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Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez.

© AFP/FERNANDO CALVO

Notwendig, realistisch, Luftschloss?: Die Prioritäten der spanischen EU-Ratspräsidentschaft

Seit 1. Juli steht Spanien dem EU-Rat vor und hat ambitionierte Ziele. Die Pläne Madrids könnten unter anderem die Stromkosten senken – gute Kooperation der 27 EU-Staaten vorausgesetzt.

Ein Gastbeitrag von Veronika Grimm

Seit 1. Juli hat Spanien die EU-Ratspräsidentschaft inneund kann dann für sechs Monate die Agenda bestimmen, bevor 2024 die Europawahlen stattfinden und dann Ungarn im zweiten Halbjahr die Ratspräsidentschaft übernimmt.

Für Europa steht viel auf dem Spiel. Die Energiekrise hat den Kontinent besonders stark getroffen. Noch immer sind die Energiepreise zu hoch. Unternehmen reagieren darauf und orientieren sich verstärkt nach Asien oder Nordamerika, wo der „Inflation Reduction Act“ zusätzlich mit Subventionen lockt.

Gleichzeitig zwingen geopolitische Veränderungen die Europäer, kritische Abhängigkeiten – etwa von China – rasch abzubauen. Europa hat sich in der Reaktion auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine bisher geschlossen gezeigt. Aber es muss gelingen, den Zusammenhalt aufrecht zu erhalten und zu stärken, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des unsicheren Ausgangs der US-Wahlen im Jahr 2024 und der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China.

Eine ambitionierte Agenda

Die spanischen Ziele für die Ratspräsidentschaft sind vor diesem Hintergrund zurecht ambitioniert: Die Reindustrialisierung der EU, um strategische Autonomie und Souveränität zu erreichen, Fortschritte bei der grünen Transformation, um die Stromkosten erheblich zu senken. Darüber hinaus soziale Gerechtigkeit sowie die Stärkung der Einheit der Europäischen Union.

Die zukünftige Rolle Europas und der Rückhalt für die demokratischen Kräfte wird davon abhängen, ob wir die Resilienz und die Wachstumskräfte zu stärken und dabei die soziale Balance erhalten können.

Pedro Sanchez, Ministerpräsident von Spanien, stellt die Prioritäten der spanischen EU-Ratspräsidentschaft im Moncloa-Palast in Madrid vor.

© dpa/Alejandro Martínez Vélez

Zurecht stehen etwa die Vertiefung des Binnenmarktes, die Vollendung der Bankenunion, die Stärkung der Beziehungen zu Lateinamerika über den Abschluss des Mercosur-Abkommens und die Stärkung nachhaltiger Investitionen auf der spanischen Wunschliste.

Für die Attraktivität des Standorts für Investoren ist insbesondere entscheidend, dass die grüne Transformation beschleunigt wird und die Energiepreise sinken. Dabei müssen die Mitgliedsstaaten an einem Strang ziehen. Das ist einfacher gesagt als getan. Denn die Transformationspfade und die daraus erwachsenden Interessen sind sehr unterschiedlich.

Mehrere EU-Länder setzen auf Atomkraft

Frankreich etwa setzt – wie auch mehrere osteuropäische Länder sowie Schweden, Finnland und die Niederlande – auf Atomkraft. Doch der geplante Zubau von Kernkraftwerken wird von anderen Mitgliedsstaaten der EU – allen voran Deutschland – kritisch gesehen und dürfte sich bis weit ins kommende Jahrzehnt hinziehen.

Gleichzeitig machen Rechtsextremisten, etwa in Frankreich oder Schweden, Stimmung gegen den Ausbau der Erneuerbaren. Der dadurch schleppende Zubau von Erzeugungskapazitäten dürfte insbesondere in Frankreich und seinen Nachbarstaaten die Strompreise auf absehbare Zeit unangenehm hoch halten.

Deutschland hat seine letzten drei Kernkraftwerke zum 1. April 2023 trotz anhaltend hoher Strompreise endgültig abgeschaltet und plant, das Tempo beim Zubau der Erneuerbaren Energien zu vervierfachen. Zudem muss eine Kapazität von zwischen 20 und 30 Gigawatt wasserstofffähiger Gaskraftwerke zugebaut werden, um den Kohleausstieg um 2030 möglich zu machen.

Die Beschaffung großer Mengen klimaneutralen Wasserstoffs und der Ausbau der Netzinfrastrukturen, die Strom und Wasserstoff dorthin bringen, wo sie gebraucht werden, erfordern ein bisher unbekanntes Tempo beim Ausbau der Infrastrukturen in Deutschland und Europa.

Insbesondere in Spanien besteht großes Interesse für die Produktion erneuerbarer Energien und grünem Wasserstoff.

© imago/Westend61

Der benötigte Wasserstoff wird – so der Plan – im Jahr 2030 nur zu etwa einem Drittel in Deutschland produziert. Ein Drittel soll auf dem Seeweg importiert werden, ein Drittel über Pipelines aus Norwegen, aus Spanien und über Italien aus Afrika.

Insbesondere in Spanien besteht großes Interesse, die guten Bedingungen des Landes zur Produktion von erneuerbaren Energien und grünem Wasserstoff zu nutzen. Erst Anfang 2023 wurde vereinbart, die Anbindung der iberischen Halbinsel über die geplante Pipeline H2Med zwischen Barcelona und Marseille nach Deutschland zu verlängern.

Je besser die Kooperation, desto geringer die Stromkosten

Frankreich hat sich dagegen lange gewehrt. Die Rolle des Imports klimafreundlicher Moleküle wird dort als nicht so bedeutsam eingeschätzt. Wasserstoff möchte man vielmehr heimisch aus „billigem Atomstrom“ erzeugen.

Deutschland hat seine letzten drei Kernkraftwerke zum 1. April 2023 endgültig abgeschaltet.

© Archivfoto: dpa/Armin Weigel

Doch dieses Kalkül dürfte in absehbarer Zeit nicht aufgehen. In dem gemeinsamen europäischen Strommarkt hat die Nutzung von Atomstrom zur Produktion von Wasserstoff hohe Opportunitätskosten: die Erlöse am Strommarkt, wo die Preise aufgrund des mittelfristig knappen Angebots hoch bleiben werden.

Alle würden davon profitieren, die beschriebenen Frontstellungen aufzugeben. Man sollte sich gegenseitig beim Ausbau der Stromversorgung entlang der nationalen Transformationspläne unterstützen, so dass durch schneller verfügbare Kapazitäten der Strompreis sinkt. Und alle sollten den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur und gemeinsame Wasserstoff-Importe möglich machen – so dass die heimische Wasserstoffproduktion in der EU nicht unnötig den Strompreis erhöht.

Je besser die Kooperation gelingt, desto geringer werden auch in jedem einzelnen Mitgliedsstaat die Stromkosten sein. Aktuell wird die Absenkung der Strompreise vielerorts über Subventionen versucht. Dadurch werden jedoch die ohnehin in vielen Mitgliedsstaaten bereits angespannten Staatsfinanzen weiter belastet und stehen nicht für andere Zwecke zur Verfügung.

Deutschland und Frankreich sollten sich gleich zu Beginn der spanischen Ratspräsidentschaft gemeinsam positionieren. Viel Zeit für die ersten Weichenstellungen bleibt vielleicht nicht: Am 23. Juli wird in Spanien neu gewählt, nach einem Debakel für die regierenden Sozialisten bei den Kommunal- und Regionalwahlen.

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