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Der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck (r) und der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Patrick Graichen stellen sich am 10. Mai 2023 in Berlin in einer Sitzung der Bundestagsausschüsse für Wirtschaft sowie für Klimaschutz und Energie den Fragen der Abgeordneten.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Update

„Es ist der eine Fehler zu viel“: Habecks Staatssekretär Graichen muss gehen – wegen eines weiteren Verstoßes

Die Trauzeugen-Affäre hatte Patrick Graichen noch überstanden. Neue familiäre Verflechtungen wurden ihm aber nun zum Verhängnis. Sein möglicher Nachfolger kennt sich mit Krisen aus.

| Update:

Der umstrittene Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen, der als Architekt des geplanten Heizungsgesetzes gilt, muss seinen Posten räumen. Das bestätigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am Mittwochvormittag.

Der Sachverhalt, der Graichen letztlich zum Verhängnis wurde, habe ihn am vergangenen Dienstag erreicht, erklärte Habeck. Es sei ein neuer Verstoß gegen Compliance-Regeln, der der Öffentlichkeit bislang nicht bekannt gewesen sei. Graichen soll ein Projekt des Berliner Landesverbandes des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) als „förderwürdig“ eingestuft haben, dem seine Schwester Verena Graichen bis Mai 2022 vorstand.

Das Projekt sollte mit 600.000 Euro gefördert werden. Der Vorgang hätte Graichen weder vorgelegt werden dürfen, noch hätte er ihn abzeichnen dürfen, sagte Habeck. Das Geld sei aber noch nicht geflossen.

Eine erste kursorische Einschätzung des Vorgehens Graichens sei zunächst entlastend ausgefallen – was sich mit einer gründlicheren Prüfung geändert habe. Graichen soll nun in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Ein möglicher Nachfolger könnte nach Informationen der „Bild“-Zeitung Klaus Müller sein, der Chef der Bundesnetzagentur.

Was der einstweilige Ruhestand für Graichens Bezüge bedeutet, konnte das Bundeswirtschaftsministerium am Mittwoch noch nicht näher beantworten. Eine Sprecherin sagte aber zu, Informationen dazu nachzureichen.

Das Statement von Habeck:

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„Stünde jeder Fehler für sich allein, würde er nicht zu dieser dramatischen Konsequenz führen, die wir heute ziehen“, sagte Habeck. Doch die Fehler stünden eben nicht mehr für sich allein.

In der Gesamtschau hat sich Patrick Graichen damit zu angreifbar gemacht, um sein Amt noch wirkungsvoll ausführen zu können“, so Habeck. In einem Gespräch am Dienstagabend seien er und Graichen deshalb übereingekommen, die Zusammenarbeit zu beenden.

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Es ist der eine Fehler zu viel. Deshalb habe ich heute diese Entscheidung getroffen. Das ist eine weitreichende, schwere Entscheidung – weitreichend für mein Haus, schwer für mich und sehr hart für Patrick Graichen“, sagte Habeck weiter. „Es geht aber darum, das Vertrauen in die Arbeit dieses Hauses als Institution zu schützen. Es geht darum, die politische Handlungsfähigkeit zu wahren.“

SPD und FDP begrüßen Entlassung Graichens

SPD und FDP begrüßten die geplante Entlassung Graichens. „Wir haben Robert Habecks Personalentscheidung mit Respekt zur Kenntnis genommen“, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert dem Tagesspiegel. Er sagte weiter: „Mit dem Schlussstrich des Ministers unter eine wochenlange Debatte über sein Haus verbinden wir die Erwartung, dass nun wieder Sachpolitik in den Mittelpunkt rückt.“

Die Hoffnung der Opposition, die Debatte über die Klima- und Energiepolitik nicht inhaltlich, sondern rein personalpolitisch führen zu können, habe sich „nun zerschlagen“, sagte Kühnert: „Es wird Zeit, dass wir wieder um die richtigen Wege ringen, gerechten Klimaschutz zu organisieren.“

Ich würde mir wünschen, dass dies ein Befreiungsschlag für Robert Habeck ist.

Wolfgang Kubicki (FDP), Bundestagsvizepräsident

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) begrüßte den Rückzug Graichens ebenfalls und stellte zudem den Zeitplan für die Verabschiedung des Gebäudeenergiegesetzes in Zweifel. „Ich respektiere die Entscheidung zum Rückzug von Patrick Graichen und würde mir wünschen, dass dies ein Befreiungsschlag für Robert Habeck ist, damit sein Ressort wieder in ruhigeres Fahrwasser kommt“, sagte Kubicki dem Tagesspiegel.

Kubicki fügte hinzu: „Allerdings glaube ich, dass die Turbulenzen der vergangenen Wochen im Ministerium auch Auswirkungen haben könnten auf den Zeitplan des Gebäudeenergiegesetzes.“

Wenn die Erklärung stimmen sollte, dass Patrick Graichens Expertise für die Energiewende „unersetzlich“ sei, „dann dürfen wir bedauerlicherweise daran zweifeln, dass das Parlament eine zügige Entscheidungsfindung vornehmen kann“, sagte Kubicki. Der FDP-Politiker forderte eine weitere Aufklärung der Causa Graichen: Der Rückzug des Staatssekretärs entbinde das Ministerium „gleichwohl nicht von der Pflicht, die dahinterstehenden Vorgänge weiter aufzuklären“.

Kanzler Scholz äußert sich diplomatisch zum Graichen-Aus

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) reagierte zurückhaltend. Er sei darüber informiert worden und habe das zur Kenntnis genommen, sagte Scholz am Mittwoch am Rande des Gipfeltreffens des Europarats in der isländischen Hauptstadt Reykjavik auf Nachfrage. „Mit Herrn Graichen selbst habe ich gut zusammengearbeitet und ich gehe davon aus, dass der Wirtschaftsminister jetzt seine Arbeit mit voller Kraft fortsetzt.“ Auf weitere Nachfrage, ob der Schritt zu spät gekommen sei, ging der Kanzler nicht ein. 

CDU-Generalsekretär Mario Czaja bezeichnete das Ausscheiden Graichens als richtig und überfällig. Endlich ziehe Habeck Konsequenzen, sagte Czaja am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. „Denn die Vorwürfe gegen seinen engsten Vertrauten wiegen schwer. Sie werfen weitere Fragen nach den Abläufen im Wirtschaftsministerium auf.“ Es brauche nun vollständige Transparenz. Seilschaften und Vetternwirtschaft müssten restlos aufgeklärt werden.

Czaja mahnte mit Blick auf den geplanten Umstieg auf Heizungen mit erneuerbaren Energien, Habeck müsse seine Politik jetzt in die richtigen Bahnen lenken. „Für einen nachhaltigen Klimaschutz ohne soziale Kälte. Und vor allem mit den Menschen und nicht gegen sie. Nur so kann Klimaschutz gelingen.“

CSU-Generalsekretär Martin Huber sieht auch nach dem Abgang Graichens viele offene Fragen. „Das Aus für Patrick Graichen war unausweichlich und kommt viel zu spät. Mit dem Festhalten an seinem Filz-Staatssekretär hat Robert Habeck dem Ansehen seines Ministeriums und der gesamten Bundesregierung schweren Schaden zugefügt“, sagte Huber am Mittwoch in München.

Huber sprach von einem grünen „Selbstbedienungsladen“. „Dieser grüne Sumpf ist damit noch längst nicht aufgearbeitet.“ Es müsse geklärt werden, welche Stellen vom „Graichen-Clan“ besetzt und welche Aufträge an wen vergeben worden seien. 

Habeck hielt nach Trauzeugen-Affäre an Graichen fest

Habecks Top-Mitarbeiter war zuletzt wegen seiner Beteiligung an der Auswahl seines Trauzeugen Michael Schäfer für den Chefposten der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) in die Kritik geraten. Schäfer hatte in der vergangenen Woche erklärt, sich von seinem Vertrag zurückzuziehen. Er hätte den Posten im Juni antreten sollen.

Sowohl Graichen als auch Habeck sprechen mittlerweile von einem Fehler. Das Verfahren zur Personalauswahl soll neu aufgerollt werden.

Nach einer gemeinsamen Befragung in den Ausschüssen für Energie sowie Wirtschaft und Klimaschutz am vergangenen Mittwoch hatte Habeck noch an Graichen festgehalten. „Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss“, hatte der Minister nach der rund zweieinhalbstündigen Sitzung noch erklärt.

„Erkennbarer Verstoß“ gegen Vorgaben des Wirtschaftsministeriums

Es laufe nun allerdings eine beamtenrechtliche Prüfung, denn gegen Vorgaben des Wirtschaftsministeriums sei „erkennbar verstoßen worden“.

Oppositionsvertreter hatten sich nach der Sitzung unbeeindruckt gezeigt und weitere offene Fragen gesehen. Auch Graichens Rücktritt wurde mehrfach gefordert.

Vertreter der CDU/CSU hatten auch einen Untersuchungsausschuss ins Spiel gebracht. Kritik gibt es auch an personellen Verflechtungen im Wirtschaftsministerium.

Graichens Schwester, verheiratet mit dessen Staatssekretärs-Kollegen Michael Kellner, arbeitet wie auch ihr Bruder beim Öko-Institut – einer Forschungseinrichtung, die Aufträge vom Bund bekommt. Das Ministerium betont, Kellner und Graichen seien nicht an Ausschreibungen beteiligt gewesen, auf die sich das Öko-Institut hätte bewerben können. 

Grüne schwächeln in Umfragen

Zusammen mit der Kritik an dem geplanten Heizungsgesetz sorgte die Graichen-Affäre dafür, dass die Grünen in Umfragen an Zustimmung verloren haben. In einer aktuellen Forsa-Umfrage fällt die Partei auf das Ergebnis der Bundestagswahl 2021 zurück und steht damit nur noch bei 15 Prozent.

Habeck rangiert in einer Beliebtheits-Umfrage des Instituts Insa nur noch auf Platz 17. (mit Agenturen)

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