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Über den ideologischen Parteiflügel an die Regierungsspitze: Liz Truss, bisher Außenministerin, künftig Premierministerin von Großbritannien.

© Kirsty Wigglesworth/AP/dpa

Hürden für die Premierministerin: Liz Truss muss gegen Volk und Fraktion regieren

Ihr Aufstieg stellt die Regeln der Demokratie auf den Kopf: Regierungschefin Truss hat keine Mehrheit in der Gesellschaft und im Parlament. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Funktioniert die Führungsauswahl westlicher Demokratien noch zuverlässig? Das Ziel des Systems ist, Persönlichkeiten an die Regierungsspitze zu bringen, die den Mehrheitswillen der Gesellschaft vertreten und gestützt auf eine Mehrheit im Parlament Politik machen, die den Herausforderungen der Zeit gerecht wird.

In Großbritannien geschieht gerade das Gegenteil. Liz Truss hat keine Mehrheit im Volk und auch keine in ihrer Fraktion. Sie vertritt die Interessen einer überschaubaren Minderheit der Briten. Die kann man als überdurchschnittlich reich, alt und weiß umschreiben. Nur ein Drittel der konservativen Abgeordneten wollte ihren Sieg. Die Mehrheit hätte ihren Konkurrenten Rishi Sunak bevorzugt.

Eine Mehrheit hat sie nur unter Parteimitgliedern

Dass Truss Premierministerin wird, haben weder die Wähler noch die Fraktion, die ihre Politik tragen soll, entschieden. Es ist eine Nebenfolge ihrer Kür zur Parteichefin. Der Kampf um den Posten glich einem Überbietungswettbewerb in neoliberaler Propaganda. Angesichts des Ukrainekriegs wirkt das wie Realitätsverweigerung.

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Man stelle sich vor, in Deutschland zöge jetzt eine Person ins Kanzleramt, die eine Ausweitung staatlicher Unterstützung für Haushalte, die unter hoher Inflation leiden und Energieknappheit im Winter fürchten, ablehnt und empfiehlt, der Staat solle die Steuern senken und sich ansonsten heraushalten.

Ihr Aufstieg stellt die gewohnten Mechanismen auf den Kopf. In der Regel überlegen Parteien bei der Kür der Spitzenleute, wer in der Gesellschaft mehrheitsfähig ist und die nächste Wahl gewinnen kann.

Boris Johnson wartet auf die Chance zum Comeback

Der schlitzohrige Boris Johnson gehörte – bei allen Verfehlungen – dazu. Liz Truss mobilisierte die Partei mit populistischer Radikalität. Nun soll sie ein Land regieren, dessen Bürger ganz anders ticken. Kann das gut gehen? Nein, wenn sie auf den Versprechen beharrt. Dann verlieren die Tories die nächste Wahl.

Truss ist jedoch eine Opportunistin. Ihr ist zuzutrauen, dass sie als Regierungschefin den Kurs ändert und ihre Gegner in der Fraktion einbindet. Und wenn das nichts hilft? Boris Johnson wartet nur auf seine Chance zum Comeback. Zur traurigen Lage gehört freilich auch: Labour steht kaum besser da. Ohne eine Opposition, der die Wähler das Regieren zutrauen, kann die Demokratie ihre Systemvorteile nicht ausspielen.

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