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Polen Regierungschef Mateusz Morawiecki in Heidelberg mit Winfried Kretschmann (links), Baden-Württembergs Ministerpräsident, und dem Rektor der Universität Heidelberg, Bernhard Eitel.

© dpa/Uwe Anspach

Update

Kampfansage an Macron und Scholz: Polens Premier Morawiecki hält Europarede in Heidelberg

Polen will eine andere EU als Frankreich oder Deutschland: mehr nationale Rechte, Erweiterung ohne Vertiefung, nationales Vetorecht statt Mehrheitsentscheidungen.

| Update:

Die Europarede, die Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Montag an der Universität Heidelberg gehalten hat, skizziert einen Gegenentwurf zu den Reden des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an der Sorbonne 2017 und des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz an der Karls-Universität in Prag im August 2022 über die Zukunft der EU.

Damit stellt sich erneut die Frage: Haben die Europäer eine gemeinsame Zielvorstellung? Morawiecki sprach Englisch. Hier eine deutsche Übersetzung, die die Polnische Botschaft nachträglich zur Verfügung stellte.

Für Morawiecki liegt die Stärke der EU in der Souveränität ihrer Mitgliedstaaten und in den nationalen Unterschieden. „Wir teilen gemeinsame Werte, aber jede Nation hat ihre eigene Identität.“

Weniger Macht für die EU in Brüssel

Eine Vertiefung im Sinne der Übertragung von mehr Kompetenzen und Entscheidungen nach Brüssel lehnt er ab. Er fordert das Gegenteil: eine Rückübertragung von Zuständigkeiten an die Nationalstaaten. „Lasst uns die Bereiche unter EU-Kompetenz reduzieren. Dann wird auch eine Union mit 35 Mitgliedern handlungsfähiger und demokratischer.“

Polens Premier ist gegen eine Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen. Er hält an der Einstimmigkeit als Prinzip fest. De facto gibt sie jeder Regierung die Möglichkeit, gemeinsame Beschlüsse zu verhindern.

Macron und Scholz halten die Überwindung des Einstimmigkeitsprinzips für eine Vorbedingung der geplanten Erweiterung der EU um die Westbalkanstaaten, die Ukraine und Moldawien. Eine EU mit über 30 Mitgliedern sei nicht mehr entscheidungsfähig, wenn jeder Staat ein Vetorecht habe.

„Die Staaten Europas müssen militärisch so stark sein, dass sie im Fall eines Angriffs nicht Beistand von außen benötigen, sondern anderen beistehen können.

Mateusz Morawiecki, Ministerpräsident Polens.

Morawiecki hingegen möchte die Neuaufnahmen ohne eine solche Reform. Er kritisiert, die Forderung nach Reformen sei in Wahrheit der „Ruf nach Zentralisierung“. Das positiv klingende Etikett „Föderalisierung“ sei „eine Tarnung“ für das Ziel einer „Konzentration der Entscheidungsprozesse“ an der EU-Spitze in Brüssel.

Seine Konsequenz aus dem Ukrainekrieg: „Die Staaten Europas müssen militärisch so stark sein, dass sie im Fall eines Angriffs nicht Beistand von außen benötigen, sondern anderen beistehen können. Heute ist das nicht so. Ohne die Hilfe Amerikas gäbe es die Ukraine nicht mehr. Und der Kreml würde sich bereits sein nächstes Opfer suchen.“ Polen gebe deshalb jetzt vier Prozent seiner Wirtschaftskraft für Verteidigung aus, das Doppelte des Nato-Richtwerts.

Polen ist Deutschlands fünftgrößter Handelspartner und wird bald Frankreich auf Platz vier ablösen.

Mateusz Morawiecki, Ministerpräsident Polens.

Über das Verhältnis zu Deutschland sprach Polens Premier mit großem Selbstbewusstsein. Die Universität Krakau (gegründet 1364) sei älter als die in Heidelberg (1386). Polen ist heute „der fünftgrößte Handelspartner Deutschlands und wird bald Frankreich auf Platz vier ablösen“. Zusammen mit Tschechien, der Slowakei und Ungarn sei Polen für Deutschland ökonomisch „viel wichtiger als China oder die USA“.

Dieser enorme Aufholprozess gelinge Polen, obwohl es durch Deutschland zerstört wurde und „niemals deutsche Reparationen erhalten“ hat. „Während Westdeutschland sich frei entfalten konnte, wurden wir infolge des Zweiten Weltkriegs 50 Jahre lang unserer Zukunft beraubt.“  

Piotr Buras, Leiter des Warschauer Büros des European Council on Foreign Relations (ECFR) urteilt: „Morawiecki breitet eine anachronistische Vision der EU aus. Er baut den Popanz eines EU-Superstaates auf und ruft zum Widerstand gegen eine vermeintliche und nicht näher definierte Zentralisierung und Föderalisierung der EU auf, als sei sie die größte Gefahr.“

Morawieckis Ideen „gehen in eine andere Richtung als die Konzepte von Macron oder Scholz. Aber das ist nicht das Hauptproblem. Sondern, dass er sich um Antworten auf Schlüsselfragen der europäischen Integration gar nicht kümmert“, meint Buras. „Bis auf den Vorschlag, Verteidigungsausgaben nicht dem Haushaltsdefizit anzurechnen, enthält die Rede keine Ideen, wie die EU angesichts der globalen Umwälzungen gestärkt und konsolidiert werden sollte.

Kai-Olaf Lang, Experte für die EU und für Polen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, analysiert: „Natürlich hat Morawiecki ein anderes europapolitisches Leitbild als der Bundeskanzler. Und auch ein anderes als Macron in der Sorbonne-Rede.“

„Morawiecki singt ein Loblied auf den Nationalstaat“, sagt Lang. „Er möchte nicht mehr Europa. Sondern mehr nationale Souveränität.“ In seinem Europa üben vitale Vaterländer eine effektive Kontrolle gegenüber Unionsorganen und deren Machtzuwachs aus.

Lang vermisst in der Rede Vorschläge, die Kooperationsmöglichkeiten für Berlin, Paris und andere EU-Partner enthalten. Auch in der Sicherheitspolitik betone Morawiecki zwar zu Recht die überragende Bedeutung der USA und der Nato für Europa. „Aber man hätte in einer europapolitischen Grundsatzrede gerne ein paar Ideen zur sicherheits- und verteidigungspolitischen Dimension der EU gehört.“

Was Morawiecki zur Wirtschaftspolitik sagt, wird in Deutschland zum Teil gerne gehört, meint Lang. Etwa der Kampf gegen Steueroasen oder das Lob des „Ordo-Liberalismus“. Griffige Vorschläge zur Weiterentwicklung des Binnenmarkts, der Sicherung europäischer Wettbewerbsfähigkeit oder zur Energiepolitik fehlen jedoch.

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