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Wenn’s spielerisch nicht geht, muss man es eben mit mehr Körpereinsatz probieren. So wie hier Herthas Kapitän Toni Leistner (r.).

© imago/Nordphoto/IMAGO/nordphoto GmbH / Engler

Spielerische Qualität braucht Zeit: Was Hertha BSC vom FC St. Pauli lernen kann

Bei der 1:2-Niederlage kann Hertha BSC spielerisch nicht mit dem FC St. Pauli mithalten. Umso wichtiger wäre es für die Berliner gewesen, auf andere Stilmittel zu setzen.

Zum Abschied, nach einer kurzen Umarmung, tätschelte Pal Dardai, der Trainer von Hertha BSC, Fabian Hürzeler noch kurz über die Wange. Es lag im Auge des Betrachters, was man aus dieser Geste herauslesen wollte.

Für die einen mag sie ein bisschen gönnerhaft dem jungen Kollegen gegenüber gewirkt haben. Andere deuteten sie eher als Ausdruck höchster Anerkennung für den Auftritt, den Hürzelers Mannschaft im fast vollen Olympiastadion hingelegt hatte.

Denn so überzeugt und so überzeugend wie der FC St. Pauli am Samstagabend ist in der Zweiten Liga lange niemand mehr bei Hertha BSC aufgetreten. 2:1 (1:0) hieß es am Ende für die Gäste aus Hamburg, die durch diesen Erfolg in der Tabelle an ihrem Lokalrivalen HSV vorbei auf Platz eins vorrückten.

St. Pauli bleibt in der Zweiten Liga als einzige Mannschaft ungeschlagen und ist inzwischen saisonübergreifend seit 14 Pflichtspielen ohne Niederlage. Hertha hat im selben Zeitraum sieben Spiele verloren. Mit St. Pauli könne man sich aktuell nicht vergleichen, sagte Pal Dardai nach dem Aufeinandertreffen. „Der HSV und St. Pauli sind die Ausnahmemannschaften in dieser Liga. Die stehen eine Klasse über uns.“

Wenn der Gegner spielerisch besser ist, muss man ein bisschen mehr mit dem Körper arbeiten, aggressiver sein.

Pal Dardai, Trainer von Hertha BSC

Gegen beide Mannschaften hat Hertha schon gespielt, gegen beide hat Hertha verloren. Aber während die Berliner am dritten Spieltag gegen den Hamburger SV komplett chancenlos waren und eine 0:3-Niederlage kassierten, kratzten sie am Samstag im eigenen Stadion immerhin noch an einem Unentschieden.

Nach dem Anschlusstreffer des eingewechselten Derry Scherhant knapp zehn Minuten vor dem Ende warf Hertha alles nach vorne, selbst Torhüter Tjark Ernst versuchte sich in der Schlussphase als Aushilfsstürmer. Der Lucky Punch aber gelang Dardais Mannschaft nicht mehr. „Das hätten wir auch nicht verdient“, sagte der Ungar.

St. Pauli war vor allem in der ersten Halbzeit besser und reifer. „Das ist schon eine Top-Mannschaft, ein eingespieltes Team“, sagte Herthas Torhüter Ernst. „Das passiert nicht von heute auf morgen, dass man den Gegner so laufen lassen kann.“

Die spielerische Klasse der Hamburger ist eng mit dem erst 30 Jahre alten Fabian Hürzeler verbunden. Seit Januar ist er als Cheftrainer für den FC St. Pauli verantwortlich. Seitdem lässt sich ein klares Konzept im Auftreten des Teams erkennen. „Respekt, wie die Fußball spielen“, sagte auch Pal Dardai. „Top. Großes Lob.“

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Niederlagen hat Hertha in den ersten acht Spielen kassiert.

Jonas Boldt, der Sportvorstand des Hamburger SV, hat vor anderthalb Jahren im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ einmal auf die Besonderheiten der Zweiten Liga verwiesen: „Schauen Sie sich mal die Aufsteiger der vergangenen Zweitliga-Jahre an: Das waren entweder große Traditionsklubs, die es direkt wieder hoch geschafft haben. Oder es waren vergleichsweise kleinere Klubs, die aber Mannschaften hatten, die über lange Zeit zusammengewachsen sind.“

Zur zweiten Kategorie gehörten in der Vergangenheit der 1. FC Union, Darmstadt 98 oder der 1. FC Heidenheim. Und bald womöglich auch der FC St. Pauli. Hertha ist aktuell irgendwo zwischen beiden Kategorien angesiedelt. Der Klub hat zwar den zweithöchsten Personaletat in der Zweiten Liga, ist der Konkurrenz in dieser Saison aber nicht annähernd so weit enteilt, wie es in den letzten beiden Zweitliga-Spielzeiten (2010/11 und 2012/13) der Fall war.

Damals war es fast alternativlos, dass Hertha sofort wieder aufsteigt. Das ist in dieser Saison nicht so. Pal Dardai hat sogar schon davon gesprochen, dass es womöglich drei oder vier Jahre dauere. Es geht nicht um den Aufstieg um jeden Preis; es geht darum, den Neustart in der Zweiten Liga auch dazu zu nutzen, eine neue Philosophie zu implementieren.

„Wir sind immer noch in der Phase, wo man etwas aufbaut“, sagte Dardai am Tag nach der Niederlage gegen St. Pauli. „Es wäre ein Märchen, wenn schon jetzt alles funktioniert.“ Hertha ist nach dem Abstieg unter erschwerten Bedingungen gestartet – weil lange nicht klar war, welche Spieler überhaupt dauerhaft zur Verfügung stehen. „Die ersten sechs Wochen kannst du eigentlich in die Tonne werfen“, sagte Dardai über die Vorbereitung in diesem Sommer. „Dafür stehen wir vernünftig da.“

Herthas Mannschaft ist noch immer in der Findungsphase, dazu gehören auch solche Herausforderungen wie gegen den FC St. Pauli: Wie begegnet man einer Mannschaft, die so überlegen ist, dass man ihr mit spielerischen Mitteln nicht beikommt?

„Gegen ein eingespieltes Team ist es schwierig. Die haben die Abläufe extrem drin“, sagte Kapitän Toni Leistner. „Aber wenn man vor so einer Kulisse spielt, muss man was riskieren. Wer sich da hinten einigelt und auf einen Lucky Punch wartet, der hat den Fußball nicht wirklich geliebt.“

Nach der Pause wurde Hertha mutiger. Die Mannschaft attackierte höher und riskierte mehr. Mit Leidenschaft, Wille und Laufbereitschaft könne man auch gegen einen qualitativ besseren Gegner punkten, sagte Trainer Dardai. „Wir müssen daraus lernen: Wenn der Gegner spielerisch besser ist, muss man ein bisschen mehr mit dem Körper arbeiten, aggressiver sein. Dafür muss man sich nicht schämen.“

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