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Bettina Stark-Watzinger will als erstes deutsches Kabinettsmitglied seit 26 Jahren nach Taiwan reisen.

© Ottmar Winter PNN / Ottmar Winter PNN

Update

Erste Visite seit 26 Jahren : Warum die Taiwan-Reise der Forschungsministerin so bedeutend ist

Bettina Stark-Watzinger will am Montag nach Taiwan reisen, als erste deutsche Ministerin seit 26 Jahren. Experten erklären, warum es so lange dauerte – und noch immer ein schmaler Grat ist.

Es ist eine Reise von historischer Dimension. Am Montag soll Bettina Stark-Watzinger (FDP) nach Taiwan reisen. Die Visite der Forschungs- und Bildungsministerin, schon länger geplant und am Freitag offiziell bestätigt, ist der erste Besuch eines deutschen Kabinettsmitglieds in dem demokratischen Inselstaat seit 1997.

Stark-Watzingers zweitägiger Aufenthalt soll die Kooperation in Wissenschaft und Bildung mit Taiwan stärken. Im Vordergrund steht dem Ministerium zufolge der Hightech-Sektor, besonders die Entwicklung von Halbleitern – das Land produziert rund 90 Prozent der modernsten Mikrochips weltweit, Pläne des Marktführers TSMC für ein erstes europäisches Werk in Dresden sind offenbar fortgeschritten.

Weitere Aspekte sollen grüner Wasserstoff, Batterieforschung und Bildungszusammenarbeit sein. Vorgesehen sind Gespräche mit Forschungsminister Wu Tsung-tsong, Digitalministerin Audrey Tang und Bildungsminister Wen-Chung Pan.

Nüchterne Themen, heikle Umstände

Nüchterne Themen auf sachlicher Ebene also. Trotzdem ist die Reise brisant. Denn obwohl Taiwan nie zur Volksrepublik China gehört hat, erhebt das Regime in Peking Herrschaftsanspruch auf die Insel, weshalb weltweit nur 14 Staaten Taiwan anerkennen.

Deutschland pflegt im Rahmen seiner „Ein-China-Politik“ wie die meisten westlichen Staaten inoffizielle Beziehungen zu dem Land. China reagiert auf Kontakte mit der Regierung in Taipeh stets aggressiv und spricht routinemäßig von einem „Spiel mit dem Feuer“ – so auch die Wortwahl des chinesischen Botschafters in Berlin, Wu Ken, nachdem der Tagesspiegel im Dezember erstmals über Stark-Watzingers Reisepläne berichtete.

Taiwan ist ein Ort der Freiheit, Demokratie und Innovation, dessen Existenz in Gefahr ist. Öffentliche Aufmerksamkeit kann zum Schutz beitragen.

Janka Oertel, Asien-Direktorin beim European Council on Foreign Relations

Wie ist die Visite zu bewerten? „Der Besuch der Wissenschaftsministerin ist sehr sinnvoll, denn es ist genau die Art der Kooperation, die wir mit Taiwan anstreben“, sagt Janka Oertel, Direktorin des Asienprogramms bei der Denkfabrik European Council on Foreign Relations. „Es ist ein klares Signal, dass das zwei progressive Regierungen sind, die im Bereich Wirtschaftsinnovation, High-Tech und Forschungskooperation die Zusammenarbeit ausbauen wollen.“

In den Augen der China-Expertin geht es auch darum, in Deutschland ein Bewusstsein dafür zu schaffen, „dass Taiwan ein Ort der Freiheit, Demokratie und Innovation ist, dessen Existenz in Gefahr ist. Öffentliche Aufmerksamkeit kann zum Schutz beitragen“.

China erklärt zwar, es wolle eine friedliche Vereinigung, behält sich aber gewaltsame Schritte vor, falls dies nicht möglich sei. Regelmäßig überfliegen Kampfjets der Volksbefreiungsarmee die Mittellinie der Taiwanstraße, die als inoffizielle Grenze gilt. Taiwans Bevölkerung, die seit einem Vierteljahrhundert in einer Demokratie lebt, lehnt einen Anschluss an die Parteidiktatur der Volksrepublik praktisch einstimmig ab.

Kein Widerspruch zur „Ein-China-Politik“

„Die Zusammenarbeit zwischen Taiwan und Deutschland kann zur Bewältigung der Herausforderungen in der globalen Lieferkette der Halbleiterindustrie beitragen“, sagte Taiwans stellvertretender Forschungsminister Minn-Tsong Lin dem Tagesspiegel. Schon jetzt habe Deutschland „ein starkes Fundament“ für Mikrochipforschung.

Lin kündigte ein neues deutsch-taiwanesisches Abkommen für Forschung und Technologie auf Ministerialebene an. Er hob KI, Wasserstoff-Energie und Lithium-Batterien hervor. Der Physiker, der seine akademische Karriere in Deutschland begann, sprach sich zudem für stärkeren Wissensaustausch aus: „Partnerschaften zwischen akademischen Einrichtungen, Forschungszentren und Unternehmen in beiden Ländern sollten aufgebaut werden.“

Die bislang letzte Taiwan-Reise eines deutschen Kabinettsmitglieds hatte 1997 Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) unternommen. „Besuche deutscher Minister unterblieben ab den 90er Jahren vor allem deshalb, weil sich die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zur Volksrepublik China intensivierten“, sagt Gudrun Wacker, Expertin für China und Taiwan bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Deutschland habe zwar weiter den informellen Austausch mit Taiwan gesucht, aber fortan auf jede Aktion verzichtet, die Peking verärgern könnte. „Man könnte sagen, dass das eine Rückkehr zum Normalzustand nach Jahrzehnten der Selbstzensur ist“, urteilt Wacker über Stark-Watzingers Reise.

Man könnte sagen, dass das eine Rückkehr zum Normalzustand nach Jahrzehnten der Selbstzensur ist.

Gudrun Wacker, Expertin für China und Taiwan bei der Stiftung Wissenschaft und Politik

„Aus westlicher und deutscher Sicht ist Taiwan in jedem Sinne des Wortes ein Wertepartner – eine Modelldemokratie in Asien, die sich auch international verantwortungsvoll verhält“, sagt die Analystin. Und betont, dass eine Intensivierung der Kontakte nach Taiwan der deutschen „Ein-China-Politik“ nicht widerspreche, auch nicht auf Ministerebene in Bereichen wie Gesundheit, Forschung und Bildung oder Wirtschaft. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) etwa hat sich für die Einbindung Taiwans in WHO-Foren ausgesprochen.

In einem Interview mit der japanischen Zeitung „Nikkei“ unterstrich Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag zwar, dass Deutschland seine „Ein-China-Politik“ beibehalte, sagte aber auch Richtung Peking, „dass keine Gewalt angewendet werden darf, um den Status Quo zu verändern“. Die Ampel hat diese Position in ihrem Koalitionsvertrag 2021 als erste Bundesregierung explizit festgeschrieben.

Ein schmaler Grat für die Bundesregierung

Zugleich sind die engeren Beziehungen zu Taiwan für die Regierung eine Herausforderung, weil sie das traditionell gute Verhältnis zum dortigen Regime nicht beschädigen will. Das Forschungsministerium betont, es handle sich bei Stark-Watzingers Reise um einen „Fachbesuch“.

Laut einem Bericht der „Financial Times“ hat Taipeh ein Treffen mit Außenminister Joseph Wu angeboten, doch Berlin habe abgelehnt – wohl aus Sorge vor einem zu hohen Profil. Dabei werden gewöhnlich sogar einfache Parlamentarier von Staatspräsidentin Tsai Ing-wen empfangen, inklusiver dreier Bundestagsdelegationen, die seit Herbst 2022 nach Taiwan gereist sind.

Es ist klar, dass keine Gewalt angewendet werden darf, um den Status Quo zu verändern.

Kanzler Olaf Scholz im Interview mit der japanischen Zeitung „Nikkei“

„Deutschland muss sich im Klaren darüber sein, welche Signale es an Taiwan und China sendet. Würde zum Beispiel Außenministerin Baerbock nach Taipeh reisen, hätte das eine viel größere, viel politischere Dimension – auch für Peking“, erklärt Expertin Janka Oertel. „Wichtig ist immer: Es geht darum, Taiwans Sicherheit zu gewährleisten, es international einzubinden und vor einer gewaltsamen Annexion durch China zu schützen.“

Im April oder Mai soll die grüne Außenministerin nach Peking reisen. Vergangenes Jahr hatte Baerbock das kommunistische Regime ungewohnt deutlich vor einer Invasion Taiwans gewarnt.

Zuwachs an Taiwan-Kontakten

Seit dem Taiwan-Besuch der damaligen US-Parlamentssprecherin Nancy Pelosi im August 2022 wird kontrovers über Visiten westlicher Politiker diskutiert. China hatte ihn zum Anlass genommen, die heftigsten Militärmanöver seit Mitte der 1990er Jahre um Taiwan durchzuführen und erstmals Raketen über die Insel gefeuert. Seitdem haben zahlreiche ausländische Amtsträger das 24-Millionen-Einwohnerland besucht, im November etwa der damalige britische Handelsminister Greg Hands.

Auch in Deutschland ist seit einiger Zeit ein Zuwachs an Taiwan-Kontakten zu beobachten. Als bislang einziges Mitglied der Bundesregierung war die Grüne Franziska Brantner, Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, im November in Taiwan, kommunizierte dies allerdings kaum.

In Berlin empfing Stark-Watzinger damals Taiwans Forschungsminister Wu Tsung-tsong. Zuvor traf Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sich mit Taiwans Kulturminister Lee Yung-te. Im Dezember reiste die Chefin von Taiwans Menschenrechtskommission und Präsidentin des Kontrollhofs, Chen Chu, nach Berlin.

Taiwan-Expertin Wacker betont, dass ranghohe Besuche in Taipeh stets „die Interessen und die Sicherheit Taiwans“ in den Vordergrund stellen sollten. Oberstes Prinzip müsse die konkrete Kooperation sein, sonst bestehe die Gefahr des „Polittourismus für die eigene Wählerschaft“.

China werde womöglich den Druck auf die Inselnation erhöhen, weshalb die Abwägung von Nutzen und Kosten wichtig sei. „In der jetzt wieder sehr angespannten Situation in der Taiwanstraße muss es vor allem darum gehen, Peking zu signalisieren, dass ein gewaltsames Vorgehen gegen Taiwan einen hohen Preis hätte“, sagt die SWP-Analystin.

Für Taipeh ist es nach 26 Jahren ohne deutschen Ministerbesuch zunächst vor allem eines: ein diplomatischer Erfolg.

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