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Katrin Göring-Eckardt am 01.03.23 in ihrem Büro im Gespräch mit Annika Schönstädt

© Tsp/Scarlett Werthl

„Nicht als Problemfall betrachten“: Göring-Eckardt fordert von den Grünen mehr Fokus auf den Osten

Die aus Thüringen stammende Bundestagsvizepräsidentin wirft ihrer Partei Fehler in Ostdeutschland vor. Göring-Eckardt sieht aber auch bei sich selbst Versäumnisse.

Die Grünen erzielen im Osten bei den Wahlen schlechte Ergebnisse. Wenn ihre Partei den Bundeskanzler stellen wolle, müsse sich das ändern, sagt Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. Sie fordert von den Grünen größere Aufmerksamkeit für die Lebensverhältnisse in Ostdeutschland.

„Wir haben zugelassen, dass man uns als westdeutsche Partei wahrnimmt“, sagte sie dem „Spiegel“. „Wir wollen ein zweites Mal Anlauf aufs Kanzleramt nehmen. Das geht nicht ohne Ostdeutschland.“

Göring-Eckardt warnte vor Pauschalurteilen über den Osten. „Wir dürfen den Osten nicht als Problemfall betrachten, da passiert auch viel Gutes. Daran muss ich auch meine Partei gelegentlich erinnern“, sagte die Thüringerin, die vor 30 Jahren als eine der Bundessprecherinnen von Bündnis 90 die Vereinigung mit den westdeutschen Grünen maßgeblich mitverhandelte.

Ich hätte lauter sagen müssen, dass für viele der Wandel nicht tragbar war. Mein Schweigen dazu liegt mir bis heute auf der Seele.

 Katrin Göring-Eckardt,  Bundestagsvizepräsidentin (Grüne)

Die anhaltende Schwäche der Grünen in den ostdeutschen Bundesländern führte die frühere Fraktionschefin im Bundestag auf soziodemografische Faktoren zurück. Sie gestand aber auch ein: „Natürlich hat die Partei eigene Fehler gemacht.“ So seien die Grünen in der Zeit seit dem Zusammenschluss mit Bündnis 90 zu wenig präsent gewesen im Osten.

Auch sie selbst hätte sich stärker für die Menschen in Ostdeutschland einsetzen müssen – etwa zu Zeiten der Arbeitsmarktreformen unter Rot-Grün: „Ich hätte lauter sagen müssen, dass für viele der Wandel nicht tragbar war. Mein Schweigen dazu liegt mir bis heute auf der Seele“, sagte Göring-Eckardt.

Ihre ostdeutsche Herkunft habe sie bewusst nicht in den Vordergrund gerückt. „Ich wollte nicht die Zuständige für alles Ostdeutsche sein“, erläutert die Grünenpolitikerin. Sie habe lange gedacht, „die tatsächliche Einheit kommt mit der Zeit, und die Herkunft spielt keine Rolle mehr“, so Göring-Eckardt: „Da habe ich mich getäuscht.“

Künftig wolle sie ihre ostdeutsche Herkunft stärker herausstellen – „damit die Leute wissen: Ich bin auch von hier, ich bin ansprechbar“, sagt die Bundestagsvizepräsidentin.

Zuletzt hatte ein Vorschlag der Grünen, den Kohleausstieg auch im Osten des Landes auf 2030 vorzuziehen, dort großen Unmut ausgelöst. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bezeichnete diesen Plan als „völlig illusorisch“ – nicht zuletzt wegen des Wegfalls von russischem Pipeline-Gas nach Russlands Angriff auf die Ukraine.

Der Generalsekretär der sächsischen CDU, Alexander Dierks, sagte, ein Vorziehen würde die Planungssicherheit für die Kohleregionen zerstören und einen erfolgreichen Strukturwandel gefährden. „Dieses Handeln ist ideologiegetrieben und zerstört Vertrauen in demokratische Entscheidungen.“

Auch der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, kritisierte den Vorstoß als unrealistisch. „Die Stromnetze sind nicht ausreichend ausgebaut, und auch der Ausbau der Erneuerbaren reicht noch nicht aus“, sagte der SPD-Politiker. (lem)

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