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Sind sie die Geheimwaffe? Moore könnten Klimaschutz und Landwirtschaft revolutionieren.

© Gestaltung: Tagesspiegel/K. Schuber/Fotos: freepik

Superkraft für die Klimakrise: Wie Moore die Landwirtschaft revolutionieren könnten

Moore haben großes Potenzial: Sie könnten nicht nur als riesige CO2-Speicher dienen, sondern auch zum Geldverdienen. Ein paar Pioniere wollen zeigen, wie.

Aldert van Weeren bemüht sich um Gleichgewicht. In schwarzen Gummistiefeln wankt er durchs Moor, vorbei an Schilf und Rohrglanzgras. Er hat ein festes Ziel: Eine Rohrkolbenpflanze, 1,50 Meter hoch, grün, schmal und mit einer Blüte, die von Weitem aussieht, als hätte man eine braune Mohrrübe über einen Stängel gestülpt. Mit dieser Pflanze will van Weeren eine Revolution starten.

Die Moorlandschaft, durch die der Holländer watet, hier im Nationalpark Unteres Odertal, in Brandenburg, an der Grenze zu Polen, ist ein ganz schöner Klimaschützer. Hier lagern mehrere Tonnen CO2 in der Erde. Denn Moorböden sind riesige Kohlenstoffspeicher, Deutschland hat davon rund 1,8 Millionen Hektar.

Auch die Politik hat das Potenzial erkannt

Das Problem: 95 Prozent von ihnen sind trockengelegt. Der Mensch machte aus ihnen Kuhweiden und Acker. Und aus Boden, der Klima schützt, stattdessen einen, der dem Klima schadet. Denn kommt das Torf im Moorboden mit der Luft in Berührung und verbrennt, wird das eingespeicherte CO2 freigesetzt. Hinzu kommt: Die landwirtschaftliche Nutzung der Moore ist ebenfalls treibhausgasintensiv.

Van Weeren möchte das ändern. „Eine klimaneutrale Landwirtschaft ist möglich, wenn wir die Moore wiedervernässen“, sagt er. Denn er glaubt: Mit den Landschaften lässt sich nicht nur CO2 speichern, sondern auch Geld verdienen. Mit seinem Rohrkolben etwa, der jetzt vor ihm aus dem Boden ragt. Der Rohrkolben eignet sich unter anderem zur Gebäudedämmung.

Aldert van Weeren und der Rohrkolben. Der Moor-Experte glaubt fest daran, dass man mit Nassmoorpflanzen Landwirtschaft betreiben und Geld verdienen kann.
Aldert van Weeren und der Rohrkolben. Der Moor-Experte glaubt fest daran, dass man mit Nassmoorpflanzen Landwirtschaft betreiben und Geld verdienen kann.

© Armin Lehmann / Der Tagesspiegel

Für sein Anliegen gibt es prominente Unterstützer in Berlin und Brüssel. In Zeiten der Klimakrise hat auch die Politik das Potenzial der Moore entdeckt. Paludikultur nennen sie das, vom lateinischen Wort palus: Sumpf, Morast. Dahinter steckt genau das, woran sich van Weeren versucht: die land- und forstwirtschaftliche Nutzung nasser Moore.

Die Bundesregierung hat dafür 2021 eine eigene Moorstrategie aufgesetzt. Auf EU-Ebene ist Paludikultur ein Puzzlestein des „Green Deals“, dem großen Plan, Europa bis 2045 klimaneutral zu machen. Aber wie immer, wenn es um Transformation geht, wird heftig gestritten.

Soll man ein bestehendes System – die auf trockengelegten Mooren betriebene Landwirtschaft – wegen der Klimafolgen verändern? Wie tariert man dabei die Interessen von Bauern, Landwirten, Großgrundbesitzern mit Naturschutz und Wirtschaft aus? Damit Landwirte aus ihren Kuhweiden nasse Moore machen, brauchen sie die Aussicht, damit Geld verdienen zu können.

Seit der Wende entwickeln sich die „Ungeheuerwiesen“ zwischen dem Königsgraben und der Fresdorfer Heide im Nuthetal allmählich zum Moor zurück.
Seit der Wende entwickeln sich die „Ungeheuerwiesen“ zwischen dem Königsgraben und der Fresdorfer Heide im Nuthetal allmählich zum Moor zurück.

© Peter Koch

Wie schwierig dieses Austarieren ist, zeigte sich erst kürzlich im EU-Parlament: In Brüssel wollte man die Wiedervernässung von Mooren im Gesetz zur Renaturierung verankern. Das Vorhaben scheiterte vorerst am Widerstand der konservativen Fraktionen, die um landwirtschaftliche Flächen und Nahrungsmittelversorgung fürchten. Sie hatten gefordert, den entsprechenden Artikel aus dem Renaturierungsgesetz zu streichen. Mit ihm wären die Chancen, dass Moorvernässung staatlich gefördert wird, deutlich gestiegen.

Es gibt Staaten, die gezeigt haben: politischer Wille macht es möglich. Indonesien hatte sehr viele trockengelegte Moore. Die Flächen dienten zum Palmenölanbau. 2015 war das Land weltweit für die höchsten Treibhausgasemissionen verantwortlich, weil riesige Moorflächen brannten. Daraufhin ordnete die Regierung die Wiedervernässung an. Innerhalb von nur drei Jahren hat das Land mehr Moore vernässt als die gesamte EU bisher zusammen.

Die Moor-Transformation ähnelt dem Kohleausstieg

Die Paludikultur ist ein Beispiel dafür, wie gesellschaftliche Transformationen ablaufen können – langsam, holprig oder womöglich am Ende gar nicht. Die Moor-Transformation ist in etwa so kompliziert wie der Kohleausstieg. Landwirte, die etwa mit Viehwirtschaft Geld verdienen, wollen von der Transformation im Moment noch so wenig wissen wie einst die Kohlekumpels von Zechenstilllegungen. Sie sagen sinngemäß: Wir brauchen Geld und Sicherheit, Paludikultur bringt derzeit nur Risiken.

Eine klimaneutrale Landwirtschaft ist möglich, wenn wir die Moore wiedervernässen.

Aldert van Weeren, Moorexperte

Agrar-Juristen fordern deshalb eine Moorschutzkommission wie beim Kohleausstieg, die die sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte gesetzlich verbindlich macht. Auf der anderen Seite gibt es bereits Verbindlichkeiten: Die EU muss nicht nur die Klimaziele von Paris umsetzen, sondern auch 30 Prozent der Land- und Seeflächen renaturieren. Das wurde auf der Biodiversitätskonferenz 2022 in Montreal beschlossen.

2015 änderten große Brände auf trockengelegten Moorböden in Indonesien die Politik im Sinne des Moor- und Klimaschutzes.
2015 änderten große Brände auf trockengelegten Moorböden in Indonesien die Politik im Sinne des Moor- und Klimaschutzes.

© Rony Muharrman/dpa

Moore sind für die allermeisten Menschen negativ besetzt. Sie standen für Ödnis, Gefahr, Tod. Jahrhundertelang haben Menschen versucht, sie trockenzulegen, um die Erde bewirtschaften zu können. Jan Peters sagt: „Das Trockenlegen war eine große Leistung.“ Und jetzt müsse man den Menschen sagen, dass das, was einst gut gewesen sei, aus heutiger Sicht sehr klimaschädlich ist.

95
Prozent der 1,8 Millionen Hektar Moorböden in Deutschland sind trockengelegt

In Deutschland machen trockengelegte Moore nur sieben Prozent der landwirtschaftlichen Fläche aus, sind aber für mehr als 40 Prozent der Emissionen in der landwirtschaftlichen Landnutzung verantwortlich. 53 Millionen Tonnen Treibhausgase setzen sie jährlich frei – 7,5 Prozent der deutschen Emissionen.

Jan Peters ist eine Art Chef-Lobbyist für nasse Moore - eigentlich aber Geschäftsführer der Succow-Stiftung. Diese hat mit der Universität Greifswald und dem Verein Duene auch das „Greifswald Moor Centrum“ gegründet, das die weltweit renommiertesten Moor-Experten beschäftigt. Er ist sich sicher: „Mit nassen Mooren kann man Geld verdienen.“

Jan Peters ist Geschäftsführer der Succow-Stiftung, die gemeinsam mit der Universität Greifswald auch das Greifswald Moor Centrum gegründet hat.
Jan Peters ist Geschäftsführer der Succow-Stiftung, die gemeinsam mit der Universität Greifswald auch das Greifswald Moor Centrum gegründet hat.

© Succow-Stiftung

Landwirte wiederum, mit denen Peters spricht, sind skeptisch und meiden das Thema. Wenn sie mal fragen, dann sehr konkret: „Wie verdiene ich Geld? Gibt es Fördertöpfe?“ Schon wird es kompliziert.

Denn ständig stoßen neue Wirtschaftlichkeit und altes Naturschutzverständnis aufeinander. So könne ein für die Wiedervernässung notwendiges Bodenordnungsverfahren, sagt Peters, zehn Jahre dauern. Bestimmte Nasspflanzen, die man im vernässten Moor anbauen kann, gelten wiederum nicht als Agrarpflanzen. Ihre landwirtschaftliche Nutzung wird, anders als etwa die Milchwirtschaft, nicht vom Staat gefördert. Manchmal wird sie gar untersagt, weil sie als schützenswerte Biotope gelten.

Kann man mit nassen Mooren Geld verdienen?

Dabei kann man auf Moorboden ganz schön viel machen. Blumenerde zum Beispiel. Denn über Jahre und Jahrhunderte entsteht in nassen Hochmooren Torf. In trockengelegten Mooren wird er abgebaut wie in einem Kohletagebau. Irgendwann sind die Vorräte erschöpft und das Land ist vertrocknet, hat aber große Mengen Treibhausgase emittiert.

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Mit Paludikultur ließe sich Ersatztorf herstellen, indem man das Torfmoos anbaut und nass erntet. Das „Greifswald Moor Centrum“ hat berechnet, dass die deutsche Nachfrage an Weißtorf schon auf 40.000 Hektar Land befriedigt werden könnte – eine Fläche, sechsmal kleiner als das Saarland.

Die Klimawende hat deshalb auch Goldgräberstimmung entfacht. In einem Café in Berlin-Friedenau erzählt Lucas Gerrits von einem Geschäftsmodell, das auf diesen Ersatztorf setzt. Gerrits, der aus der Unternehmens- und Politikberatung kommt, ist Geschäftsführer des Start-ups „ZukunftMoor“. Er sagt: Die Torf- und Erdenindustrie habe bereits großes Interesse.

Auf der Suche nach dem großen Geld: Lucas Gerrits, Geschäftsführer des Start-up ZukunftMoor.
Auf der Suche nach dem großen Geld: Lucas Gerrits, Geschäftsführer des Start-up ZukunftMoor.

© Privat/Zukunftmoor

Denn die vertrockneten Moore geben nicht mehr genug her. Schon jetzt muss der Torf in sehr großen Mengen etwa aus Osteuropa importiert werden. Eine deutsche Alternative, die zudem noch klimafreundlich ist, könnte für ansässige Unternehmen deshalb durchaus interessant sein.

Lucas Gerrits rechnet vor, dass sein Unternehmen bei geeigneten Flächen in „acht Jahren rentabel ist“ – ähnlich wie ein Weinbetrieb. Er sagt auch: Man könne damit vielfach so viel verdienen wie ein konventioneller Landwirt. Den genauen Verdienst pro Hektar will er allerdings nicht verraten.

Was die Landwirte nicht kennen, machen sie nicht.

Lucas Gerrits, Geschäftsführer ZukunftMoor

Er ist deshalb ständig unterwegs, um in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein passende Flächen zu finden, zu kaufen oder zu pachten. Das sei gar nicht einfach, man müsse sehr viel reden, sagt er. „Was Landwirte nicht kennen, machen sie nicht.“ Und viele glauben eben erst an die Idee mit dem Moor, wenn ihnen jemand großflächig bewiesen hat, dass es geht.

So verteilen sich die Moorflächen im Bundesgebiet.
So verteilen sich die Moorflächen im Bundesgebiet.

© Tsp/Bartel | Quelle: Greifswald Moor Centrum

Um ihnen das zu beweisen, bräuchte Gerrits wiederum Flächen. Denn: Mit einer großen Fläche ließe sich auf Masse produzieren, in der Masse kann sein Produkt rentabel sein. Würde der Staat den Kauf oder Verkauf trockengelegter Moore für Paludikultur gezielt fördern, wäre das ein Anreiz für Landwirte.

Den Pionieren fehlen – noch – die Investoren

Das gilt für Torf genauso wie für andere Produkte, die aus dem Moor entstehen können. Aldert van Weerens Rohrkolben zum Beispiel, als Material zum Dämmen und Tragen von Gebäuden. Die Bauindustrie verbaut zu 90 Prozent und zu hohen Preisen Zement, Styropor, Polyurethan und Dämmschäume, die oft aus Erdöl hergestellt sind. Fast alles ist klimaschädlich. Könnte der Rohrkolben hier etwas verändern?

Anruf bei Martin Theuerkorn, Architekt und Denkmalpfleger. Der 78-Jährige hat vor 35 Jahren vermutlich als Erster die Fähigkeiten des Rohrkolbens entdeckt. Zusammen mit dem Fraunhofer Institut für Bauphysik hält er Patente für die Produktion. Theuerkorn ist „vollkommen davon überzeugt“, dass der Rohrkolben „den Baustoffmarkt nachhaltiger machen kann“. An einzelnen Häusern hat er es schon erfolgreich getestet.

Doch genau wie den Pionieren van Weeren und Gerrits fehlen auch Theuerkorn und den Wissenschaftlern von Fraunhofer noch die Geldgebern, mit deren Hilfe sie ihre Idee industriell aufziehen könnten.

Zu Hause bei sich in Vorpommern hat van Weeren Erfahrungen mit dem Rohrkolben gesammelt. Im Anklamer Stadtbruch nahe der Insel Usedom nutzt er das Moor wirtschaftlich und erntet Rohrkolben. Möglichst bald will er das auch in Brandenburg machen, in dem Moor, durch das er gerade stapft. Es soll ein Pilotprojekt werden, dessen Konzept auf landwirtschaftlich genutzte Flächen übertragen werden soll. Raus aus dem Moor steigt van Weeren ins Auto und fährt ein paar Kilometer weiter in ein Industriegebiet. Dort will er, wie er sagt, „einen wichtigen Partner“ treffen.

Wir wollen beweisen, dass neues Wirtschaften nachhaltig sein kann.

Richard Hurding, Designer und Naturfaseringenieur

Kurz darauf steht der Holländer in einer riesigen Produktionshalle, zehn Meter hoch, so lang und breit wie ein Fußballfeld. Es riecht nach Heu, nur süßlicher: der Duft des Rohrkolben. In der Halle laufen zwei Maschinen. Sie gehören Richard Hurding, der aus Schottland stammt und in Glasgow Design an der Kunsthochschule studiert hat. Mittlerweile ist er eine Art Naturfaseringenieur, ein ruhiger Mann, der wenig Worte macht, aber hartnäckig seine Ziele verfolgt. Genau so jemanden hat van Weeren gesucht.

Zwei fürs Moor: Richard Hurding (rechts) und Aldert van Weeren in der Fabrikhalle bei Schwedt, in der Rohrkolben zu Platten gepresst werden.
Zwei fürs Moor: Richard Hurding (rechts) und Aldert van Weeren in der Fabrikhalle bei Schwedt, in der Rohrkolben zu Platten gepresst werden.

© Armin Lehmann / Der Tagesspiegel

Mit Hurdings Firma Zelfo Technology und deren Partnern soll ein Pilotprojekt mit dem Namen „Reallabor“ umgesetzt werden - ein wirtschaftliches Moorprodukte-Zentrum sozusagen. Auch Richard Hurding sagt: „Wir wollen beweisen, dass neues Wirtschaften nachhaltig sein kann.“

Er zeigt erst die Pflanzenbrösel aus dem Rohrkolben in verschiedenen Stärken, danach die Produkte nach der Verpressung: Möbelplatten, Verpackungen, schwarze Kacheln aus Schlamm.

Bisher, sagt Hurding, habe er nur geistiges Eigentum verkauft. Unternehmen zahlen ihm Geld dafür, dass er an nachhaltigen Lösungen mit pflanzlichen Stoffen experimentiert, für Verpackungen zum Beispiel. Dann stand irgendwann der „verrückte Holländer“, wie Hurding van Weeren nennt, mit seinem Rohrkolben in der Halle. Jetzt sind beide von sich und der Idee begeistert, ein industrielles Modellabor für Paludikultur zu schaffen.

Die mögliche Moorfläche liegt vor der Tür – allerdings in einem Naturschutzgebiet. Als Aldert van Weeren noch im Moorfeld stand und erklärte, warum die weißen Samenschirme des Rohrkolbens so gut dämmen, zeigte er mit den Armen übers Feld und rief: „Wir sind doch nicht bekloppt. Alles voll mit nachwachsenden Rohstoffen“. Aktuell verbaut die Industrie aber noch lieber Styropor.

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