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Die Spitzenkandidaten der hessischen Landtagswahl, Tarek Al-Wazir (Bündnis 90/Die Grünen, r-l), Wirtschaftsminister von Hessen, Nancy Faeser (SPD), Bundesinnenministerin, und Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident von Hessen.

© dpa/Arne Dedert

Gift, Kuscheln und ein ätzendes Urteil: Das TV-Triell vor der Wahl in Hessen im Schnell-Check

Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sowie die Spitzenkandidaten Nancy Faeser (SPD) und Tarek Al-Wazir (Grüne) haben im Hessischen Rundfunk debattiert. Die Tagesspiegel Schnellanalyse.

Am Sonntag wählen die Hessen ihre neue Landesregierung (bisher Schwarz-Grün). Am Montag haben die drei Spitzenkandidaten, die Ministerpräsident werden wollen, eine Stunde lang debattiert: Boris Rhein (CDU), Nancy Faeser (SPD) und Tarek Al-Wazir (Grüne). Die Tagesspiegel-Schnellanalyse.

Themen: Inflation, Flüchtlinge, Ehrenamt und Vereine, Wohnungsbau, Beamtenbesoldung, Bildung, Wahlkampf.

Klare Kante: „Wir erleben gerade Migration, die in absoluter Unordnung ist. Unser gemeinames Ziel muss es sein, da wieder Ordnung hineinzubringen.“ (Al-Wazir). Der grüne Spitzenkandidat widerspricht mehrfach weiten Teilen seiner Partei, sagt auch, wer in Deutschland kein Bleiberecht bekomme, solle möglich erst gar nicht einreisen. Er sagt zudem: „Ich möchte, dass Menschen, die kein Bleiberecht haben, auch wieder gehen.“

Moment der Heiterkeit: Die beiden Moderatorinnen stoppen die Redezeit aller drei Teilnehmer, blenden sie immer wieder ein. Al-Wazir liegt mehrfach hinten. Moderatorin: „Herr Al-Wazir muss noch etwas aufholen.“ Al-Wazir schlagfertig: „Oder die anderen kürzer reden.“ Allgemeines Gelächter, kurz ist der Druck, unter dem alle drei Kandidaten stehen, wie verflogen.

Ich weiß, dass es nicht Deine Wortwahl ist. Aber, Boris, man kann auch mal, wenn einer Quatsch erzählt, sagen, dass es Quatsch ist.

Tarek Al-Wazir (Grüne), gewandt an Boris Rhein (CDU), auf Friedrich Merz’ bezugnehmend

Schwarz-grünes Gift: „Ich weiß, dass es nicht Deine Wortwahl ist. Aber, Boris, man kann auch mal, wenn einer Quatsch erzählt, sagen, dass es Quatsch ist.“ Mit diesen Worten fordert Al-Wazir Rhein auf, sich von den Aussagen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zu distanzieren. Merz hatte über Asylbewerber gesagt: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“

Distanzierung von Merz: Erst auf mehrfache Nachfrage äußert sich Rhein zu Merz’ Aussage aus der letzten Woche, windet sich, und geht doch auf erkennbare Distanz zu seinem Parteichef, indem er sagt: „Es ist eine Wortwahl, die hätten Sie so von mir nicht gehört. Ich weiß aber, dass das Thema diskutiert wird.“

Über die Asylpolitik müsse „in der Mitte“ gesprochen werden, nicht nur am rechten Rand, sagt Rhein. Er betont: „Wenn ein Mensch nach Deutschland kommt und er hat Zahnprobleme, dann wird er auch in Deutschland behandelt. Und insofern ist da alles gesagt, was zu sagen ist. Über Stil und Sound kann man in dieser Frage diskutieren.“

Körpersprache: Ausgiebiges, zustimmendes Nicken bei Nancy Faeser, während Rhein diagnostiziert wird, er würde nicht so reden wie Merz.

Witz oder Ironie: Fehlanzeige.

Schwarz-grünes Kuscheln: „Tarek Al-Wazir hat vollkommen recht“ (Rhein über Al-Wazirs Aussagen zur Bilanz der Wohnungsbaupolitik) 

Grün-rotes Gift: „Rückführungsabkommen sind Job der Bundesinnenministerin.“ (Al-Wazir, an Faeser gewandt)

Populismus: „Ich möchte nicht die erste Villa in Königstein steuerfrei stellen.“ (Al-Wazir, seinen Vorschlag zur Senkung der Grunderwerbsteuer relativierend. Königstein ist eine Millionärs-Hochburg.)

Halbwahrheit: „Die Rückführungsoffensive kommt bisher überhaupt nicht in Gang.“ Behauptet Rhein. Dabei steigt die Zahl der Rückführungen, wenn auch angesichts der Lage in nur geringem Maße. 

Machtwort: Faeser kommentiert Rhein permanent, während dieser redet. Sie fällt ihm ständig ins Wort, insgesamt etwa zwei Dutzend Mal. Einmal herrscht Rhein sie an: „Wollen Sie sprechen oder soll ich sprechen?“

Heftigste Angriffe: Von Faeser gegen Rhein. Rhein und Al-Wazir schonen sich dagegen. Kein Wunder: Sie regieren zusammen. Faeser repräsentiert 25 Jahre Opposition.

Rheins Achillesferse: Die Bildungspolitik. Faeser fordert ihn auf, die ausfallenden Unterrichtsstunden zu beziffern. Von allen Ländern mache das nur Hessen nicht. Faeser greift die CDU an („Sie regieren seit 25 Jahren, seit 25 Jahren!“), trägt ihre Kritik sachlich, aber deutlich vor, bringt Rhein damit aus dem Konzept. Einmal verhaspelt er sich. Al-Wazir verzichtet darauf, die Bildungspolitik über den grünen Klee zu loben, sagt: „Es ist besser geworden, aber natürlich noch nicht perfekt.“

Zoff um SPD-Video: Rhein attackiert Faeser für das ihn diffamierende SPD-Wahlkampfvideo, über das der Tagesspiegel am Samstagmorgen berichtet hatte. Das Video verdächtigte Rhein einer künftigen Kooperation mit der AfD. „Es war ein ganz schlimmes Video“, sagt Rhein: „Widerwärtig!“

Faeser: „Es ist nicht mein Stil, deswegen gibt es dieses Video nicht mehr.“ Die SPD habe sich entschuldigt. Rhein: „Bei mir hat sich niemand entschuldigt.“ Und weiter: „Ich möchte gern von Frau Faeser wissen: Kannten Sie das Video? Haben Sie Verantwortung für das Video übernommen? Waren Sie irgendwie eingebunden in die Produktion dieses Videos?“

Ätzendes Urteil: „Wenn einer seine Partei nicht im Griff hat, fragt man sich schon, wie er ein Land regieren möchte.“ (Rhein über Faeser)

Rhein in Bedrängnis: Faeser fragt Rhein nach dem Treffen des früheren CDU-Abgeordneten Hans-Jürgen Irmer mit dem radikal rechten Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen (CDU) und Vertretern der AfD im August in Wetzlar. Sie wirft der CDU vor, keine klare Brandmauer zur AfD zu bilden. Rhein windet sich, nennt das Treffen dann „völlig inakzeptabel“. 

Staatsmann-Attitüde: Bei Al-Wazir noch mehr als bei Rhein. Spricht von „gemeinsamen Lösungen“, sagt Dinge wie: „Da sind wir uns ja alle einig.“ Über das SPD-Video sagt Al-Wazir: „Die SPD weiß selber, dass dieses Filmchen ein schmutziges Stück Propaganda war. Ich habe gedacht, dass wir in Hessen diesen Stil überwunden hätten.“

Wenig glaubhaft: „Ich möchte als Ministerpräsidentin ....“ sagt Faeser über ihre politische Zukunft. Selbst in der SPD glauben sie nicht mehr an einen Wahlsieg. Die SPD liegt in Umfragen bei 16 Prozent. Das Schreckens-Szenario der Genossen für den Wahlabend: Rang Vier, nach CDU, Grünen und sogar der AfD.

Letztes Wort: „Gehen Sie wählen am 8. Oktober!“ sagt eine der beiden Moderatorinnen am Ende.
„Sehr wichtig!“ ruft Faeser noch rasch. Dann erklingt der Abspann.

Gewinner des Abends: Keiner. Am ehesten noch der vornehme Herr Al-Wazir.

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