zum Hauptinhalt
Bundesweit sind viele Rettungsstellen überlastet.

© dpa/Harald Tittel

„Verletzen täglich die Menschenwürde“: Personalnot, Platzmangel, Schläge – Berlin berät über Notaufnahmen

Erst am Wochenende sicherten Beamte eine Rettungsstelle. In den Krankenhäusern ist die Lage aber auch ohne Polizeieinsatz ernst. Die Politik sucht nach Antworten.

Angriffe auf Ärzte und Pflegekräfte, des Wartens überdrüssige Patienten, aus Platznot mitunter auf dem Flur erfolgte Anamnesen – die Lage in Berlins Notaufnahmen ist prekär. Erst am Wochenende sperrten Polizisten die Rettungsstelle des Urban-Krankenhauses, weil Angehörige von Verletzten aus dem Clanmilieu die Abläufe störten. Um die Notaufnahmen ging es am Montag dann im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses.

Geladen war Andreas Umgelter, Chef der Rettungsstelle der Reinickendorfer Humboldt-Klinik, die wie das Kreuzberger Urban-Krankenhaus zur landeseigenen Vivantes-Kette gehört. Die Belastungsgrenze sei überschritten, sagte Umgelter, Personal und Platz reichten nicht für eine angemessene Versorgung: „In den Notaufnahmen verletzten wir täglich die Menschenwürde.“

Rettungsdienst bei der Übergabe eines Patienten.
Rettungsdienst bei der Übergabe eines Patienten.

© imago/snapshot/R.Price

Vieles am Elend der Gesellschaft lasse sich in den Rettungsstellen ablesen. Es kämen Senioren, die keinen Termin in einer Praxis ergattern konnten, Obdachlose, Unversicherte, Suchtkranke. Zur Debatte um Bagatellfälle, die ärgerlicherweise die Kliniken belasteten, sagte Umgelter: Diese machten wohl nur fünf Prozent der Patienten aus. Von jenen Patienten aber, die aus der Notaufnahme auf eine Intensivstation verlegt werden müssten, seien zehn Prozent zu Fuß gekommen – es gebe also auch unter vermeintlich harmlosen Fällen hochgefährdete Patienten.

Da geht man hin, um gesund zu werden und nicht, um solche Erlebnisse zu haben.

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) nach dem Polizeieinsatz im Urban-Krankenhaus

Andere Ärzte bezweifeln die „fünf Prozent Bagatellfälle“, wobei es auch diesen Medizinern meist um mangelnde Steuerung der Fälle geht, also nicht um einen Vorwurf an die Patienten. Wären es nur fünf Prozent, sagte im Ausschuss etwa Christiane Wessel, könnte man die tatsächlich in den Praxen versorgen. Wessel sprach für die öffentlich-rechtliche Kassenärztliche Vereinigung, die für die ambulante Versorgung zuständig ist.

Täglich kommt die Polizei

Weitgehend Konsens war, dass der KV-Bereitschaftsdienst unter der Nummer 116 117 noch nicht bekannt genug sei, weshalb zu oft die Feuerwehr unter 112 gerufen werde.

Über den Vorfall vom Wochenende, als das Urban-Krankenhaus von Polizisten mit Maschinenpistolen gesichert wurde, sprachen die Abgeordneten nicht. Dabei hatten an der Urban-Notaufnahme „ziemlich erregte Angehörige“, wie es ein Arzt sagte, den ohnehin eng getakteten Ablauf behindert. Viele Rettungswagen mussten andere Kliniken ansteuern.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sagte dazu am Montag: „Da geht man hin, um gesund zu werden und nicht, um solche Erlebnisse zu haben.“ Die Polizei sucht nun Zeugen der blutigen Fehde, die am Wochenende in Neukölln startete.

Im Gesundheitsausschuss berichtete jedoch Petra Haar, Leiterin der Notaufnahme des Krankenhauses Hedwigshöhe, von eingeschmissenen Scheiben, maroden Bauten und brachialer Gewalt. Kürzlich habe eine Patientin einer Kollegin unvermittelt so heftig ins Gesicht geschlagen, dass sie vier Wochen ausfalle.

Warten auf Lauterbach?

Träger der Treptower Klinik ist eine Gesellschaft der katholischen Alexianerbrüder, die in Berlin zudem das St. Hedwig-Krankenhaus in Mitte führt. Nach Treptow komme drei- bis viermal die Woche die Polizei, sagte Haar, in die Klinik in Mitte zweimal täglich. Beide Krankenhäuser versorgen viele psychiatrische Patienten.

Die Fachwelt – inklusive Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) – wartet offenbar auf Karl Lauterbach. Der sozialdemokratische Bundesgesundheitsminister will eigenen Worten zufolge niedergelassene Kassenärzte und Rettungsstellen besser verzahnen: „Integrierte Notfallzentren“ sollen die Einrichtungen heißen, von denen aus die Patienten je nach Schweregrad verteilt würden. Pro 400.000 Einwohner solle es ein Zentrum geben, in dem sich an einem gemeinsamen Tresen klinisch-stationäre und ambulant tätige Ärzte befinden.

Auch in Berlin war das Lauterbach’sche Konzept mit sogenannten Portalpraxen direkt an den Kliniken zumindest schon erprobt worden. Grundsätzlich fehle aber für vieles Personal, sagte Kassenärztin Wessel, insbesondere, wenn Wochenendarbeit anstehe: Nur wenige Praxisbeschäftigte wollten solche Dienste übernehmen. Auch die meisten Kliniken suchen Fachkräfte. Mit 37 Rettungsstellen ist Berlin nur formal gut aufgestellt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false