von PKK-Anhängern in der EU zu dulden, obwohl die dort als Terrororganisation verboten ist.

Immer wieder geht es auch um ihn: Fethullah Gülen, von Erdogan zum Staatsfeind erklärt.

© Matt Smith/dpa

Die Stellungnahmen türkischer Regierungspolitiker nach dem Anschlag legen nahe, dass Ankara die Gewalttat zum Anlass nehmen will, den Druck auf Washington und Stockholm zu erhöhen. Mit dieser Taktik dürfte die türkische Regierung kaum etwas erreichen.

Nachdem die US-Demokraten bei den Kongresswahlen ihre Mehrheit im Senat verteidigt haben, bleibt es für die Türkei schwer, in Washington politische Rückendeckung für eine Wende in der Syrien-Politik oder für Waffenlieferungen zu bekommen. Für Gülens Auslieferung wegen seiner angeblichen Beteiligung am Putschversuch in der Türkei von 2016 gibt es nach amerikanischen Angaben keine Beweise, die vor einem US-Gericht Bestand haben würden.

Auch die neue schwedische Regierung kann der Türkei nicht so weit entgegenkommen, wie Erdogan es gerne hätte. Ankara verlangt die Auslieferung von Dutzenden türkischen Regierungsgegnern als Bedingung für grünes Licht zum schwedischen Nato-Beitritt. Doch auch in Schweden werden Auslieferungen von unabhängigen Gerichten geprüft.

Sollte die Türkei jetzt versuchen, den Anschlag von Istanbul als Druckmittel einzusetzen, könnte sie die Probleme in ihren Beziehungen mit Europa und Amerika verschlimmern, statt sie in ihrem Sinne zu lösen. Schuldzuweisungen wie die von Soylu werden sicher nicht dazu beitragen, das Verständnis für türkische Positionen und Forderungen im Westen zu erhöhen.

Ein weiteres Auseinanderleben der Türkei und ihrer westlicher Partner könnte die Folge sein, zumal Ankara seit einiger Zeit mehr Verständnis für Russland als für den Westen äußert. Erst vor wenigen Tagen sagte Erdogan zum Ukraine-Krieg, der Westen mit den USA an der Spitze greife Russland an – und Russland wehre sich.

Wie Erdogans Regierung mit dem Anschlag von Istanbul umgeht, könnte deshalb ein Vorzeichen dafür sein, wie die Türkei künftig ihr Verhältnis zum Westen gestalten will. Die ersten Anzeichen deuten auf noch mehr Streit hin.

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