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Katharina Stolla (l) und Svenja Appuhn, Bewerberinnen um den Vorsitz der Grünen Jugend.

© dpa/Grüne Jugend/Elias Keilhauer

„Es braucht auch eine Kritik an der Ampel von links“: Neue Spitze der Grünen Jugend hadert mit der Regierungspolitik

Nach zwölf Jahren bekommt die Grüne Jugend wieder eine weibliche Doppelspitze. Katharina Stolla und Svenja Appuhn appellieren an grüne Ideale und kritisieren die Ampel.

Die Aufbauarbeiten für den Bundeskongress der Grünen Jugend laufen, als sich Svenja Appuhn und Katharina Stolla kurz Zeit für ein Gespräch nehmen. Auf dem Treffen in Leipzig sollen die beiden 25-Jährigen an diesem Samstag zum neuen Führungsduo gewählt werden.

Inhaltlich müssten sie aber keine Aufbauarbeit leisten, betont Stolla. Ihre Vorgänger, Sarah-Lee Heinrich und Timon Dzienus, hätten die Grüne Jugend erfolgreich in einer neuen Rolle etabliert – als Jugendorganisation einer Regierungspartei.

Aber die Zeiten hätten sich geändert. „Sarah und Timon haben ihre Amtszeit begonnen, als gerade der Koalitionsvertrag verhandelt wurde“, sagt Stolla. Inzwischen habe sich gezeigt, dass die Ampel an ganz vielen Stellen keine ausreichende Politik mache.

Schon Heinrich und Dzienus haben die Ampel und auch die Grünen deshalb zuletzt deutlich kritisiert. Appuhn und Stolla, die bereits im Bundesvorstand sitzen, wollen weiter die Unabhängigkeit der Grünen Jugend unterstreichen. „Es braucht auch eine Kritik an der Ampel von links“, sagt Stolla. In der Klimapolitik etwa komme den Grünen gesellschaftlicher Druck zugute.

Zuletzt auf Distanz zur Ampel: Die scheidenden Sprecher der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich und Timon Dzienus.

© dpa/Bodo Schackow

Die Unzufriedenheit mit der Ampel ist groß bei der Grünen Jugend. Da ist das zurechtgestutzte Heizungsgesetz, das so die Wärmewende kaum voranbringen wird, die Klimalücke im Verkehrssektor und die Abschaffung fester CO₂-Ziele für die einzelnen Sektoren.

„Klimaschutz muss das Leben der Menschen besser machen und darf sie nicht verunsichern“, sagt Appuhn. Für Klimaschutz ohne sozialen Ausgleich gebe es wenig Unterstützung in der Bevölkerung. „Das Klimageld ist immer noch nicht da“, kritisiert sie.

Das Neun-Euro-Ticket sei eine wahnsinnig populäre Klimaschutzmaßnahme gewesen. Doch dann habe Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) erst den Preis verfünffacht, und nun sei offen, ob es das Deutschlandticket weiter gebe. Zusammen mit der Klimabewegung fordere man deshalb mehr Ehrgeiz von der Ampel.

Sie drohen mit Streik beim Plakatekleben

Eine Kurskorrektur der Regierungskoalition ist allerdings nicht in Sicht. Während das Gespräch läuft, beschließt der Bundestag die Planungsbeschleunigung für Verkehrsprojekte. An 138 Stellen können damit auch Autobahnen schneller ausgebaut werden, der Naturschutz wird dabei ausgehebelt.

Wegen Tiefschlägen wie diesen warnen Appuhn und Stolla die Grünen. Sie müssten sich schon fragen, ob in den nächsten Wahlen noch jemand Plakate für die Partei klebe, sagen beide.

Der Bundeskongress in Leipzig steht unter dem Motto „Solidarität Grenzenlos“. Schon das zeigt, wie sehr auch die Migrationspolitik der Ampel die Grüne Jugend verärgert. Auf dem Cover des „Spiegel“ erscheint Bundeskanzler Olaf Scholz diesen Samstag mit dem Satz „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“. Vizekanzler Robert Habeck sagte seinen Grünen, sie müssten in der Migrationspolitik „die Wirklichkeit annehmen“.

Es werden Geflüchtete bekämpft, statt Kommunen bei der Aufnahme unterstützt.

Katharina Stolla, designierte Bundessprecherin der Grünen Jugend

„Es ist offensichtlich, dass es in Zeiten des Rechtsrucks falsch ist, Rechten hinterherzulaufen“, sagt Stolla. Die Migrationspolitik der Ampel sei realitätsfern. „Es werden Geflüchtete bekämpft, statt Kommunen bei der Aufnahme unterstützt.“ Das geplante Migrationspaket der Ampel nage an der Partei.

Dass die Grünen nun an einer Abschottungspolitik in Europa mitwirken, beschäftigt sie auch ganz persönlich. Die Flüchtlingskrise 2015/2016 habe sie politisiert, erzählt Stolla. Als Studentin in Hamburg trat sie der Grünen Jugend bei, um der Ablehnung von Geflüchteten und dem Erstarken der AfD etwas entgegenzusetzen.

Beide kommen aus Frankfurt

Stolla und Appuhn sind im selben Geburtshaus in Frankfurt am Main zur Welt gekommen. Die beiden trennt auch nur ein Dreivierteljahr. Begegnet sind sie sich in ihrer Jugend dennoch nicht. Appuhn wurde in einem Vorort groß, Stolla in der Stadt.

Ihr politisches Engagement begann Appuhn bereits in der Schule, sie wurde Landesschulsprecherin, sprach sich gegen getrennte weiterführende Schulen aus. Nach dem Abitur ging sie nach Hannover, um Medizin zu studieren. Dort trat sie der Grünen Jugend bei – wegen der Klimakrise.

Stolla studierte in Hamburg Meteorologie, um die Physik des Klimawandels besser zu verstehen. „Es war spannend, sich mit tropischen Wolken und dem arktischen Meereis zu beschäftigen“, sagt sie. „Aber klimapolitisch scheitert es nicht am mangelnden physikalischen Wissen, sondern am fehlenden politischen Willen.“ Ihr Studium hat sie fertig, jetzt will sie selber Klimapolitik machen. Für Appuhn stünde eigentlich das Praktische Jahr an, das stellt sie für den Sprecherposten bei der Grünen Jugend nun zurück.

Millionärssteuer und Mindestlohn von 15 Euro

Ihre Wahl beim Bundeskongress in Leipzig gilt als sicher, Gegenkandidaturen werden nicht erwartet. Zwei Jahre werden sie dann im Amt sein – als erste weibliche Doppelspitze seit zwölf Jahren –, eine Wiederwahl ist bei der Grünen Jugend nicht vorgesehen.

In den Fokus wollen sie nicht die Klimapolitik stellen, sondern Verteilungsfragen. „Wir fordern eine Millionärssteuer, eine Offensive für sozialen Wohnraum und einen Mindestlohn von 15 Euro“, sagt Appuhn.

Auch beim Klimaschutz hält Appuhn einen sozialen Ausgleich für zentral: „Gedämmte Wohnungen sind populär, wenn sie mit sinkenden Mieten einhergehen. Dafür muss man sich mit den großen Wohnkonzernen anlegen.“ Mit der Ampel nicht möglich. Appuhn beklagt die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, fordert die Abschaffung der Schuldenbremse und mehr soziale Umverteilung.

Wirklich links überholt hat die Parteijugend die Mutterpartei – wenn man etwas Rhetorik abzieht – damit nicht. Denn auch bei Grünen sehnt man sich nach einer Vermögenssteuer und dem Ende der Schuldenbremse.

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