zum Hauptinhalt
29.08.2022, Berlin: Einer der Angeklagten sitzt im Gerichtssaal des Kriminalgerichts Moabit hinter ihrern Anwälten und verdeckt sein Gesicht. Hier begann der Prozess gegen insgesamt fünf Männer. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderen vor, spätestens im Januar 2017 beschlossen zu haben, Brandanschläge auf die Autos zweier Männer zu verüben, die sich politisch gegen Rechtsextremismus engagieren. In der Nacht zum 1. Februar 2018 sollen sie im Bezirk Neukölln die Autos angezündet und dadurch beschädigt haben. Die Vorwürfe lauten Bedrohung, Brandstiftung beziehungsweise Beihilfe dazu, Sachbeschädigung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Mit der Anschlagsserie befasst sich auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Foto: Christian Ender/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa / Christian Ender

Update

„Wir werden nicht vorschnell resignieren“: Berliner Generalstaatsanwaltschaft prüft Berufung gegen Teilfreispruch im Neukölln-Prozess

Tilo P. wurde im Prozess nach der Serie rechtsextremer Straftaten in Neukölln teils freigesprochen. Die Generalstaatsanwaltschaft prüft nun, ob sie Berufung einlegt.

| Update:

Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft prüft, ob sie Berufung gegen den Teilfreispruch eines Neonazis aus Neukölln einlegt. Die Anklage sei das Ergebnis „umfangreicher und komplexer Ermittlungen“ gewesen, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Dirk Feuerberg der „Welt“. „Dementsprechend werden wir auch nicht vorschnell resignieren, sondern schauen, ob es berechtigte Gründe für ein Berufungsverfahren gibt“, sagte der stellvertretende Behördenleiter. Zunächst werde er die schriftliche Urteilsbegründung abwarten.

Das Amtsgericht Tiergarten hatte am Donnerstag im Prozess nach einer Serie rechtsextremer Straftaten in Neukölln den Neonazi Tilo P., neben Sebastian T. einer der beiden Hauptangeklagten, vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen. Es verurteilte den 39-Jährigen lediglich wegen Sachbeschädigung in neun Fällen, davon in drei Fällen wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, zu einer Geldstrafe von 4500 Euro (150 Tagessätze zu je 30 Euro).

Dirk Feuerberg, Vertreter der Generalstaatsanwältin in Berlin und Leiter der Abteilung Staatsschutz, Terrorismus und Extremismus

© Foto: GStA/Mona Lorenz

„Wir sehen es zunächst einmal als Erfolg an, dass nach einem langen und wechselhaften Weg ein Gericht mit der Sache befasst war, auch wenn wir uns ein anderes Ergebnis gewünscht hätten“, sagte Feuerberg. Die Anklageerhebung an sich sei kein Befreiungsschlag gewesen, „sondern die konsequente Umsetzung der Ergebnisse wirklich umfangreicher und komplexer Ermittlungen, bei denen wir jeden Stein umgedreht haben“.

Polizei und Justiz hätten in diesen Fall mehr investiert als in jedes andere Verfahren mit ähnlichen Taten. Leider lägen die Aufklärungsraten bei solchen Brandstiftungen generell im einstelligen Prozentbereich.

Wir haben das Instrumentarium weiter ausgebaut.

Dirk Feuerberg, Vertreter der Generalstaatsanwältin in Berlin, zur Verfolgung von Neonazi-Taten

Das Gericht stellte zwar eine rechte Gesinnung bei P. fest – und dass er mit dem 36-jährigen T. politische Gegner ausspionierte. Es sei aber nicht festzustellen, dass er sich in der Nacht zum 1. Februar 2018 in der Nähe der Tatorte aufgehalten habe. 

In jener Nacht waren in Neukölln die Autos von zwei Männern in Flammen aufgegangen, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten, darunter der Wagen des Linken-Politikers Ferat Koçak. Aus Sicht der Generalstaatsanwaltschaft war das ein Einschüchterungsversuch. Der Prozess gegen T. wird im Januar fortgesetzt, ihm wird auch Betrug mit Coronahilfen und Sozialleistungen vorgeworfen.

Neue rechte Chatgruppen von Berliner Polizisten entdeckt

Feuerberg signalisierte, dass die Behörden die Neonazis weitaus stärker im Visier haben als in früheren Jahren. Der Verfolgungsdruck habe „für derartige Menschen nicht ab-, sondern massiv zugenommen“, sagte er. „Wir haben das Instrumentarium weiter ausgebaut und werden dies auch fortsetzen.“ Auch wenn nie hundert Prozent aller Taten aufgeklärt werden könnten: „Grund für Optimismus besteht für diese Leute wirklich nicht.“

Der Neuköllner Grünen-Abgeordnete André Schulze, der im Neukölln-Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses sitzt, sieht weiter Aufklärungsbedarf im Neukölln-Komplex mit mehr als 70 Straftaten, darunter über 20 Anschläge auf Autos. Schulze meldete sich zu Wort, weil einen Tag nach dem Urteil neue Polizei-Chatgruppen mit rechten Parolen und fremdenfeindlichen Sprüche bekannt wurden.

Wegen der neu entdeckten Chats ermittelt das Landeskriminalamt gegen 62 Beamte. Strafbar seien die Nachrichten, Bilder und Karikaturen wohl nicht, Verstöße gegen Beamtenvorschriften und Dienstverfahren aber möglich. Auch von diesen Chats führen die Spuren zum Neukölln-Komplex.

Begonnen hatte alles mit vier Berliner Polizisten in der Chatgruppe „Eierköppe“: Einer davon, Detlef M., war in der AfD und dort verbandelt mit Tilo P. Auf die Chats stießen die Ermittler, als sie Beweismittel des Verfahrens zu den „Eierköppen“ auswerteten. Diese waren im Juli 2021 im Rahmen von Durchsuchungen bei vier Polizeibeamten beschlagnahmt worden. Gegen die vier Beamten war wegen Volksverhetzung und des Verwendens von verfassungsfeindlichen Symbolen ermittelt worden.

Den „Eierköppen“ und dem Polizisten Detlef M., einst Wachleiter in Treptow-Köpenick, war die Polizei wiederum in den durchsuchten Daten des Neonazis Tilo P. auf die Spur gekommen. M. und andere „Eierköppe“ sollen auch Mitglieder in den nun aufgedeckten Chatgruppen gewesen sein. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false