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Der Maßregelvollzug auf dem Gelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik.

© picture alliance/dpa/Jörg Carstensen

Exklusiv

Klinik für psychisch kranke Straftäter : Berlin und Brandenburg erwägen Zusammenarbeit beim Maßregelvollzug

Nicht nur das Berliner Krankenhaus des Maßregelvollzugs ist überlastet. Senatorin Czyborra und Ministerin Nonnemacher plädieren dafür, über die Landesgrenzen hinaus zu kooperieren.

In der Debatte um den Berliner Maßregelvollzug plädiert Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) dafür, auch völlig neue Modelle zu prüfen. Langfristig sei eine gemeinsam mit Brandenburg betriebene Anstalt sinnvoll. Im Krankenhaus des Maßregelvollzugs (KMV) werden psychisch kranke oder schwer abhängige Straftäter untergebracht, die Spezialklinik ist seit Jahren überlastet.

„Die Anstalt ist überwiegend in der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik untergebracht“, sagte Czyborra dem Tagesspiegel. „Das Gebäude wurde 1880 erbaut. Egal wie viel Geld wir fordern, eine moderne Psychiatrie wird daraus nicht. Und wenn ein Neubau sinnvoller ist, dann sollten sich Berlin und Brandenburg abstimmen. Ich plädiere für ein Areal mit moderner Ausstattung am Stadtrand.“

Knapp 550 Plätze, aber fast 620 Insassen

Auch die Brandenburger Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher spricht sich dahingehend für eine Zusammenarbeit aus. „Auch in Brandenburg ist der Druck auf den Maßregelvollzug groß“, sagte die Grüne-Politikerin dem Tagesspiegel. „Erweiterungsbauten in Brandenburg sind bereits geplant. Auch ich bin dafür, die Zusammenarbeit gemeinsam mit den Justizressorts beider Länder auszubauen.“

Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs, das neben dem alten Karl-Bonhoeffer-Areal in Reinickendorf noch über einen Standort in Buch verfügt, ist überbelegt. Zuletzt waren dort 549 stationäre Betten genehmigt, aber 619 Patienten untergebracht. Die Spezialklinik soll ausgebaut und saniert werden, kürzlich kamen in Reinickendorf zwölf Behandlungsplätze hinzu. In Lichtenrade im Berliner Süden wird zudem ein dritter Hauptstandort eingerichtet. Dort könnten circa 80 Plätze entstehen. Die Kosten – mindestens 53 Millionen Euro – waren im Haushaltsentwurf enthalten.

Gewalttäter wegen Platznot entlassen

Aus Justizkreisen heißt es, das alles werde schon in wenigen Jahren nicht ausreichen. Juristen beobachten einen Trend, wonach drogenaffine, aber nicht explizit süchtige Angeklagte statt in reguläre Haft lieber in den Maßregelvollzug wollten. Fast wöchentlich werden Angeklagte in Berlin zu Maßregelvollzug statt regulärem Gefängnis verurteilt.

Es fehlt neben Räumen stets auch Personal. In diesem Sommer waren zwischenzeitlich fast 100 Pflegekräfte und Ärzte weniger als einst vorgesehen im Einsatz. Für Insassen fallen deshalb regelmäßig Therapiesitzungen aus.

Der Berliner Maßregelvollzug hatte im zuletzt vor der Wiederholungswahl im Winter 2023 bundesweit Aufsehen erregt. Ein 2021 wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung zu sieben Jahren Haft verurteilter Mann eines einschlägig aktiven Clans war wegen der Überbelegung vorübergehend entlassen worden.

Die damalige Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) und die seinerzeit amtierende Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) stritten über den Umgang mit der Krise im KMV. Gotes Vorlage für Ad-hoc-Maßnahmen in dem Krankenhaus reichten der Senatskanzlei im Roten Rathaus nicht. Zuvor machte der Tagesspiegel öffentlich, dass das Präsidium des Landgerichts befürchtet, dass die Missstände im Maßregelvollzug zu der rechtlichen Einschätzung führen könnten, dass dort eine „ausreichende Behandlung von Untergebrachten nicht gewährleistet ist“. Dies könne zur Folge haben, dass viele der „für die Allgemeinheit gefährlichen Untergebrachten“ zunächst frei kämen.

Beschäftigte des KMV hatten in Brandbriefen vor zunehmenden Gewalttaten der in der Klinik untergebrachten Täter gewarnt. In allen Bundesländern ist der Maßregelvollzug überlastet. Derzeit arbeiten die zuständigen Ministerien an einer Reform der entsprechenden Paragrafen. Eine Forderung aus der CDU war es, dass der Maßregelvollzug nicht als „Regelunterbringung“ missbraucht werde.

Cannabis, Kliniken und Kassenärzte – lesen Sie hier das ganze Doppel-Interview mit Berlins Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) und Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne).

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