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Verkohlte Dachstühle: Wie hier in Tröglitz in Sachsen-Anhalt hat es in diesem Jahr wiederholt Anschläge auf geplante oder bereits genutzte Flüchtlingsunterkünfte gegeben.

© Jan Woitas/dpa

Joachim Herrmann über Flüchtlinge in Deutschland: "Die Gefahr rechtsextremer Anschläge wächst"

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann über Recht und Ordnung, müde Helfer, den Sinn von Transitzonen und eine strengere Auswahl von Kriegsflüchtlingen.

Von Robert Birnbaum

Vor zwei Monaten hat Angela Merkel gesagt: „Wir schaffen das“. Wie lange schafft Bayern das noch?
Es ist offenkundig, dass wir überall in Deutschland an Grenzen der Belastbarkeit stoßen – und da geht es nicht darum, wie viele Menschen zur Begrüßung am Bahnhof stehen! Es geht darum, wie lange unsere Rettungsorganisationen durchhalten, die ja viele Ehrenamtliche in ihren Reihen haben. Die Frage ist, wie lange unsere Polizei diese Überlast verkraftet mit den Flüchtlingen einerseits und den Gefährdungen der inneren Sicherheit andererseits. Da geht es aber vor allem auch um die mittel- und langfristigen Folgen: Neue Klassen in den Schulen, Wohnungen, Arbeitsplätze – diese langfristigen Herausforderungen sind eigentlich die viel größeren. Deshalb brauchen wir ganz klar eine Begrenzung des Flüchtlingsstromes.

Das sagen viele, aber niemand wird konkret. Deshalb noch einmal: Wie lange schafft Bayern das noch?
Ich habe nicht die Absicht, einen Stichtag zu nennen. Aber alle Innenminister Deutschlands haben der Bundeskanzlerin zuletzt vor zwei Wochen deutlich gesagt, dass Grenzen erreicht sind. Da muss dringend in Berlin gegengesteuert werden. Wenn jetzt klare Entscheidungen fallen, etwa zu den von uns geforderten Transitzonen, ist das schon einmal ein wichtiges Signal und ein Schritt in die richtige Richtung.

Was versprechen Sie sich denn von diesen Transitzonen?
Wenn man das richtig macht, können wir damit eine möglichst hundertprozentige Registrierung erreichen. Es geht nicht, dass tausende Menschen völlig ungeklärter Identität quer durch unser Land unterwegs sind. Wir müssen dafür sorgen, dass alle bereits unmittelbar an der Grenze registriert werden, um Ordnung in die Abläufe zu bekommen.

Wenn wir Namen in der Kartei haben, werden die Flüchtlinge noch nicht weniger.
Aber bei dieser Erfassung können wir auch sofort feststellen, wenn ein Flüchtling aus einem sicheren Herkunftsland kommt. Diese Menschen haben mit 99-prozentiger Sicherheit kein Anrecht auf politisches Asyl. Wenn wir ihr Verfahren in wenigen Tagen abschließen und sie direkt in ihre Heimat zurückschicken können, würde uns das schon enorm entlasten. Sobald wir das einige Wochen konsequent durchgehalten haben, werden sich auch wesentlich weniger Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten auf den Weg machen, weil sie dann wissen, dass sie hier sowieso keine Chance haben.

Aus diesen Ländern kommt derzeit sowieso nur noch ein geringer Teil der Flüchtlinge.
Die Zahl ist geringer geworden, das stimmt. Aber wir haben in den letzten Jahren alle die Erfahrung gemacht, dass gerade vom Balkan viele zum, ich sage einmal, „Überwintern“ hierher kommen. Deshalb dürfen wir an dieser Stelle nicht nachlassen. Außerdem muss die Bundesregierung die Liste der sicheren Herkunftstaaten gerade mit Blick auf Afrika überprüfen. Bisher sind nur zwei Staaten Afrikas in dieser Liste aufgeführt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das die einzigen Länder sind, in denen Bürger in der Regel vor politischer Verfolgung sicher sind.

Joachim Herrmann (57) ist seit 2007 Bayerns Innenminister.

© Marc Müller/dpa

Die Transitzonen sind im Prinzip beschlossen – entstehen da „Massenhaftlager im Niemandsland“, wie die SPD gesagt hat?
Die Vorstellung ist immer unbegründet gewesen, dass alle Flüchtlinge für längere Zeit in Grenznähe festgehalten werden. Wenn bei Menschen aus Syrien, dem Irak oder auch Afghanistan klar ist, dass ihr Begehren realistische Aussicht auf Erfolg hat oder zumindest als ergebnisoffen eingeschätzt wird, werden sie sofort weitergeleitet in die Erstaufnahmen im ganzen Bundesgebiet. Nur die absehbar aussichtslosen Asylbewerber sollen bis zum Abschluss des Verfahrens dort bleiben.

Haben Sie eigentlich Sorge vor einem neuen Rechtsterrorismus? In Bamberg hat eine Gruppe Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingsheime geplant.
Die Gefahr von rechtsextremistischen Anschlägen wächst. Die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung wird in der jetzigen Lage ohnehin zu einem Hauptthema. Das gilt ja aus jedem Blickwinkel. Wir müssen die Zuwanderer vor rechtsradikaler Gewalt schützen. Wir müssen die Bevölkerung vor Kriminalität mancher Flüchtlinge schützen. Das sind berechtigte Sorgen, die wir ernst nehmen. Deshalb hat Bayern gerade 580 neue Stellen bei der Polizei geschaffen.

Einige Fachleute befürchten, dass auch „normale“ Bürger Gewalttaten gegen Flüchtlinge verüben könnten ...?
Dass Normalbürger plötzlich ausrasten, kann ich nicht erkennen. Täter und Verdächtige stammen bisher ausnahmslos aus der rechtsextremen Szene. Die sind bisher schon bei Demonstrationen und durch starke Sprüche aufgefallen.

Wie begründet ist anhand Ihrer Erkenntnisse die Sorge vor Kriminalität, die von Flüchtlingen ausgeht?
Durch die starke Zunahme von Flüchtlingen steigt natürlich auch die Zahl der Straftaten. Unübersehbar ist das bei Delikten wie Ladendiebstahl oder Körperverletzung. Dazu kommen Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen. Wir holen uns mit dem Flüchtlingsstrom die Konflikte des Nahen Ostens ins Land. Es kommen Verfolgte des Assad-Regimes in Syrien oder des "Islamischen Staats", aber es gibt Hinweise von Flüchtlingen, dass inzwischen auch ihre Verfolger in dem Strom mittreiben.

Bisher hat sich kein einziger Verdacht bestätigt, dass IS-Kämpfer sich mit den Flüchtlingen ins Land schmuggeln!
Wir haben bislang auch in Bayern keinen konkreten Fall, in dem ein Flüchtling als Terrorist identifiziert wurde. Aber das Risiko ist grundsätzlich gegeben. Dazu kommt, dass Flüchtlinge von radikalen Islamisten aus unserem eigenen Land angesprochen werden.

Dem Krieg entkommen ist diese syrisches Flüchtlingskind.

© Bodo Schackow/dpa

Die Menschen fliehen doch gerade vor Islamisten, die gehen doch keinem deutschen Salafisten auf den Leim!
Für diejenigen, die konkret vor dem IS fliehen, ist das sicher richtig. Aber viele fliehen vor den Bomben des Assad-Regimes. Das ist verständlich, nur, nicht alle von denen sind tolerante Demokraten in unserem Verständnis. Auch das ist ein Grund mehr dafür, dass wir den Zuzug auf ein beherrschbares Maß begrenzen müssen.

Transitzonen allein, Sie sagen es ja selbst, können das nicht leisten. Was wäre der nächste Schritt – doch ein Zaun entlang der Grenze zu Österreich?
Auf Dauer können wir die Probleme nicht alleine an der Grenze zu Österreich lösen. Wir brauchen den klaren Schutz der EU-Außengrenzen. Wir brauchen die Hotspots, in denen ähnlich wie in unseren Transitzonen schon entschieden wird, wer überhaupt eine Chance hat, in Europa aufgenommen zu werden. Und wer keine Chance hat, wird sofort zurückgeführt.

Das wird dort nur eine sehr kleine Zahl sein gemessen an den Tausenden, die vor den Bürgerkriegen fliehen.
Deshalb müssen wir bei den Bürgerkriegsflüchtlingen strengere Maßstäbe anlegen. Das Normale muss sein, dass ein Kriegsflüchtling in der unmittelbaren Umgebung Zuflucht sucht. Während des Kriegs im früheren Jugoslawien waren wir diese direkte Nachbarschaft. Aber es ist im wahrsten Sinne des Wortes nicht nahe liegend, dass jemand vor dem Bürgerkrieg in Syrien nach Deutschland oder Schweden flieht. Wir haben eigentlich das Ziel, dass diese Menschen nach dem Ende des Bürgerkriegs wieder in ihre Heimat zurückkehren. Nach dem Jugoslawienkrieg haben das zwei Drittel der Flüchtlinge ja auch getan, weil sie selbst diesen Wunsch auch hatten.

Strengere Maßstäbe heißt was genau?
Wir müssen in der Europäischen Union insgesamt zu einer anderen Betrachtungsweise kommen, welche Flüchtlinge wir aufnehmen können. Die meisten Länder der EU plädieren schon für eine restriktivere Handhabung. Ergänzt werden sollte sie durch ein großzügiges Kontingent von Flüchtlingen, die das UN-Flüchtlingshilfswerk aussucht, die wir nach Europa holen, ohne dass Schlepper daran verdienen, und die wir dann nach einem vernünftigen Schlüssel in Europa verteilen.

Aber wären „strengere Maßstäbe“ denn überhaupt mit dem Recht vereinbar, etwa der Genfer Flüchtlingskonvention?
Da kommt es auf die richtige Interpretation an. Die Genfer Flüchtlingskonvention setzt eigentlich eine individuelle Betroffenheit voraus. Dieser Maßstab wird im Moment vom Bundesamt für Migration nicht angewandt. Deutschland erkennt heute pauschal jeden Bürgerkriegsflüchtling an. Aber nach dem Maßstab der individuellen Betroffenheit könnte man durchaus stärker differenzieren.

Das Gespräch führte Robert Birnbaum.

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