zum Hauptinhalt
Offiziell Verbündete, politisch inzwischen Todfeinde: US-Präsident Joe Biden und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu.

© imago/UPI Photo/imago stock&people

USA drohen mit Waffenstopp: Biden stößt an die Grenzen seiner Solidarität mit Israel

Mit dem Protest des US-Präsidenten gegen Netanjahus Rafah-Offensive wächst auch der Druck auf Deutschland, seinen Umgang mit dem Kriegsverlauf zu überdenken.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Diese Botschaft ist unüberhörbar wie ein Donnerhall. US-Präsident Joe Biden droht Israels Premier Benjamin Netanjahu nicht nur mit einem Lieferstopp für bestimmte amerikanische Waffen. Sein Verteidigungsminister Lloyd Austin bestätigt parallel, dass Biden die Drohung bereits wahr gemacht hat. Er hielt kürzlich 3500 schwere Bomben zurück.

Der öffentliche Eklat ist ein Einschnitt in den Beziehungen der USA zu Israel, auf den viele seit Wochen gehofft hatten. Die Bilder der Zerstörungen im Gazastreifen, der Getöteten und Verwundeten, der Ausweglosigkeit für Hunderttausende hilflos herumirrende Zivilisten sind immer schwerer zu ertragen.

Biden protestiert sichtbar vor aller Welt gegen die Ausweitung der Offensive, die Netanjahu gegen die Terrororganisation Hamas in Rafah plant. Und legt zugleich offen, vor welch schwierigen Abwägungen er in den brutalen Realitäten des Palästinakonflikts tagtäglich steht.

Israels Sicherheit versus Rechte der Palästinenser

Denn die Prinzipien, auf die sich die USA – und auch Deutschland ­– in ihrer Nahostpolitik berufen, geben keine eindeutige Handlungsanweisung. Das Recht Israels auf Sicherheit und die Grundrechte der Palästinenser geraten in Widerspruch zueinander. Auch das spricht Biden offen aus.

Mit seiner Klarstellung wächst der Druck auf die Bundesregierung, ihren Umgang mit dem Kriegsverlauf ebenfalls zu überdenken. Und zu erklären. Wo verläuft für Deutschland die Grenze zwischen dem unbedingten Eintreten für die Sicherheit Israels, die mehrere Bundeskanzler als Konsequenz aus dem Holocaust zur deutschen Staatsräson erklärt haben, und der Selbstverpflichtung zu einer Politik, die sich an den Menschenrechten orientiert?

Die Solidarität der USA mit Israel und die militärische Hilfe in seinem Existenzkampf seien „eisenhart“, sagt Biden. Aber wenn Netanjahu amerikanische Waffen dazu nutzen wolle, dicht besiedelte Bevölkerungszentren anzugreifen, dann „geben wir ihnen diese Unterstützung nicht“.

Keine Bomben für Angriff auf Stadtzentren

Auf den ersten Blick klingt es wie ein Widerspruch. Biden bekräftigt die unbedingte Solidarität mit Israel, sagt aber zugleich, dass sie Grenzen hat und an Bedingungen geknüpft ist. Am Beispiel Rafah erklärt er die praktischen Folgen seiner Abwägung: Amerika wendet sich nicht ab von der Sicherheitsgarantie für Israel. Aber die USA entziehen Netanjahu die Fähigkeit, mit US-Bomben und US-Artilleriemunition Stadtzentren zu zerstören.

Warum kam dieser Einschnitt nicht früher? Warum erst jetzt, da ein Großteil des Gazastreifens ein Trümmerhaufen ist und mehr als 34.000 Menschen getötet wurden?

Der Eklat wurde unvermeidlich, weil Netanjahu zu weit gegangen ist. Er macht sich zu einer Gefahr für Bidens politische Existenz. Seit dem Terrorangriff vom 7. Oktober verfolgt Israel das berechtigte Ziel, die Hamas zu vernichten: ihre Kämpfer, ihre Infrastruktur, ihre Waffenvorräte.

Biden will den Krieg beenden

Da die aber in einem dicht besiedelten Gebiet versteckt sind, muss Israel bei seinem Vorgehen sorgfältig abwägen zwischen militärischem Nutzen und der Verschonung der Zivilbevölkerung. Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird diese Rechtfertigung.

Deshalb muss der Gazakrieg zügig zu einem Ende gebracht werden – auch um den Preis, dass die Hamas einen Teil ihrer Kämpfer, ihrer Infrastruktur und Waffenvorräte retten kann.

Netanjahu nährt jedoch den Verdacht, dass es ihm in Rafah nicht um Israels Sicherheit geht, sondern um eine mutwillige Verlängerung der Kämpfe. Er fürchtet, dass ihm nach Kriegsende die Absetzung als Regierungschef droht.

Biden hingegen braucht ein rasches Kriegsende, um den Protesten in den USA gegen seine angeblich zu große Israel-Treue zu begegnen. Diese Kritik wird zwar nur von einer Minderheit der US-Wähler geteilt. Aber sie könnten wahlentscheidend sein, wenn sie im November immer noch so aufgebracht sind, dass sie Biden die Stimme verweigern.

Und Deutschland? Kanzler Olaf Scholz orientiert sich in internationalen Konflikten eng an Joe Biden, zum Beispiel bei der Militärhilfe für die Ukraine. Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock können sich an Biden ein Beispiel für eine ähnliche Klarstellung nehmen. Deutschland steht unbedingt für Israels Existenzrecht ein und liefert dafür deutsche Waffen. Nicht aber für die Zerstörung von Stadtzentren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false