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Tintenfische können mit Farbveränderungen Gefühle signalisieren.

© IMAGO/Shotshop/IMAGO/Addictive Stock

Wildwechsel: Darf man mit Kopffüßern experimentieren?

Sind Menschen intelligent genug, um andere Arten von Intelligenz zu erkennen? Und sollten sie nur Tiere human behandeln müssen, bei denen sie fündig wurden? Ein Appell für einen umfassenderen Ansatz

Eine Kolumne von Patrick Eickemeier

Paul war Profi, Medienprofi. Vor die Wahl zwischen zwei Behältern gestellt entschied sich der Oktopus zuverlässig für den, der mit der Flagge des Landes gekennzeichnet war, dessen Fußballmannschaft siegreich aus der Partie gegen die des anderen Landes – vertreten mit Flagge auf dem anderen Behälter – hervorgehen sollte.

Während der Fifa-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika wurde Paul weltberühmt, weil er bei acht von acht Versuchen (den sieben Spielen der deutschen Mannschaft sowie dem Finale) richtig lag. Bei der vorausgegangenen Europameisterschaft irrte Paul, auch bekannt als „Kraken-Orakel“ und, nun, „Okrakel“, zweimal, bei sechs Anrufungen.

Konnte Paul in die Zukunft sehen? Oder entschied er nach höherem Fußballsachverstand? Auf beides gibt es keine handfesten Hinweise. Paul war ein Gewöhnlicher Krake (Octopus vulgaris). Als solcher stellt er Menschen aber durchaus vor Fragen, die sie nicht sicher beantworten können. Sie lassen sich zusammenfassen: Wie klug sind Kopffüßer?

Paul wurde als tierischer Fußballexperte weltberühmt.
Paul wurde als tierischer Fußballexperte weltberühmt.

© IMAGO/Funke Foto Services/IMAGO/Fabian Strauch

Diese Frage lässt sich derzeit vor allem deshalb nicht beantworten, weil verschiedene relevante Aspekte noch erforscht werden. (Fußballsachverstand gehört nicht dazu.) Aber Menschen könnten in intelligenter Voraussicht entscheiden, Kopffüßer nicht mehr ohne gesonderte Prüfung des Vorhabens in Tierversuchen einzusetzen. In den USA erwägt das die Gesundheitsbehörde NIH.

Nun werden auch andere intelligente Tiere für Versuche eingesetzt, etwa verschiedene Arten von Affen. In den USA entscheidet dann eine institutionsansässige Ethikkommission, ob die Forschung die Versuche erfordert. Nur dann kann sie mit föderalen Geldern gefördert werden.

Großflossen-Riffkalmare sind (Sepioteuthis lessoniana), hier im Roten Meer aufgenommen, sind geschickte Meeresräuber, als Bewohner offenen Wassers nicht für die Beckenhaltung geeignet.
Großflossen-Riffkalmare sind (Sepioteuthis lessoniana), hier im Roten Meer aufgenommen, sind geschickte Meeresräuber, als Bewohner offenen Wassers nicht für die Beckenhaltung geeignet.

© imago stock&people/imago stock&people

In Versuchslaboren sind Kopffüßer Exoten. In Deutschland wurden im Jahr 2021 nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung 57 eingesetzt – im Vergleich zu über 130.000 Ratten und rund 1,3 Millionen Mäusen. Doch das Nervensystem der wirbellosen Weichtiere erregt zunehmend Forschungsinteresse, weil es leistungsfähig und dabei so anders aufgebaut ist als das von Wirbeltieren. Gut so. Und wenn Tiere getötet werden, von den 57 Kopffüßern 2021 waren es zehn, kann das auch vertretbar sein – es sollte jedoch im Vorhinein erwogen werden.

Paul hat seine Versuche – ohnehin eher Showeinlagen mit Muschelbelohnung – hinter sich. Er ist nicht unwillig, bei der kommenden Heim-EM Spielprognosen zu liefern. Das Tier starb im Herbst 2010. Es sei „sanft“ entschlafen, teilte das Sealife-Aquarium in Oberhausen mit. Was ihm zuletzt durch den Kopf ging, wissen wir nicht.

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