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Ein spanischer Soldat weist marokkanische Migranten zurück, die im Meer vor der Exklave Ceuta versucht haben, Spanien zu erreichen.

© Reuters / Jon Nazca

EU-Asylreform: Ampel-Politiker berichten, wie ihre eigene Flucht ihre heutige Politik prägt

Wie denken Bundestagsabgeordnete der Ampel, die selbst nach Deutschland geflohen sind, über die jüngsten Asylbeschlüsse? Drei von ihnen geben Auskunft.

| Update:

Politikerinnen und Politiker der Ampelkoalition, die auf eine eigene Fluchtgeschichte zurückblicken, sind durch die Beschlüsse von Luvemburg an ihr eigenes Schicksal erinnert worden. Dort hatten sich die EU-Innenminister nach jahrelangem Streit mit großer Mehrheit auf eine Verschärfung des europäischen Asylrechts geeinigt.

Im Mittelpunkt steht dabei die Einführung von Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen, um illegale Migration einzudämmen. Deutlich restriktiver soll vor allem der Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive werden: Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern sollen nach dem Grenzübertritt in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort soll dann – nach Möglichkeit innerhalb von zwölf Wochen – geprüft werden, ob Chancen auf Asyl bestehen. Wenn dies nicht der Fall ist, sollen die Menschen umgehend zurückgeschickt werden.

Die Bundesregierung konnte sich nicht mit ihrer Forderung durchsetzen, Familien mit minderjährigen Kindern von diesem Verfahren auszusetzen. Der Tagesspiegel hat Abgeordnete mit einer Fluchtgeschichte der SPD, der Grünen und der FDP gefragt, was ihre Haltung zu der Reform mit ihren eigenen Erfahrungen zu tun hat. Sie kommen zu unterschiedlichen Schlüssen.

Adis Ahmetovic (29), Mitglied der SPD-Fraktion im Bundestag, wurde in Hannover als Kind bosnischer Eltern geboren, die nach Deutschland geflohen waren. Die Familie sollte abgeschoben werden, ihr Rechtsanwalt Matthias Miersch, heute Fraktionskollege von Ahmetovic, verhinderte das. Der Abgeordnete ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses.

 Adis Ahmetovic ist Mitglied der SPD-Fraktion im Bundestag.
Adis Ahmetovic ist Mitglied der SPD-Fraktion im Bundestag.

© imago/Future Image/IMAGO/Ulrich Stamm

Das Recht auf Asyl hat in Deutschland Verfassungsrang. Dieses Prinzip ermöglichte auch meinen Eltern die Zuflucht nach Hannover vor dem Bosnienkrieg 1992. Selbst 1993 in Deutschland geboren, hatte ich das große Glück, in Freiheit und Frieden aufzuwachsen.

Auch deshalb werbe ich für ein humanes, gerechtes Asylsystem. Menschen, die zum Beispiel vor Klimakatastrophen und Krieg nach Europa fliehen, dürfen nicht die Leidtragenden einer rigorosen und harten Neu-Ausrichtung der Asylpolitik sein. Kontrollen und Zäune an der EU-Außengrenze werden nicht die Antwort auf alle Herausforderungen sein. Wir tragen für prekäre Situationen auf Teilen der Welt eine Mitverantwortung – das muss uns immer wieder bewusst sein, wenn es um die Frage einer gerechten Migration geht.

Das nun neu geplante EU-Asylrecht ist konträr zum europäischen Geist. Ich sehe es mit Besorgnis. Es benötigt anstelle von einer de facto Abriegelung – es gibt beispielsweise keine gesonderte Rolle für Frauen mit Kindern – eine gemeinsame europäische Verantwortung, wo EU-Mitgliedstaaten bei der humanen Aufnahme und Integration unterstützt werden, auf Fluchtursachen muss Politik entgegenwirken.

Europa steht vor einem neuen Zeitalter. Nationalistische Kräfte bestimmen die politische Agenda aktiv mit. Auch aus diesem Grund wird sich an der Frage des Asylrechts in Zukunft der Fortbestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in der EU mitentscheiden.

Schahina Gambir (32), Mitglied der Grünen-Fraktion im Bundestag und Abgeordnete aus NRW, ist in Afghanistan geboren. Sie ist Obfrau ihrer Fraktion in der Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“.

Schahina Gambir ist Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen.
Schahina Gambir ist Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen.

© imago/photothek/IMAGO/Xander Heinl

Ich bin in Kabul geboren und 1993 als Kind mit meiner Familie nach Deutschland geflohen. Wie heute, wurden auch damals die medialen und politischen Debatten um Migration außerordentlich polemisch, emotional und rassistisch geführt. Es kam zu rassistischen und rechtsextremen Ausschreitungen und Morden – unter anderem in Solingen, Hoyerswerda und Mölln.

In diesem hasserfüllten Klima wurde mit dem Asylkompromiss 1993 das Grundrecht auf Asyl in Deutschland stark eingeschränkt, diese Beschlüsse wirken bis heute nach. Auch meine Familie war davon betroffen.

30 Jahre danach stehen Menschenrechte erneut zur Disposition. Die Einigung über das Gemeinsame Europäische Asylsystem, wie sie jetzt vorliegt, ist falsch und nicht geeignet, die Krise der europäischen Migrationspolitik zu beenden. Vielmehr gibt sie rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Forderungen nach.

Denn die Maßnahmen können weder menschenrechtskonform umgesetzt werden, noch entlasten sie die Mittelmeerländer an den europäischen Außengrenzen. Die vorgesehenen Grenzverfahren führen zu langanhaltenden Inhaftierungen von Schutzsuchenden an den Grenzen – weitgehend isoliert, abgeschnitten von Hilfe und rechtlicher Beratung. Die Situation für Geflüchtete verschlechtert sich noch weiter und die aktuelle Krise der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit wird verschärft.

Muhanad Al-Halak (33), Mitglied der FDP-Fraktion, ist im Irak geboren. Er vertritt den niederbayerischen Wahlkreis Deggendorf. Er ist Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.

Muhanad Al-Halak ist Bundestagsabgeordneter der FDP.
Muhanad Al-Halak ist Bundestagsabgeordneter der FDP.

© FDP

Bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geht es letztlich um Leute wie mich. Ich bin als Kind als Flüchtling aus dem Irak nach Grafenau in Bayern gekommen.

Dort bin ich in die Schule gegangen, habe meinen Abschluss gemacht, meine Lehre als Abwassermeister, dann meinen Job, habe mich in der Feuerwehr engagiert, in der FDP, bin im Gemeinderat – und jetzt bin ich Bundestagsabgeordneter!

Deutschland und vor allem die Menschen in Grafenau haben mir Chancen gegeben – und die habe ich auch genutzt. Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, ob das alles heute noch mal so gut funktionieren würde. Die Kommunen sind überfordert und die Menschen vor Ort haben immer weniger Lust, sich auf die geflüchteten Menschen wirklich einzulassen.

Deshalb ist jetzt auch die GEAS-Reform so wichtig. Jeder (!) EU-Staat soll seinen Beitrag bei der Migrationspolitik leisten. Niemand geht freiwillig von zu Hause weg. Aber nicht jeder, der von zu Hause weggeht, hat einen Asylanspruch.

Deswegen ist es richtig, schon direkt an oder hinter der Grenze zu überprüfen, ob jemand überhaupt eine Chance auf Asyl hat. Denn Geflüchtete sollen auch in Zukunft in Deutschland eine echte Chance bekommen, so wie ich sie bekommen habe. Denjenigen, die an der EU-Grenze ankommen, aber keine Chance auf Asyl haben, sollten wir eine richtige, echte Chance geben – über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz.

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